# taz.de -- Waffen in den USA: Es ist der Thrill | |
> Für Sharon Cundiff gibt es nichts Schöneres, als die Gewehre einzupacken | |
> und zum Schießstand zu fahren. „Dann geht für mich die Sonne auf“, sagt | |
> sie. | |
Bild: In den USA dürfen auch Neunjährige ein Maschinengewehr ausprobieren: Sc… | |
MANOR taz | Für Sharon Cundiff gibt es nichts Schöneres. Es ist der Thrill. | |
Der Geruch von Feuer. Die Patronenhülse, die nach jedem Schuss warm über | |
ihren Unterarm kullert und dann mit einem Klimpern in den Staub fällt. Das | |
Geräusch, wenn die Kugel mit einem dumpfen „Plopp“ die Zielscheibe | |
durchdringt. Genau dort, wo Sharon, eine zierliche Texanerin mit braunem | |
Pferdeschwanz und großer Kappe, sie gerne hinhaben will. „Jeder Tag, an dem | |
du schießt, ist ein guter Tag“, sagt sie. | |
Sharon strahlt: „Wenn mein Mann mir gute Laune machen will, packt er unsere | |
Waffen ins Auto und fährt mit mir zum Schießstand.“ Sie simuliert ein paar | |
Schüsse. „Verstehst du?“, schwärmt sie. „Dann geht für mich die Sonne … | |
An diesem Morgen brennt die Sonne in Manor, einem winzigen texanischen Ort. | |
Sharon und ihr 17-jähriger Sohn packen ihre Gewehre und Revolver im | |
abgelegenen Austin Rifle Club aus. Die Szenerie erinnert an den wilden | |
Westen: Hölzerne Schießstände unter rostigen Wellblechdächern ragen aus der | |
kargen Landschaft hervor. Über dem eingezäunten Gelände kreisen große | |
schwarze Vögel. | |
## Debatte um schärfere Gesetze | |
Alle paar Sekunden durchsieben Schüsse das Konzert der Grillen. „Für | |
Menschen, die nicht hier aufgewachsen sind, ist das schwer zu verstehen“, | |
sagt Sharon. „Sie halten Frauen wie mich vielleicht für verrückt.“ Sharon | |
weiß: Sie steht in der Kritik der Waffengegner – erst recht seit der | |
Tragödie von Newtown. Das Massaker an 20 Grundschulkindern und sechs | |
Erwachsenen hat Waffenfans wie sie erneut ins Visier derer gebracht, die | |
schärfere Gesetze fordern. | |
Seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama fürchtet die mächtige | |
Waffenlobby um das, was sie amerikanische Freiheit nennt: das Recht, eine | |
Waffe zu besitzen. | |
Erst an Heiligabend hat ein 62-Jähriger, offenbar verwirrter Mann aus dem | |
Staat New York einen Brand gelegt und zwei Feuerwehrmänner bei den | |
Löscharbeiten erschossen. Dann tötete er sich selbst – mit dem gleichen | |
Sturmgewehr wie der Schütze von Newtown. | |
Nicht die Waffen seien das Problem, sondern die Schützen, argumentierte | |
NRA-Präsident David Keene in einem Interview des Senders CBS. „Ich sage | |
nicht, dass jeder in psychischer Behandlung ein potenzieller Killer ist. | |
Ich sage nicht, dass jeder, der Videos guckt, ein potenzieller Killer ist. | |
Das stimmt nicht. Aber genauso wenig stimmt, dass jeder, der eine Waffe | |
besitzt, ein potenzieller Killer ist.“ | |
## Sie ist eine gläubige Frau | |
Als Killerin sieht sich Sharon Cundiff ganz und gar nicht. Sie ist eine | |
gläubige Frau, die ihre Kinder aus Fürsorge lieber zu Hause unterrichtet, | |
als sie zu einer Schule zu schicken. „Waffen gehören zu unserm Haushalt wie | |
ein Kühlschrank oder Bücher“, meint sie. „Du musst in der Lage sein, dich | |
zu wehren, wenn du weit ab von der nächsten Polizeiwache wohnst.“ Das hat | |
sie auch ihren Söhnen eingetrichtert. | |
Sharons Sohn Matt feuert eine Salve auf seine Schießscheibe ab. Mit vier | |
Jahren habe er zum ersten Mal ein scharfes Gewehr in der Hand gehabt, sagt | |
der Junge. Er trägt einen Cowboyhut und begleitet seine Mutter bei jeder | |
Gelegenheit zum Schießstand. Er ist stolz auf sie. | |
Sharon ist Ausbilderin für die mächtige Waffenvereinigung „National Rifle | |
Associaton“. „Ich trainiere Frauen, denn immer mehr von uns wollen wissen, | |
wie es geht“, sagt sie. Wissen sei der beste Gegner der Angst. Und der | |
beste Schutz vor Waffenmissbrauch sei eine gewissenhafte Ausbildung. „Ich | |
mache drei Kreuze, dass ich meine Waffe noch niemals im Ernstfall benutzen | |
musste“, meint Sharon. „Und ich bete, dass ich es auch in Zukunft niemals | |
muss.“ | |
„Verantwortungsvolle Waffenbesitzer“ heißen Frauen wie Sharon im Jargon der | |
NRA. „Waffen“, meint NRA-Sprecher Steve Dunlan, „existieren nun einmal.“ | |
