# taz.de -- Verfahren gegen Kongos Ex-Vizepräsident: Stochern im Kriegsnebel | |
> Das Verfahren gegen Kongos Ex-Vizepräsident Bemba verdeutlicht die | |
> Unzulänglichkeiten des Internationalen Strafgerichtshofs. | |
Bild: „Er wollte die Zivilbevölkerung terrorisieren“: Jean-Pierre Bemba. | |
Vor gut zwei Jahren war Jean-Pierre Bemba noch einer der mächtigsten | |
Politiker der Demokratischen Republik Kongo. Der ehemalige Vizepräsident | |
des Landes hatte im Jahr 2006 bei der Stichwahl gegen Staatspräsident | |
Joseph Kabila immerhin 42 Prozent erzielt. Am Montag saß Bemba in Den Haag | |
vor den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs und hörte sich an, | |
wie ihm schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden, an erster Stelle | |
Vergewaltigung als Kriegsmethode. | |
„Bemba wollte die Zivilbevölkerung traumatisieren und terrorisieren“, sagte | |
die Vertreterin der Anklage, Fatou Bensouda. | |
Die Anhörung ist noch kein Prozess, vielmehr wird die Zulässigkeit der | |
Anklage geprüft. Vor acht Monaten wurde Bemba in Brüssel festgenommen und | |
ausgeliefert; seither sitzt er in Den Haag in Haft. Ins Brüsseler Exil war | |
er gegangen, nachdem sein Widersacher Kabila ihn nach gewonnener Wahl | |
blutig niedergekämpft hatte. | |
Die Schlachten inmitten der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa im März 2007 | |
forderten hunderte Tote; UN-Ermittler fanden später gefesselte Leichen von | |
hingerichteten Bemba-Anhängern im Kongo-Fluss. Aber eine Anklage deswegen | |
gibt es in Den Haag nicht. | |
Zweierlei Maß? Der Internationale Strafgerichtshof, im Jahr 2002 als erste | |
supranationale Instanz zur Verfolgung von schweren Kriegsverbrechen | |
gegründet, würde diese Vermutung weit von sich weisen. Seine Sicht auf sich | |
selbst sieht so aus: In jahrelanger Detailarbeit, unter Lebensgefahr für | |
viele Informanten und Zeugen bringen die Ermittler allmählich Licht ins | |
Dunkel der miteinander verwobenen Kriege Zentralafrikas. | |
Ihre Arbeit reicht von der kongolesischen Kriegsprovinz Ituri, wo 2002/03 | |
die blutigsten ethnischen Massaker des Kongo stattfanden, über die | |
Verwüstungen der nordugandischen Rebellenbewegung Lords Resistance Army bis | |
zum Vernichtungskrieg im sudanesischen Darfur. Weitere Ermittlungen, zum | |
Beispiel zum Ostkongo, sind in Vorbereitung. Mit jedem neuen Fall, jedem | |
neuen Haftbefehl erfahren neue Opfer Gerechtigkeit. Im Fall Darfur hat die | |
Anklage sogar Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan | |
el-Beshir wegen Völkermordes beantragt. | |
Die Entscheidung darüber wird noch für diesen Monat erwartet. Es wäre die | |
kontroverseste Entscheidung, die der Gerichtshof je getroffen hat, und ein | |
Signal an alle Kriegsverbrecher der Welt. | |
So weit die Theorie. Die Praxis: Stückwerk, das komplexe Kriege mit | |
vielschichtigem Verlauf auf die Schuld einzelner Personen reduziert. Die | |
Ermittlungen sind wie ein Puzzlespiel, dessen Teile nie zusammengefügt | |
werden, obwohl sie isoliert keinen Sinn ergeben. | |
Der erste Häftling in Den Haag war 2006 der kongolesische Warlord Thomas | |
Lubanga, gegen den am 26. Januar auch der erste Prozess des | |
Strafgerichtshofs beginnen wird. Angeklagt ist er wegen etwas, wofür man | |
unzählige afrikanische Führer vor Gericht stellen könnte: Einsatz von | |
Kindersoldaten. Massaker, die Lubangas Miliz möglicherweise begangen hat, | |
sind ebenso wenig Thema wie sein Entlastungsvorwurf, er habe seine | |
Volksgruppe der Hema vor einem Genozid geschützt. | |
Dies wird höchstens zur Sprache kommen, wenn Lubangas einst ärgste Gegner | |
