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# taz.de -- Hausbrand in Backnang: Neonazis im Hinterkopf
> Der Wohnungsbrand in Backnang weckt Befürchtungen. Obwohl wenig darauf
> hindeutet, dass es ein rechtsextremer Anschlag war, ist das Misstrauen
> berechtigt.
Bild: Betroffenheit vor Ort: Der türkische Botschafter Avni Karslioglu (l.) un…
Ein Hausbrand in Deutschland, bei dem fast eine ganze türkischstämmige
Familie stirbt – da war doch was? Auch wenn Polizei und Feuerwehr einen
rassistischen Anschlag für sehr unwahrscheinlich halten, poppte nach der
Tragödie in Backnang bei vielen sofort wieder die Erinnerung an die
Brandanschläge auf von Türken bewohnte Häuser in Mölln und Solingen, 1992
und 1993, im Hinterkopf auf.
Eine 40-jährige Türkin und sieben ihrer Kinder sind in der Nacht zu Sonntag
in dem Ort nahe Stuttgart ums Leben gekommen; nur drei Angehörige konnten
gerettet werden. Das Feuer war mitten in der Nacht im Gebäudekomplex einer
ehemaligen Lederfabrik ausgebrochen, in dem sich zwei Wohnungen, ein
deutsch-türkischer Kulturverein, zwei Gaststätten und ein Getränkehandel
befanden. Die Polizei vermutet, dass ein defekter Holzofen oder auch marode
Stromleitungen das Feuer in der ersten Etage verursacht haben könnten.
Hinweise auf Brandstiftung fand sie bisher keine.
Nach dem beispiellosen Versagen der Behörden im Zusammenhang mit der
NSU-Mordserie reichen solche Erklärungen allerdings nicht aus, um die
Gemüter zu beruhigen. Die türkischen Tageszeitungen in Deutschland, die der
Tragödie ihre Titelseiten widmeten, hielten sich allerdings größtenteils
mit Verdächtigungen zurück – ganz anders als vor vier Jahren, als nach
einem Großbrand in Ludwigshafen die Spekulationen ins Kraut schossen.
Dafür mahnte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die „vollständige
Aufklärung“ der Brandkatastrophe an. Und die Opposition in Ankara schickte
sogar zwei Abgesandte nach Backnang, die sich selbst ein Bild machen
sollen.
## Hochburg der rechtsextremen Szene
Die deutsche Politik reagierte angemessen. Baden-Württembergs Innenminister
Reinhold Gall (SPD) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
reisten noch am Sonntag nach Backnang, auch Bundeskanzlerin Merkel zeigte
sich erschüttert. Sie versprach zudem, „dass die zuständigen Stellen nicht
ruhen werden, bis die Brandursache aufgeklärt ist“.
Das tief sitzende Misstrauen auf türkischer Seite gegen die schnellen
Erklärungen der deutschen Behörden hat gute Gründe – nicht nur wegen der
NSU-Mordserie, deren Aufdeckung schließlich die dunkelsten Ahnungen
bestätigte, sondern auch wenn man die Region gut kennt. Denn Backnang liegt
im Rems-Murr-Kreis, der in Baden-Württemberg als Hochburg der
rechtsextremen Szene berüchtigt ist.
In den letzten Jahren machte die Region immer wieder durch Schmierereien,
Beleidigungen und gewalttätige Übergriffe bis hin zu Mordversuchen negativ
auf sich aufmerksam. Bei den letzten Kommunal- und Landtagswahlen kam die
NPD hier in manchen kleinen, ländlichen Gemeinden auf bis zu 5 Prozent der
Stimmen.
Daneben treiben Neonazis hier als sogenannte Freie Kräfte ihr Unwesen –
etwa bei den „Nationalen Sozialisten Schwaben“, der „Aktionsgruppe
Rems-Murr“, der „Freien Kameradschaft Fichtenberg“ oder der „Anti-Antifa
Ludwigsburg“. Die Gaststätte Linde in Schorndorf-Weiler, nicht weit von
Backnang entfernt, galt bis zu ihrer Schließung als bekannter Treffpunkt
der Szene.
Im April 2011 zündeten Faschisten ganz in der Nähe eine Gartenlaube an, in
die sich mehrere junge Männer vor dem rechten Mob geflüchtet hatten; einige
von ihnen wurden schwer verletzt.
Auch wenn der Brand von Backnang jetzt auf eine rein technische Ursache
zurückzuführen sein sollte – blindes Vertrauen darauf wäre fehl am Platze.
11 Mar 2013
## AUTOREN
J. Janczyk
D. Bax
## TAGS
Rechtsextremismus
Brandanschlag
Köln
Brand
Schwerpunkt Angela Merkel
Pogrom
Schwerpunkt Deniz Yücel
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