| # taz.de -- Debatte USA: Die Alzheimer-Staaten | |
| > Leiden die Amerikaner unter kollektiven Bewusstseinsstörungen? Und wenn | |
| > ja: Merken sie die ersten Anzeichen des Verfalls überhaupt? | |
| Bild: In Feuer geboren: Die größte Nation der Welt. | |
| Nicht so leicht zu verstehen, die USA zu Beginn der zweiten Amtsperiode des | |
| Pragmatikers Barack Obama. Die Nation kriegt vieles nicht auf die Reihe. | |
| Die Republikaner blockieren den Haushalt, die wirtschaftliche Ungleichheit | |
| wächst. Schusswaffengewalt wird trotz Obamas mitfühlender Reden weitgehend | |
| als unlösbares Problem eingestuft. Das Auftreten der US-Delegation beim | |
| Weltklimagipfel in Doha war ein Trauerspiel. Und New York und New Jersey | |
| können sich trotz Dauerverkehrsstau Richtung Manhattan nicht auf den Bau | |
| eines zusätzlichen Tunnels unter dem Hudson einigen. | |
| Zu Beginn der Achtzigerjahre, als der damals amtierende Präsident | |
| versicherte, es sei „wieder Morgen in Amerika“, schielte man Richtung | |
| Europa und stellte eine Diagnose: Eurosklerose. Die Europäer seien | |
| entscheidungs- und reformunfähig. Derartige medizinische Vergleiche passen | |
| nie haargenau. Und doch: Möchte man heute Doktor spielen und die USA in die | |
| Arztpraxis führen, käme man versuchsweise zur Diagnose Alzheimer, der | |
| Fachliteratur zufolge eine „zunehmende Verschlechterung der kognitiven | |
| Leistungsfähigkeit“ mit Verhaltensauffälligkeiten und einer „Abnahme der | |
| täglichen Aktivitäten“. | |
| Menschen eines gewissen Alters treibt die Frage um: Bekommt man es am | |
| Anfang mit, wenn man Alzheimer hat? In den USA drängt sich der Verdacht | |
| auf, dass manche Amerikaner nicht so recht merken oder zumindest nicht | |
| merken wollen, dass die Lichter in der „scheinenden Stadt auf dem Hügel“ | |
| (Ronald Reagan) trübe werden. | |
| Man hält sich an Statements fest, die USA seien die beste Nation auf Erden. | |
| Und an der These, Amerika sei noch immer das „Vom Tellerwäscher zum | |
| Millionär“-Land. Sagt ja auch Obama gerne: Was „uns“ zu „etwas Besonde… | |
| mache, sei der Grundgedanke, dass jeder es zu etwas bringen könne, wenn er | |
| zu harter Arbeit bereit sei und Verantwortung schultere. Wenn’s nicht | |
| klappt, ist man selbst schuld. | |
| ## „Ein Imperium schafft seine eigene Realität“ | |
| Außen- und militärpolitisch bleiben US-Politiker bei der Vorstellung, die | |
| USA seien „Number One“ und müssten es bleiben. Man denke an den Kommentar | |
| eines hochrangigen Vertreters der Regierung von George W. Bush zum | |
| New-York-Times-Journalisten Ron Suskind 2004: Die USA seien ein Imperium, | |
| und wenn ein Imperium handle, schaffe es „seine eigene Realität“. | |
| Der jüngst angeblich wegen einer außerehelichen Affäre gestolperte CIA-Chef | |
| David Petraeus dachte seiner inzwischen viel zitierten Doktorarbeit zufolge | |
| anscheinend ähnlich: „Entscheidend ist, was die Politikmacher glauben, dass | |
| es stattgefunden hat.“ Das sei viel wichtiger als das, was tatsächlich | |
| passiert ist. | |
| Nummer eins sein wollen kostet. Der US-Militäretat wurde zwischen 2001 und | |
| 2011 mehr als verdoppelt. Etwa drei Millionen Menschen dienen in Uniform | |
| oder Zivil in den Streitkräften und im Verteidigungsministerium. Die USA | |
| verfügen im Ausland über rund 750 Militärstützpunkte. Die Volksrepublik | |
| China kommt offenbar ohne aus. Wie die Washington Post zählte, sind mehr | |