Wenn man sie alle auf Knopfdruck verschwinden lassen könnte, dann sei er | |
auch für strengere Gesetze. „Aber es gibt nun einmal keine waffenfreie | |
Welt.“ Nach dem Amoklauf von Newtown gebe es geradezu eine Pflicht, sich zu | |
bewaffnen. | |
## Bewaffnete Nationalgarde vor die Schulen ? | |
Das Thema Waffenbesitz polarisiert die USA. NRA-Vize Wayne LaPierre sorgte | |
mit der Forderung für Empörung, als Konsequenz aus dem Massaker landesweit | |
bewaffnete Wächter in Schulen einzusetzen. Die demokratische Senatorin | |
Barbara Boxer brachte ein Gesetz ein, wonach bewaffneten Nationalgardisten | |
an Schulen stationiert werden könnten. „Always ready, always there“– so … | |
Slogan der freiwilligen Milizen, die der Reserve der US-Streitkräfte | |
angehören. Mit Boxers Gesetz könnten die Gouverneure die Gardisten vor | |
Schulen aufmarschieren lassen. „Das Abschlachten von Unschuldigen muss | |
aufhören. Wir müssen die Sicherheit in den Schulen bewahren, indem wir alle | |
gesetzlichen Möglichkeiten zu ihrer Durchsetzung nutzen, die uns zur | |
Verfügung stehen“, so die Senatorin in der Los Angeles Times. | |
Unterdessen erntete Präsident Obama nach seinen Vorstößen für schärfere | |
Waffengesetze über Weihnachten massive Gegenwehr. Die Waffenlobby erklärte, | |
sie werde jegliche Einschränkung des Rechts auf ungehinderten Waffenbesitz | |
bekämpfen. Das Weiße Haus bezeichnete den Widerstand als ernüchternd und | |
erklärte, es werde nicht lockerlassen. Das, meint der texanische NRA-Chef | |
Steve Hall, würde den Großteil der Amerikaner treffen. „34 Millionen lieben | |
es, zu schießen. 14 Millionen jagen gern. 80 Prozent haben eine | |
Schusswaffe.“ | |
Rund 300 Millionen Schusswaffen sind in Privatbesitz – in einem Land, in | |
dem mit Spielzeug gefüllte Kinder-Überraschungseier wegen ihrer | |
Verletzungsgefahr verboten sind. Allein dieses Jahr stellten 19 Millionen | |
US-Bürger einen Antrag auf den Kauf einer Waffe. | |
Dabei hat die Kritik ihrer Gegner die Waffenindustrie erst richtig | |
beflügelt: Der Umsatz der Hersteller stieg seit 2008 von 19 auf 31 | |
Milliarden Dollar im Jahr 2011. Durch Käufe aus Torschlusspanik kletterte | |
die Aktie des Top-Herstellers Smith & Wesson 2011 um 125 Prozent. Bei Sturm | |
Roger’s herrscht seit Frühjahr gar Auftragsstopp. Nach über einer Million | |
Waffenbestellungen im ersten Quartal kam der Hersteller nicht mehr nach. | |
Die Aktien stiegen abermals. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche | |
wuchs in den letzten drei Jahren um 30 Prozent. | |
## Es geht um Lebensunterhalt und Lebensart | |
Knapp 100.000 Menschen verdienen sich in den USA mit der Herstellung von | |
Waffen ihr Brot. Wer hier Rechte beschneidet, killt Jobs, warnt Hall. „Die | |
Leute würden auf die Barrikaden gehen, weil man ihnen beides wegnimmt: | |
Lebensunterhalt und Lebensart.“ Das Recht, eine Waffe zu tragen, sei mit | |
der Entstehung seines Landes verknüpft. Er stamme aus einer Jägerfamilie, | |
in der jedes der neun Kinder schießen gelernt habe. „Du fängst klein mit | |
einem Luftgewehr an und steigerst dich zu großen Waffen“, meint Hall. | |
„Dabei eignest du dir eine Lebensart an, die du mit ins Grab nimmst.“ | |
Obamas Attacke auf das Waffenrecht gilt vielen Waffenfans als | |
unamerikanisch. Schon in seiner ersten Amtszeit waren die Lobbyisten | |
erfolgreich: Erst weitete das Oberste Gericht das Recht auf Waffenbesitz | |
aus. Dann wurden Pistolen und Gewehre in Nationalparks und Zügen erlaubt. | |
Dazu verabschiedeten immer mehr US-Staaten Gesetze, die jedem das Recht | |
geben, sich mit der Waffe zu verteidigen. | |
Zu den Vätern dieser Gesetze zählt der texanische Senator Jeff Wentworth. | |
„Waffenrechte sind der Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit“, meint | |
Wentworth. Schießtrainerin Cundiff sieht darin mehr das verbindende | |
Erlebnis: „Genau wie es Fußball- und Baseballfamilien gibt“, meint sie, | |
„gibt es jetzt immer mehr Familien, die schießen lernen wollen. Papa macht | |
es, dann Mama – und dann will Mama, dass es auch die Kinder tun.“ | |
28 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Antje Passenheim | |
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