# taz.de -- Jobcenter für mehr Fitness: „Schnorrer“-Bashing mit neuer Folge | |
> „Bild“ beleidigt Hartz-IV-Empfänger, ein Jobcenter will sportlichere | |
> Langzeitarbeitslose. Die Chancen auf einen neuen Job verbessert das | |
> trotzdem nicht. | |
Bild: Jobcenter für mehr Sport im Alltag | |
„Deutschlands frechster Hartz-IV-Schnorrer“ ist mal wieder gefunden. Ralph | |
Boes heißt der Mann, und für die Bild-Zeitung ist er ein echtes Geschenk. | |
Nicht nur weil er „unser Sozialsystem schamlos ausnutzt“ und „dummdreiste | |
Thesen“ vertritt wie diese: „Ich bin kein Arbeitsverweigerer, nur weil ich | |
kein Geld für meine Arbeit bekomme. | |
Der Staat muss zulassen, auch ehrenamtliche Arbeit als Arbeit aufzufassen.“ | |
Sondern auch weil er sich bei Sandra Maischberger „danebenbenimmt“, denn er | |
„zog sich in der Talkshow die Schuhe aus und setzte sich im Schneidersitz | |
aufs Sofa“. | |
Nun könnte man einwenden, dass es doch von eher gutem Benehmen zeugt, sich | |
die Schuhe auszuziehen, bevor man es sich auf dem Sofa gemütlich macht, | |
während das Gegenteil der Fall ist, wenn man jemand öffentlich als | |
„Deutschlands dreistesten Arbeitslosen“ beleidigt. | |
Und nicht nur schlechtes Benehmen, sondern bereits moralische Verwahrlosung | |
ist es, was durch die Verwendung des Superlativs impliziert wird: Wenn Boes | |
nämlich Deutschlands frechster Hartz-IV-Schnorrer und zugleich dreistester | |
Arbeitsloser ist, dann sind die anderen Hartz-IV-Empfänger und Arbeitslosen | |
eben auch frech und dreist, nur halt nicht ganz so schlimm. | |
## Unterpriviligierte bloßstellen | |
Das ist natürlich alles andere als überraschend, schließlich lebt das Blatt | |
davon, Unterprivilegierten noch weniger Privilegierte zu präsentieren, die | |
dann mit ihren paar hundert Euro staatlicher Alimentierung Schuld an allem | |
tragen. | |
Dabei leistet Ralph Boes doch allerhand: Im Grunde ist „Deutschlands | |
frechster Hartz-IV-Schnorrer“ ja so etwas wie ein fester Posten, nur halt | |
sehr undankbar bezahlt. Ungerecht, wenn man bedenkt, wie Bild, Maischberger | |
& Co. damit Kasse machen. Und auch gesamtgesellschaftlich agiert Boes | |
vorbildlich, wenn er sagt: „Ich gehe doch nicht in ein Callcenter.“ | |
Wer jemals von Callcenter-Agents traktiert wurde oder sich in einem Anflug | |
geistiger Verwirrung in eine Telekom-Hotline einwählte, der wird fraglos, | |
ohne zu zögern, bereit sein, jedem, der dort seine und unsere Lebenszeit | |
vergeudet, umstandslos auch den doppelten Hartz-IV-Satz auszuzahlen, wenn | |
er verspricht, nie wieder einer solchen gemeinschädlichen Arbeit | |
nachzugehen. | |
Aber die Kampagnen wirken. So ist das Jobcenter Brandenburg an der Havel | |
jetzt auf die schöne Idee gekommen, älteren Langzeitarbeitslosen ein | |
Lauftraining anzubieten, wofür diese mit Schrittzählern ausgestattet werden | |
– wer am meisten Strecke macht, bekommt einen Preis. | |
## Freche, dreiste Schnorrer | |
So bewegen sich die frechen, dreisten Schnorrersäcke wenigstens mal, denn | |
wenn es etwas abzugreifen gilt, kriegen sogar die ihren Arsch hoch. Das | |
sagt das Jobcenter natürlich nicht so deutlich, es ruft lieber das Motto | |
aus: „Wer sich bewegt, wird nicht bewegt.“ | |
Aber was genau will es den Langzeitarbeitslosen damit sagen? Für die bewegt | |
sich doch sowieso nichts mehr. Und was mag der Preis sein, der am Ende | |
winkt? Ein echter Job? Bei einem Unternehmen, das sich weigert, wenigstens | |
Mindestlöhne zu zahlen? Darüber kann Ralph Boes jedenfalls nur lachen. | |
Der legt als Aktivist für ein bedingungsloses Grundeinkommen, als | |
ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Seniorenresidenz und als Medienstar | |
zweifellos genug Strecke zurück. Und ist aus Protest gegen das System der | |
Hartz-IV-Sanktionen auch noch in den Hungerstreik getreten, dieser freche, | |
dummdreiste Schnorrer. | |
6 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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