| als tausend Regierungsstellen und fast 2.000 Firmen in den Krieg gegen den | |
| Terrorismus involviert. | |
| Das National Intelligence Council, eine Behörde aus Vertretern von 17 | |
| Geheimdiensten und Ministerien, hat Anfang Dezember den Bericht „Globale | |
| Trends 2030“ vorgelegt, der als Gerüst für strategisches Planen dienen | |
| soll. Im Jahr 2030 werde der „unipolare Moment“ der US-Vorherrschaft zu | |
| Ende gehen, so der Bericht. | |
| Vermutlich werde die USA „Erster unter Gleichen“ sein, aber die | |
| Machtstrukturen veränderten sich deutlich. Ein Kapitel befasst sich mit den | |
| „Grenzen der harten Macht“, also der militärischen Macht. So werde Macht | |
| „fast sicherlich“ in „facettenreichen und amorphen Netzwerken staatlicher | |
| und nichtstaatlicher Akteure“ ein Zuhause finden. | |
| ## Rüstungsindustrie will kurzfristige Profite | |
| Das Militär wird zurzeit umstrukturiert, es soll gespart werden. Doch die | |
| Rüstungsindustrie mauert. Sie ist an kurzfristigen Profiten interessiert. | |
| Im Ausland würde man von Korruption sprechen: Nach einer kürzlichem Analyse | |
| haben von 2004 bis 2008 80 Prozent der aus dem Dienst scheidenden | |
| Top-Generäle Jobs in der Rüstungsindustrie angenommen. Die sponsert dann im | |
| Wahlkampf Politiker. | |
| Besonders deutlich ist die Unfähigkeit zum Handeln im Klimabereich. | |
| Experten der UNO warnen, die Weltbank spricht von einem Temperaturanstieg | |
| von vier Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Wissenschaft ist sich | |
| einig, dass menschliche Aktivität wesentlich zur Erwärmung beiträgt. Es | |
| müsse gehandelt werden. | |
| Obama sagt das auch, doch das hat kaum Konsequenzen. Man ist vielmehr | |
| stolz, dass die USA nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur | |
| schon bald ihren Energiebedarf weitgehend aus eigenen Ressourcen werden | |
| decken können: dank Fracking und Förderung früher schwer zugänglicher | |
| Ölvorkommen. Bei den Klima- und Energiefragen habe die Industrie „die eine | |
| Partei gekauft und die andere eingeschüchtert“, sagte der Klimaaktivist | |
| Bill McKibben. | |
| Als einfacher Bürger möchte man, naiverweise vermutlich, glauben, dass die | |
| wichtigen Entscheidungsträger entsprechend ihren eigenen langfristigen | |
| Interessen entscheiden und in der Politik halt entsprechend den Interessen | |
| der Nation. Beides geschieht schon länger nicht mehr in den USA. | |
| ## Raffgierige Elite | |
| Die wirtschaftliche Elite ist radikaler geworden. Rücksichtsloser, | |
| raffgieriger. Und kurzsichtiger in ihrer Arroganz, dass sie von schädlichen | |
| Konsequenzen ihres Handels ausgenommen sein wird. Für die Elite gehen die | |
| Lichter angeblich nie aus. Die Republikaner haben viele Menschen überzeugt, | |
| der Staat sei ihr Feind. In vielen Bereichen soll die Regierung lieber gar | |
| nicht mehr funktionieren. | |
| Gewählt wurde im November Barack Obama und nicht Mitt Romney. Nun findet | |
| die wirkliche Auseinandersetzung über Amerikas Zukunft statt. Aber | |
| zumindest bei einer Frage lässt sich vermutlich wenig machen: den | |
| Schusswaffen. Die geforderten Verkaufsbeschränkungen werden wenig nutzen. | |
| 200 bis 300 Millionen Schusswaffen sind bereits in Privathänden. Erhöhtes | |
| Misstrauen und Angst können ja auch Demenzsymptome sein. | |
| 27 Dec 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Ege | |
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