| # taz.de -- Buch über Muße und Arbeit: Lob der Faulheit | |
| > Warum halten eigentlich alle immer noch die Arbeit hoch? Ein Lesebuch | |
| > ruft nun das Lob des Müßiggangs in Erinnerung. | |
| Bild: „Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen“: Oscar Wilde | |
| Selbst noch im 21. Jahrhundert klammern sich Gewerkschafter und christliche | |
| Sozialethiker, Liberale und faschistische Produktivitätsfanatiker an die | |
| Parole „Die Arbeit hoch!“. In der Huldigung des Prinzips der Arbeit finden | |
| rechts und links, sozialdemokratischer Etatismus und liberaler | |
| Verwertungsdrang zueinander. Jemand wie der Schriftsteller und Dandy Oscar | |
| Wilde hätte für dieses Theater vermutlich nur Verachtung übriggehabt. In | |
| seinem leider viel zu unbekannten Essay „Der Sozialismus und die Seele des | |
| Menschen“ aus dem Jahr 1891 heißt es ebenso knapp wie treffend: „Muße, | |
| nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen.“ | |
| Hätte sich die Linke in den letzten hundert Jahren mehr an Oscar Wilde | |
| orientiert, anstatt den Arbeitsfetischismus ihrer zumeist moralinsauren | |
| Vordenker aufzusaugen, hätte sie gewusst, dass fremdbestimmte Arbeit den | |
| Menschen in aller Regel nicht erfüllt, sondern fertigmacht. Sie würde nicht | |
| beklagen, dass der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, sondern skandalisieren, | |
| dass in der bestehenden Gesellschaft solch eine begrüßenswerte Entwicklung | |
| zu keiner Befreiung, sondern zu immer größerem Elend führt. | |
| Stimmen im Sinne von Oscar Wilde sind in gegenwärtigen Diskussionen über | |
| die „Zukunft der Arbeit“ oder über ein „bedingungsloses Grundeinkommen�… | |
| das in den meisten Konzeptionen wohl nicht viel mehr als eine alternative | |
| Form der Elendsverwaltung bedeuten würde, kaum zu hören. | |
| Doch seit dem Beginn der Industrialisierung gab es neben dem | |
| arbeitsfetischistischen Mainstream stets auch Vertreter einer dissidenten | |
| Strömung, die, wie beispielsweise der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul | |
| Lafargue, ein „Recht auf Faulheit“ einforderten und den Drang der | |
| Arbeiterbewegung, die Verausgabung von Arbeitskraft zur geradezu | |
| anbetungswürdigen Selbstverwirklichung zu adeln, nicht mitmachen wollten. | |
| ## Lob der Schinderei | |
| Es ist das Verdienst des an der Universität Regensburg tätigen | |
| Literaturwissenschaftlers Rainer Barbey, diese Tradition, zu der keineswegs | |
| nur eindeutig „links“ zu verortende Autoren gehören, sondern etwa auch | |
| Friedrich Nietzsche, wieder in Erinnerung zu rufen. Im 20. Jahrhundert | |
| waren es vor allem Autoren der Kritischen Theorie wie Theodor W. Adorno und | |
| Herbert Marcuse, die sich gegen die Anbetung der Arbeit wandten. In der von | |
| Barbey zusammengestellten Textsammlung werden die Lobredner der Arbeit mit | |
| den Kritikern der Schinderei und Plackerei, des Schuftens und Rackerns | |
| konfrontiert. | |
| Gegen Lenins der christlichen Arbeitsethik entlehntes Verdikt „Wer nicht | |
| arbeitet, soll auch nicht essen“, das bereits einen Vorschein auf die | |
| stalinistischen Arbeitslager warf, steht Marx’ Feststellung, dass das | |
| „Reich der Freiheit“ erst dort beginne, wo „das Arbeiten, das durch Not u… | |
| äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört“ – ein gutes Beispiel, wie | |
| treffend sich der Ostblocksozialismus mit den Schriften von Marx | |
| kritisieren lässt. | |
| Während Michail Bakunin, der Vordenker des Anarchismus, die Arbeit zur | |
| „Grundlage der Menschenwürde“ erklärte, beharrte Moses Hess, ein Freund v… | |
| Marx, der zugleich einer der frühen Theoretiker des Zionismus war, auf der | |
| Unterscheidung zwischen „freier Thätigkeit“ und „gezwungener Arbeit“. … | |
| Jünger, der ein „für den Verzicht gerüstetes Glück“ proklamierte und Ar… | |
| und Freiheit in eins fallen ließ, womit er sich auch in diesem Punkt als | |
| veritabler Vordenker des nationalsozialistischen Opfer- und Arbeitskultes | |
| erweist, wird Bertrand Russels Lob des Müßiggangs aus dem Jahr 1932 | |
| gegenübergestellt. | |
| ## Keinerlei Kontextualisierung | |
| Leider handelt es sich bei Barbeys Lesebuch um eine fast völlig | |
| unkommentierte Textsammlung. Mit Ausnahme eines knapp gehaltenen Nachworts | |
| findet keinerlei Kontextualisierung der ausgewählten Passagen statt. Wie | |
| problematisch das ist, wird beispielsweise bei Heinrich von Treitschke | |
| deutlich, dem Schöpfer der Parole „Die Juden sind unser Unglück“, der von | |
| Barbey als „konservativer Publizist“ vorgestellt wird. In dem Lesebuch | |
| kommt er lediglich mit seiner Anthropologisierung des Arbeitszwangs vor; | |
| über den Antisemitismus Treitschkes erfährt man hingegen nichts. | |
| Ähnliches gilt für den Großindustriellen Henry Ford, der in dem Band mit | |
| einer kurzen Passage aus seiner Philosophie der Arbeit vertreten ist, in | |
| der er eine „nützlich“ verbrachte, gesundheitsfördernde „Mußezeit“ z… | |
| „Verbesserung unseres Geschäfts“ und „zur Erstarkung unseres Volkes“ | |
| propagiert. Darüber, dass er ansonsten sowohl ein fanatischer Lobpreiser | |
| der Arbeit als auch ein wüster Antisemit war, wird der Leser nicht ins Bild | |
| gesetzt. | |
| Ford, dessen Schriften im Nationalsozialismus in hohen Auflagen verbreitet | |
| wurden, ist Autor des Machwerks „Der internationale Jude“. Gerade an ihm | |
| ließe sich die Korrelation einer spezifischen Ausprägung des | |
| Arbeitsfetischismus mit dem Antisemitismus zeigen. | |
| Leider fehlen in der Textauswahl wichtige Beiträge aus der neueren Debatte | |
| zur Arbeitskritik. Als historisch orientiertes Lesebuch kann der Band | |
| dennoch einen ersten Einstieg in die Diskussion bieten. | |
| ## Recht auf Arbeitslosigkeit? Ein Lesebuch über Leistung, Faulheit und die | |
| Zukunft der Arbeit“. Schriften d. Fritz-Hüser-Instituts f. Literatur u. | |
| Kultur der Arbeitswelt, Klartext, Essen 2012, 150 S., 14,95 Euro | |
| 14 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stephan Grigat | |
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