# taz.de -- Flüchtlinge in Mali: Jede ist mal an der Reihe | |
> Die Stadt Mopti ist ein Anlaufpunkt für viele Flüchtlinge aus dem Norden | |
> Malis. Die einen warten ab, die anderen wollen kämpfen. | |
Bild: Kommt aus dem umkämpften Norden Malis: Flüchtlingsfamilie in der Haupts… | |
MOPTI taz | Das Zentrum von Mopti gleicht einem riesigen Grabbeltisch. Am | |
Straßenrand verkauft ein Händler abgetragene Jeans, Hemden und T-Shirts aus | |
Europa, einen Stand weiter gibt es Handys und DVDs in schlechter Qualität. | |
Ab und zu quäkt die Fahrradhupe eines Getränkeverkäufers. | |
Jungen ziehen mit ihren schmutzigen Plastikschüsseln durch die Straßen, | |
rezitieren Auszüge aus dem Koran und betteln auf diese Weise um etwas Essen | |
oder Geld. Und sobald einer der Überlandbusse ankommt, stürzen sich die | |
Taxifahrer auf die wenigen Passagiere, die aus dem Süden kommen und in | |
Mopti aussteigen. | |
Zugenommen haben in Mopti nur die Polizeikontrollen. Heute stehen die | |
Beamten an jeder Kreuzung und an jedem Kreisverkehr. Besonders am | |
Ortseingang der Stadt, in der offiziell 85.000 Menschen leben, | |
kontrollieren sie. Fahrzeugpapiere, Führerschein, Versicherungskarte und | |
der obligatorische Blick in den Kofferraum. | |
Das hat damit zu tun, dass Mopti so gerade eben zum Süden des Landes | |
gehört. Bis nach Douentza – dort herrschen längst die radikalen Islamisten | |
von Ansar Dine (Verfechter des Glaubens) – sind es knapp 200 Kilometer. | |
Dazwischen liegt die Grenze zu Azawad, jenem Staat, den die | |
Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) am 6. April ausgerufen hat und der bei | |
vielen Maliern nur noch eins auslöst: Wut. Mali gilt vor allem im Süden den | |
allermeisten Menschen als unteilbar. | |
## Das malische Venedig | |
Auch für Issa Ballo, der in seinem Büro im Zentrum von Mopti sitzt. | |
Eigentlich könnte er seine Autovermietung gleich schließen. „An diesem | |
Wochenende kommen keine Touristen“, sagt Ballo, der seine Kunden früher ins | |
Land der Dogon oder zur großen Lehmmoschee von Djenné gefahren hat. An | |
diese Zeiten erinnern nur noch ein paar alte, vergilbte Plakate, die am | |
Boden stehen. | |
Eines wirbt für „Mopti – das Venedig von Mali“. Doch in das malische | |
Venedig traut sich niemand mehr. Das sei für die ganze Region katastrophal, | |
sagt Ballo. Denn knapp 70 Prozent der Einnahmen in der Gegend wären durch | |
den Tourismus erwirtschaftet worden. Dass dieser nun völlig brachliege, sei | |
kein Luxusproblem. „Jeder hängt vom Tourismus ab: die Gemüsefrauen, die | |
Fischer, die Jungs, die Zigaretten und Wasser verkaufen – alle.“ | |
Ballo blickt auf die Straße. Fünf Jahre, so schätzt er, dürfte es brauchen, | |
bis sich Mopti erholt – wenn es denn eine Lösung für den Konflikt im Norden | |
gäbe. „Wir brauchen Frieden, Sicherheit und Stabilität, erst dann kommen | |
die Kunden wieder“, sagt der Autovermieter. Er kann es den Touristen nicht | |
verdenken. Wer will schon Urlaub kurz vor der Frontlinie machen? | |
Den Norden haben nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten | |
Nationen (UNHCR) bisher 412.000 Menschen verlassen. Knapp die Hälfte – | |
204.000 Menschen – fanden im Süden Malis Unterschlupf. Auch die | |
Einwohnerzahlen von Mopti sowie der Nachbarstadt Sévaré sind stark | |
gewachsen. Unterkunft bieten den Flüchtlingen häufig Verwandte. | |
## Eine Kuh und ein paar Ziegen | |
Über den Hof von Almadane Diakite toben zehn Kinder. Das kleinste wird von | |
seiner Mutter gestillt, die zusammen mit anderen Frauen auf einer | |
Strohmatte im Schatten sitzt. Unter einem niedrigen Dach stehen eine Kuh | |
und ein paar Ziegen – die eiserne Reserve für den Notfall – und knabbern an | |
geschnittenen Grashalmen. Aus dem Haus dudelt ein Radio. | |
Auf Songhay besprechend die Frauen, wer heute das Essen kochen wird, vor | |
allem aber, was es gibt. „Jeder ist mal an der Reihe“, sagt Almadane | |
Diakite. Heute ist die Tochter ihres Bruders dran. Für 30 Menschen soll die | |
20-jährige Fattyta Cisse Pâte – einen Hirsebrei – zubereiten. Ein bisschen | |
Soße gibt es dazu. Für etwas Fleisch reicht das Geld schon lange nicht | |
mehr. | |
Seit der Unabhängigkeitserklärung des Nordens teilen sich die dreißig | |
Menschen auf dem Hof der Familie Diakite fünf Zimmer und versuchen, jeden | |
Tag genügend Essen zu besorgen. „Was hätte ich denn machen sollen? Irgendwo | |
müssen sie ja hin“, sagt Almadane Diakite, die auf einem wackeligen | |
Plastikstuhl sitzt. Insgesamt 25 Personen hat sie aufgenommen. Neben ihrem | |
Sohn, der bisher in Timbuktu gelebt hat, sind es ihre Neffen und Nichten | |
