# taz.de -- Waffen in den USA: Der reflexhafte Ruf | |
> Wenn es um die laxen Waffengesetze in den Vereinigten Staaten geht, | |
> schütteln Deutsche nur den Kopf – und brettern mit gut 200 Sachen über | |
> die Autobahn. | |
Bild: Studenten lernen schießen in Florida. | |
In Italien beginnt die Jagdsaison für Lerchen am 3. Sonntag im September | |
und geht bis zum 31. Dezember. Bei uns führt die Lerche „die Braut zur | |
Kerche“, niemand käme auf die Idee, das hübsche Vöglein anders als mit | |
Gesang aufs Korn zu nehmen. Dafür dürfen auf deutschen Autobahnen alle, die | |
Freude daran haben, so kräftig aufs Gaspedal drücken, wie sie nur wollen – | |
Kollateralschäden an Großfamilien in vollbesetzten Kleinwagen hin oder her. | |
Andere Länder, andere Seiten: Klickt man sich am Montag nach dem Massaker | |
durchs europäische Netz, so fällt auf, dass weder Le Monde noch El País | |
oder La Repubblica mit dem Massaker in Newtown aufmachen. Innenpolitik | |
beherrscht die Szene. Auf den deutschen Seiten belegt die Tragödie von | |
Connecticut dagegen weiterhin den ersten Platz. Liegt das an den | |
Erfahrungen von Winnenden und Erfurt? Ist Deutschland doch eine US-Kolonie? | |
Oder wissen es die Landsleute einfach mal wieder besser? | |
Dabei haben wir hübsche eigene Probleme und Widersprüche: Innenminister | |
Hans-Peter Friedrich (CSU) zum Beispiel fordert nach dem gescheiterten | |
Terroranschlag im Bonner Hauptbahnhof eine Ausweitung der Videoüberwachung. | |
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast wirft Friedrich vor, es sich „mit | |
seinem reflexhaften Ruf nach schärferen Gesetzen“ zu leicht zu machen. | |
Dabei macht ihr eigener Bundesvorsitzender, Cem Özdemir, selbst vor, wie | |
leicht man es sich mit einem „reflexhaften Ruf“ machen kann: Özdemir | |
bezeichnete das US-Schulmassaker als Warnung für Deutschland – auch | |
hierzulande müssten Schusswaffen in Privathaushalten verboten werden. | |
## Rufe in die Ferne | |
Reflexhafte Rufe nach schärferen Gesetzen scheinen demnach in Ordnung zu | |
sein, wenn der Reiz gut 6.000 Kilometer entfernt liegt. Die Frage, ob der | |
am Berliner Alexanderplatz totgeprügelte Jonny K. noch leben würde, wenn er | |
oder einer seiner Freunde eine Schusswaffe bei sich gehabt hätten, liegt | |
hingegen wohl tatsächlich zu nah. | |
Ausgerechnet ein alter Marxist, Drogenkopf und Hippie (aber eben auch | |
Vietnamveteran), der 2011 verstorbene US-Autor Joe Bageant, hat in einem in | |
diesem Jahr auf Deutsch erschienenen Buch ein beseeltes Plädoyer für das | |
Recht der US-Amerikaner auf freien Waffenbesitz verfasst. | |
„Auf Rehwildjagd mit Jesus“ (Verlag Andre Thiele VAT) heißt das Buch, in | |
dem Bageant anhand seines Heimatortes Winchester, Virginia, aufzeigt, wie | |
die Demokraten die ländliche, weiße US-Arbeiterschaft an die Republikaner | |
und noch üblere Gesellen verloren und sie dazu gebracht haben, konsequent | |
gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen. | |
Bageant findet die seit den 1960er Jahren virulente „Anti-Waffen-Hysterie“ | |
nicht nur „arrogant und beleidigend“, sondern auch „politisch dumm“: Le… | |
zu deren „Frontier“-Kultur ganz selbstverständlich die Jagd und die dazu | |
notwendigen Waffen gehören, wurden mit „Kriminellen“ in einen Topf | |
geworfen. | |
## Die Armen überwachen | |
Bageant erinnert daran, dass der „Gun Control Act“ von 1968 nicht | |
verabschiedet wurde, um Waffen zu reglementieren, sondern um Schwarze zu | |
kontrollieren; was man nicht lesen kann, ohne an die Prohibition zu denken, | |
die nicht den Alkohol verbieten – die Reichen tranken weiter –, sondern die | |
armen Immigranten überwachen und strafen sollte. | |
Die US-Gesellschaft ist heute weiter, als es Bageant in seinem 2007 im | |
Original erschienenen Buch beschrieb. In Italien haben immer mehr Enkel | |
keine Lust mehr, mit Opa Singvögelkadaver aufzusammeln. Und wie lange haben | |
wir hier gebraucht für ein allgemeines Tempolimit – ich meine natürlich: | |
für das Dosenpfand. | |
18 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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