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# taz.de -- Urteil Internationaler Strafgerichtshof: Warlord freigesprochen
> „Unschuldig“ lautet das überraschende Urteil des Internationalen
> Strafgerichtshofs gegen den kongolesischen Milizenführer Mathieu
> Ngudjolo.
Bild: Freispruch für den Kongolesen Mathieu Ngudjolo.
BERLIN taz | Es ist eine handfeste Sensation, die der Internationale
Strafgerichtshof in Den Haag am Dienstag geschaffen hat. Mit zwei gegen
eine Stimme sprachen die Richter der 2. Strafkammer den Kongolesen Mathieu
Ngudjolo in allen Punkten der Kriegsverbrecheranklage gegen ihn frei. Am
Nachmittag dauerten Beratungen darüber an, ob er gleich freikommt.
Ngudjolo war einer von mehreren Warlords aus dem nordostkongolesischen
Distrikt Ituri, denen in Den Haag wegen Verbrechen während der Kriege
zwischen Milizen der Hema- und Lendu-Völker in den Jahren 1999 bis 2003 der
Prozess gemacht wird.
In diesen Kriegen, die über 50.000 Tote und über eine halbe Million
Vertriebene produzierten, führte Ngudjolo die Lendu-Miliz FNI
(Nationalistische Kräfte für Integration). Diese Miliz war Teil einer
Koalition bewaffneter Gruppen, die ab Ende 2002 begann,
Hema-Siedlungsgebiete systematisch zu entvölkern.
Am 6. März 2003 eroberten die Lendu-Milizen schließlich die
Distrikthauptstadt Bunia. Unterwegs hatten sie am 24. Februar das Dorf
Bogoro 22 Kilometer außerhalb von Bunia angegriffen und über 200 Menschen
getötet.
Das Gericht bestreitet weder dieses Massaker noch die Verantwortung der
Lendu-Milizen dafür. Es stellt lediglich fest, es sei nicht erwiesen, dass
Ngudjolo, ausgebildeter Krankenpfleger und prominente Persönlichkeit in
seiner Gemeinschaft, zu diesem Zeitpunkt die Lendu-Kämpfer kommandierte.
## Beweise fehlen
Anwesend war er in Bogoro nicht. Es gebe keinen Hinweis auf seine
Kommandotätigkeit vor dem 18. März 2003 – also nach der Eroberung Bunias,
infolge derer sich die Lendu-Milizen umstrukturierten. Ngudjolo sei dann
auch zuweilen als Kommandeur in einer anderen Lendu-Miliz aufgetreten, der
FRPI (Patriotische Widerstandskräfte Ituris).
Nach Ende des Krieges in Ituri 2003 war Ngudjolo in Kongos Armee
eingetreten. 2008 wurde er festgenommen und nach Den Haag überstellt. Vor
Gericht stand er gemeinsam mit dem ehemaligen FRPI-Oberkommandierenden
Germain Katanga.
In einer umstrittenen Entscheidung, deren Rechtsgültigkeit noch nicht
endgültig feststeht, hatte die Strafkammer am 21. November, lange nach
Abschluss der Hauptverhandlung, die beiden Verfahren getrennt und
verkündet, die Vorwürfe gegen Katanga im Zusammenhang mit Bogoro hätten
sich als schwererwiegender herausgestellt als die gegen Ngudjolo.
## Juristisches Fragezeichen
Die Urteilsverkündung gegen Letzteren wurde vorgezogen. Wann gegen Katanga
das Urteil fällt, ist unklar.
Diese Wendung wirft ein juristisches Fragezeichen auf diesen Prozess, der
erst der zweite abgeschlossene in der zehnjährige Geschichte des
Internationalen Strafgerichtshofs ist. Ein politisches Fragezeichen ergibt
sich daraus, dass erst vor neun Monaten der wichtigste Anführer der Hema
von Ituri, Thomas Lubanga, in Den Haag wegen Rekrutierung von
Kindersoldaten schuldig gesprochen und zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde.
Lubanga kommandierte 2003 die Hema-Miliz UPC (Union kongolesischer
Patrioten), Hauptgegner der Lendu-Milizen FNI und FRPI. Der Lendu-Angriff
auf Bogoro galt auch den dortigen UPC-Stellungen. Damals hatte die UPC den
Angriff auf Bogoro zwar nicht der FNI, sondern der kongolesischen
Regierungsarmee im Bündnis mit anderen Milizen zugeschrieben.
## Zweierlei Maß
Jetzt aber könnte der Freispruch für einen Lendu-Kommandanten nach
Verurteilung des gegnerischen Hema-Kommandanten vor Ort als zweierlei Maß
gewertet werden.
„Einen Beschuldigten für nicht schuldig zu befinden heißt nicht
notwendigerweise, dass die Kammer ihn für unschuldig hält“, erklärte die
Strafkammer in Den Haag. Den Freispruch begründet sie mit Zweifeln an den
Zeugen der Anklage.
Nachdem schon im Lubanga-Verfahren die Ermittlungsmethoden der
Anklagebehörde in Ituri im Mittelpunkt der Debatte standen, steht nun also
erneut die Frage im Raum, ob das Weltgericht in der Lage ist, objektiv und
umfassend in fremden Ländern zu arbeiten.
18 Dec 2012
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Internationaler Strafgerichtshof
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