vor Gericht kommen: die seit 2007 in Den Haag inhaftierten Warlords Germain | |
Katanga und Mathieu Ngudjolo. Ihnen wird u. a. ein Massaker an hunderten | |
Hema vorgeworfen. | |
Die Klärung dieser Gräueltat im Dorf Bogoro im Februar 2003 wäre auch für | |
den Fall Lubanga interessant. Aber eine Verknüpfung der verschiedenen Fälle | |
sieht der Gerichtshof nicht vor. Ob Zeugen in einem Fall auch wichtig für | |
einen anderen wären, ob Entlastungszeugen im einen vielleicht Mitschuldige | |
im anderen sein könnten – man wird es nicht erfahren. | |
Und weil es auch ansonsten keine Instanz gibt, die den Krieg im Kongo | |
aufarbeitet, der mitsamt seiner humanitären Folgen seit 1996 Millionen Tote | |
gefordert hat, bleiben die anhängigen Kongo-Fälle isoliert und selektiv. | |
Kein Wunder, dass die Ermittlungsarbeit des Strafgerichtshofs auf Probleme | |
stößt. Dort, wo Ermittler aus Den Haag am meisten Informationen gesammelt | |
haben – in Ituri oder Uganda –, finden sie nur noch schwer Zeugen und | |
Informanten. Menschenrechtsaktivisten und Zeugen, die die Kriege in diesen | |
Regionen überlebt haben, müssen erfahren, dass man ihr Wissen und ihre | |
Erinnerungen nicht in der Gesamtheit würdigt, sondern dass ausgesiebt wird, | |
und zwar nicht nach Brisanz der jeweiligen Geschehnisse, sondern nach | |
Relevanz für den jeweiligen Einzelfall. | |
Das ist logisch, aber schwer zu vermitteln. Die Kriterien bleiben | |
undurchsichtig und werden nicht einsichtig gemacht. Das Interesse von | |
Experten und Zeugen, in Den Haag aufzutreten, wird daher geringer. | |
Das Dilemma wird besonders deutlich im Falle Bemba, der dieser Tage | |
verhandelt wird. Der einstige kongolesische Rebellenführer sitzt nicht etwa | |
wegen etwaiger Verbrechen im Kongo in Haft, worüber unzählige Kongolesen | |
etwas zu berichten hätten. | |
Es geht allein darum, dass Bemba Ende 2002 einem Hilfeersuchen des | |
damaligen Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik folgte. Präsident | |
Ange-Félix Patassé holte Kämpfer von Bembas MLC (Kongolesische | |
Befreiungsbewegung) in die zentralafrikanische Hauptstadt Bangui, um seinen | |
rebellischen ehemaligen Armeechef François Bozizé zu bekämpfen. | |
In Den Haag geht es jetzt um Verbrechen im Rahmen dieses Einsatzes. Aber | |
eben nur Verbrechen der Bemba-Kämpfer. Patassé selbst steht nicht vor | |
Gericht. Er wurde 2003 tatsächlich von Bozizé gestürzt, der die | |
Zentralafrikanische Republik bis heute regiert, und ging ins Exil. | |
Doch im Dezember 2008 kehrte er in die Heimat zurück, nahm an einer | |
Nationalen Versöhnungskonferenz teil und wurde amnestiert. Während in Den | |
Haag die Anklage verlesen wird, laufen in der Zentralafrikanischen Republik | |
Gespräche über eine Regierung der Nationalen Einheit. | |
Einer der wichtigsten Informanten des Strafgerichtshofs in Bangui ist nun | |
in einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen. Nganatouwa Goungaye | |
Wanfiyo, Präsident der Zentralafrikanischen Menschenrechtsliga, hatte | |
Zeugen in Dörfern interviewt und war am 27. Dezember auf dem Weg zurück in | |
die Hauptstadt, um nach Den Haag zu fliegen, als sein Auto in dichtem Nebel | |
auf einen unbeleuchteten Lastwagen auffuhr. | |
Seine Kollegen sind davon überzeugt, dass es sich um einen Anschlag | |
handelte. Weder Patassé noch Bozizé ist an einer Aufklärung ihres Krieges | |
interessiert. Bemba als Sündenbock genügt ihnen. Aber eine internationale | |
Justiz, die Menschheitsverbrechen konsequent ahndet, sieht anders aus. | |
13 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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