aus Gao. | |
## Modische Frisur | |
Ihre Nichte Fattyta Cisse ist froh, dass sie die Stadt noch rechtzeitig | |
verlassen konnte. Die radikalen Vorstellungen der Islamisten haben ihr | |
Angst eingejagt, besonders die Einführung der Scharia. Fattyta trägt einen | |
Kurzhaarschnitt mit bunten Strähnchen. „Im Norden leben?“, ruft sie, | |
während sie das Holz zum Kochen zusammensucht. „Auf keinen Fall. Ich will | |
mich doch nicht verschleiern!“ Ihre Cousinen nicken, keine von ihnen trägt | |
einen Schleier. Und alle haben modische Frisuren. „Natürlich“, grinst | |
Fattyta, die junge Muslimin. | |
Ob und wann sie wieder nach Gao zurückgeht? Auf diese Frage zuckt sie mit | |
den Schultern. „Wenn es wieder ruhiger geworden ist“, sagt sie und | |
verschränkt die Arme. Doch bis das der Fall sein wird, heißt es für sie in | |
Mopti ausharren, warten und darauf hoffen, dass der Mann von Tante Almadane | |
genügend Geld aus Bamako schickt. Er ist dorthin gezogen, um etwas mehr | |
Geld für die neue Großfamilie zu verdienen. In Sévaré gibt es kaum noch | |
Verdienstmöglichkeiten. | |
## Die Rekrutin | |
Ausharren will Aïssata Amadou auf keinen Fall. Sie ist genauso alt wie | |
Fattyta Cisse und stammt ebenfalls aus Gao. Jetzt steht sie in der Nähe des | |
großen Krankenhauses von Sévaré in der Sonne und hat die Lippen fest | |
aufeinandergebissen. Die junge, magere Frau trägt ein schwarzes T-Shirt und | |
schaut auf den sandigen Platz. In Gedanken scheint sie weit weg zu sein. | |
Doch jetzt muss sie ran. Wieder einmal wird das Marschieren geübt. | |
Gemeinsam mit 50 anderen jungen Leuten trainiert sich Aïssata Amadou den | |
richtigen energischen Schritt an. Stiefel gibt es nicht. Flipflops müssen | |
reichen. | |
Die 20-Jährige und die übrigen jungen Leute gehören der FLN – den | |
Befreiungskräften für den Norden – an. Es ist eine von mehreren | |
Milizengruppen, die seit April in Mali Anhänger sammeln und den Norden | |
zurückerobern wollen. 1.026 Kämpfer habe die FLN, sagt Moussa Traoré, der | |
die Ausbildung von Aïssata Amadou und der anderen Rekruten übernommen | |
übernommen hat. | |
Viele stammen aus dem Norden, doch die Bewegung sei offen für alle | |
ethnischen Gruppen. Die 50 Rekruten, die an diesem Tag da sind, reihen sich | |
nun um Traoré herum auf und singen gemeinsam. Aïssata Amadou taut auf und | |
vergisst ihren strengen Blick. Sie lacht und macht mit der Handykamera | |
kurze Filmchen von ihren Kameraden. | |
Dabei hat sie vom Marschieren und den Gesängen eigentlich genug. Sie will | |
kämpfen und den Norden zurückerobern. „Ich bin hier für mein Land“, sagt | |
sie und ist ganz und gar nicht damit einverstanden, was in ihrer | |
Heimatstadt Gao passiert ist. „Es geht nicht, dass man einfach die | |
Unabhängigkeit erklärt, ohne uns zu fragen“, sagt die 20-Jährige. Ihre | |
Antworten sind kurz und knapp. Die Scharia will sie zwar auch nicht. Doch | |
sauer ist sie vor allem auf die MNLA. Die Rebellenbewegung, der überwiegend | |
Tuareg angehören, hätte Mali die ganzen Probleme beschert und die Region | |
für alle anderen radikalen Gruppen geöffnet. | |
## Eine von fünf | |
Aïssata Amadou will das wieder rückgängig machen. Doch ob sie und die | |
übrigen Milizen tatsächlich etwas gegen die radikalen Gruppierungen | |
ausrichten können, gilt als fraglich. Die Armee, so erklärt ihr Ausbilder | |
Traoré, unterstütze die Milizen zwar nach allen Kräften und stelle zum | |
Beispiel Waffen und Munition für das Schießtraining zur Verfügung. Doch | |
heute heißt es mal wieder nur: marschieren und die Motivation bewahren. | |
„Kämpft für euer Land“, brüllt Moussa Traoré über den Platz. | |
„Ihr macht das für Mali. Mali soll eins bleiben.“ Noch treibt es sie an, | |
auch Aïssata Amadou, die eine von fünf Frauen auf dem Platz ist. „Natürlich | |
habe ich keine Angst. Gerade als Frau muss ich kämpfen.“ Diese Einstellung | |
könne vielleicht ein wenig Druck auf die Armee ausüben, hofft jemand aus | |
Sévaré. Denn zumindest stimme bei den Milizen die Motivation. | |
Nach dem Appell hat Aïssata Amadou Pause. Die junge Frau setzt sich auf die | |
Stufen des kleinen Hauses, in dem sie mit den anderen Frauen schläft. Auf | |
dem kleinen Kocher wird schwarzer, bitterer Tee zubereitet. Die 20-Jährige | |
kneift die Augen zusammen und zeigt auf die Flagge, die auf dem Appellplatz | |
steht. Die sei Zeichen ihrer Heimat. „Wir haben schon viel zu lange | |
gewartet und müssen sie endlich wieder befreien.“ | |
19 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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