# taz.de -- Bedingungsloses Grundeinkommen: Hungern gegen Hartz IV | |
> Ralph Boes kämpft für das bedingungslose Grundeinkommen. Das Jobcenter | |
> erkennt dies nicht als Arbeit an und belegte ihn mit Sanktionen. | |
Bild: „Hartz-IV-Empfängern geht es wie Jesus am Kreuz“, findet Aktivist Ra… | |
BERLIN taz | Deutschlands „frechster Schnorrer“, Ralph Boes, steht in | |
seiner Wohnung und versucht, die Presseleute aufzuhalten. Er breitet die | |
Arme aus und legt den Kopf schief. „Hartz-IV-Empfängern geht es wie Jesus | |
am Kreuz“, sagt er. „Man fragt nach Wasser und bekommt Essig.“ Die | |
Journalisten sind schon an der Tür. „Die Zeit der Vollbeschäftigung ist | |
vorbei!“, ruft er ihnen hinterher. | |
Diana Aman, Organisatorin der Bürgerinitiative Grundeinkommen und um | |
Seriosität bemüht, lächelt und hält ihn fest. „Schon gut“, sagt sie. Ei… | |
schmale Frau, die aussieht wie Sahra Wagenknecht, helle Haut, schwarze | |
Haare. Neben ihr Boes, Franz Müntefering ähnlich, der charmant lächelt, | |
wirr spricht und dessen Hose zu weit ist. | |
„Deutschlands frechster Schnorrer“, schreibt die Bild-Zeitung über ihn. | |
„[1][Hartz-IV-Schnösel]“. Es ist Mitte Mai. Boes hat gerade 43 Tage | |
gehungert. Drei Tage mehr als Jesus. Sanktionshunger, sagt er. Nicht zu | |
verwechseln mit einem Hungerstreik. Zum Sanktionshunger werde er amtlich | |
gezwungen. „Man hat mir kein Geld zum Essen gegeben“, sagt er. Eigentlich | |
wollte er weitermachen. Aber die Gruppe ließ ihn nicht. | |
Jetzt hungert „der sogenannte Martin“ für ihn. Martin heißt anders, er | |
scheut die Öffentlichkeit, er nennt sich nur so wegen Sankt Martin, der | |
einem Bettler seinem halben Mantel gegeben hat. Das Geld, das er durchs | |
Hungern spart, gibt er Ralph Boes. 40 Euro pro Woche. | |
Boes ist Ergotherapeut, Philosoph und Krankenpfleger. Seit 2006 | |
Hartz-IV-Empfänger. Er hat alle Jobangebote – ob im Callcenter oder | |
Zeitarbeit im Büro – abgelehnt. Er hat trotzdem keine Sanktionen bekommen. | |
„Wenn wir das machen, kriegen wir mehr Ärger als Sie“, hätten die | |
Mitarbeiter zu ihm gesagt. Aber Boes braucht die Sanktionen, um gegen sie | |
zu klagen. Bis vors Bundesverfassungsgericht will er. | |
## Minderung des Arbeitslosengeldes | |
Letzten Herbst schließlich: „Eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 90 | |
Prozent wird festgestellt.“ Ralph Boes fing an zu hungern. Ihm blieben noch | |
37 Euro im Monat. Das reichte nicht mal für Strom und Gas. Aber dann hat | |
das Jobcenter die Sanktionen wieder aufgehoben. Ein Formfehler. | |
Am 22. März 2013 trifft ein neuer Brief ein, eine Minderung des | |
Arbeitslosengelds um 60 Prozent werde festgestellt, schreibt das Jobcenter. | |
Boes’ ehrenamtliches Engagement für das bedingungslose Grundeinkommen zählt | |
nicht als richtige Arbeit: „Diese Gründe konnten bei der Abwägung Ihrer | |
persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtig | |
im Sinne der Vorschriften des SGB II anerkannt werden.“ Darauf hungert | |
Ralph Boes wieder. Trinkt nur Gemüsebrühe und Tee. Hält Vorträge über das | |
Grundeinkommen. | |
In einem Brandbrief, den er an Joachim Gauck, Angela Merkel und Ursula von | |
der Leyen schickt, schreibt er, dass es früher wohl am Einzelnen lag, wenn | |
er arbeitslos wurde. Heute liegt es am System: „Der Arbeitsmarkt ist | |
gesättigt“, schreibt er. „Die Arbeitslosen sind keine menschlichen | |
Problemfälle. Sie müssen künstlich beschäftigt werden. Und sinnlos, denn | |
die ihnen verordnete Arbeit darf den übrigen Arbeitsmarkt nicht | |
unterlaufen.“ | |
Mittwoch, 22. Mai, es regnet, auf den Straßen in Berlin sind große Pfützen. | |
Der sogenannte Martin sitzt hinter der Scheibe eines Cafés und schaut auf | |
die Straße. Beige Mütze, beige Jacke, beides zieht er nicht aus. Seine | |
braune Cordhose steckt in den Socken, die Puma-Schuhe sind abgewetzt. Er | |
bestellt Milchkaffee, das wärmt, sagt er. | |
Martin, gern auch „Martinius“, hungert seit zehn Tagen. Und mal abgesehen | |
von der Müdigkeit, die er so nicht kenne, gehe es ihm gut. Er war seine | |
Idee mit dem „Staffelhungern“. Ein Kunstwerk, sagt er, eine soziale Plastik | |
im Sinne von Joseph Beuys. | |
Wenn Menschen heute Hartz IV bekommen, dann haben wir sie dahin gebracht, | |
sagt der sogenannte Martin. Sie haben enormes Potenzial, aber es wird nicht | |
genutzt. So viel Potenzial. Und so viele Maßnahmen, Beschäftigungen, | |
Hamsterräder, die sich im Kreis drehen, Kreis, Kreis, Kreis. Deshalb | |
hungert er. | |
Der sogenannte Martin war in einem anderen Leben Ökonom. Er war Controller | |
und hat dafür gesorgt, dass Unternehmen in den schwarzen Zahlen bleiben. | |
Als er mal wieder die Zahlen sanieren sollte, so wie man ein Haus saniert, | |
da fragte er seinen Chef: Sprechen wir über Personalabbau? Und als der Chef | |
Ja sagte, kündigte er. | |
## „Knallharte Eingliederungsvereinbarung“ | |
Er hat dann noch promoviert, in Soziologie, und eigentlich wollte er | |
Tangolehrer werden in Berlin. Es hat nicht geklappt. Jetzt sagt er: „Wenn | |
ich Tangostunden geben würde, dann würde ich jemand anderem die Schüler | |
wegnehmen.“ | |
Er hat es einmal auf dem Amt versucht, sich nach Hartz IV erkundigt, aber | |
das war so unerfreulich, dass er entschieden hat, darauf zu verzichten. Nun | |
lebt er vom Geld, das Verwandte ihm geben. Er sagt: „Ich sortiere mich | |
lieber selber aus.“ | |
Ein Montag, die Gruppe „bedingungsloses Grundeinkommen“ trifft sich, Ralph | |
Boes isst seit einer Woche wieder. Er ist euphorisiert. „Ich habe eine | |
knallharte Eingliederungsvereinbarung vom Jobcenter bekommen“, sagt er. | |
Zehn Bewerbungen pro Monat muss er schreiben und er braucht eine | |
Genehmigung, um die Stadt zu verlassen. „Richtig geil!“ Er zitiert aus | |
seiner Antwort: „Liebe Frau XYZ, trotz etlicher sehr freundlicher | |
Wendungen, die ich sehr zu schätzen weiß, ist die Situation im Grunde | |
hoffnungslos.“ Er grinst. „Ich habe ihnen eine andere | |
Eingliederungsvereinbarung geschickt: Zur Verminderung der | |
Hilfebedürftigkeit setzt sich Ralph Boes weiter wie bisher für ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen ein.“ Antwort hat er noch keine bekommen. | |
Zur nächsten Bewerbung will er einen Flashmob organisieren. Nicht er kommt | |
dann zum Vorstellungsgespräch im Callcenter, sondern fünfzig andere. Diana | |
Aman lacht nervös. Sie ist die Organisatorin der Gruppe. Um näher an den | |
Leuten zu sein, ist sie in die Nähe von ihnen gezogen. Eigentlich hat sie | |
Philosophie studiert. Philosophie des Geistes, Willensfreiheit. Sie mag | |
Schopenhauer. „Endlich hat mal jemand gesagt, dass die Welt nicht gut ist.“ | |
Ihr Zimmer: Holz und Sonne, ein Hochbett, Geige, Klavier, Meerschweinchen, | |
Hasen. Ein Spiegel, viele Ohrringe. Gerade trägt sie kleine türkisfarbene | |
Blümchen. Auf ihrem Schreibtisch steht ein Zettel: „Ich habe die Chance, | |
heute etwas Sinnvolles zu tun.“ | |
## Drei Euro pro Stunde | |
Diana Aman hat nach dem Studium bei einem Verband gearbeitet, dann wurde | |
sie arbeitslos. Eigentlich wollte sie promovieren. Aber ihr Vermittler im | |
Jobcenter sagte, sie habe eine Ausbildung, also soll sie arbeiten. Sie hat | |
sich bei Reinigungsfirmen beworben, bei Callcentern, wo es 3 Euro pro | |
Stunde gab plus Provision. „Ich sollte etwas machen, habe nichts gefunden | |
und wusste eigentlich auch gar nicht, was ich bin, wer ich bin.“ | |
Vor fünf Jahren dann die Initiative bedingungsloses Grundeinkommen. Diana | |
Aman ging hin, sie wollte wissen: Was kann ich tun? Sie hat angefangen, | |
Flyer zu verteilen, und war bald schon im Vorstand. Ihr Geld verdient sie | |
jetzt als Selbstständige. Sie nennt sich „pragmatische Philosophin“, bietet | |
Moderation, Textarbeit, Recherche. | |
Wieder ein Montag, Gruppensitzung. Boes will sich als Kandidat für die | |
Bundestagswahl aufstellen lassen. Diana Aman reicht Wahlplakate herum. | |
Ralph Boes als Fotomontage vor einer Demonstration für bedingungsloses | |
Grundeinkommen. Schwarz-Weiß. „Bissig“, sagt er. | |
Diana Aman lacht. Sie hat sich noch ein paar lustige Kleinigkeiten | |
überlegt: das Pferd auf dem Brandenburger Tor wieder golden zu machen, in | |
der Menschenmenge einen Hund unterzubringen, der aussieht wie eine Ente. | |
Und ein anderes Plakat: ein Mann im Bett. Dazu der Spruch „Einfach mal | |
liegenbleiben“. Und: „Wähl gut, wähl Boes“. Sie sei dann einkaufen | |
gegangen, sagt sie. Als sie zurückkam, grillte ein Mann bei ihr auf dem | |
Bürgersteig. Da hatte sie den Slogan für die Wahlkampagne: „Living the | |
difference“. | |
9 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bild.de/geld/wirtschaft/hartz-4/ralph-boes-wer-ist-der-hartz-iv-… | |
## AUTOREN | |
Steffi Unsleber | |
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