| # taz.de -- Europäischer Wassermarkt: Privatisierung mit Wenn und Aber | |
| > Kommunen müssen Aufträge bei der Wasserversorgung in Zukunft EU-weit | |
| > ausschreiben und private Angebote berücksichtigen. Kritiker befürchten | |
| > Qualitätsverluste. | |
| Bild: Muss bald privates Wasser trinken: Herr Marienkäfer. | |
| BRÜSSEL taz | Die EU hat Regeln für die Privatisierung der Wasserversorgung | |
| in Europa gesetzt. Eine entsprechende Richtlinie wurde am Donnerstag vom | |
| zuständigen Ausschuss im Europäischen Parlament verabschiedet. Sie zwingt | |
| Städte und Gemeinden zwar nicht – wie Kritiker behaupten –, direkt zu | |
| privatisieren. Aber Aufträge müssen in Zukunft EU-weit ausgeschrieben | |
| werden – auch für private Unternehmen. Das hat automatisch eine Öffnung des | |
| Wassermarkts zur Folge. | |
| „Gerade in Zeiten knapper Kassen werden sich sicherlich Städte für das | |
| günstigere Angebot eines Privatunternehmens entscheiden. Darunter kann die | |
| Qualität leiden“, befürchtet Matthias Schmitt, der bei den Kölner | |
| Stadtwerken für die Wasserversorgung zuständig ist. Bisher prüft sein Labor | |
| über 22.000 Proben im Jahr – doppelt so viel wie gesetzlich vorgeschrieben. | |
| „Ein privates Unternehmen, das nur auf Profit aus ist, würde das bestimmt | |
| nicht machen“, meint er. | |
| Damit steht der Wasserversorgungsspezialist nicht allein. In Deutschland | |
| befürchten viele, dass die Qualität der Wassernetze und deren Prüfung unter | |
| der neuen Brüsseler Richtlinie leiden könnte. Auf [1][www.right2water.eu] | |
| haben sich bereits über eine halbe Million Bürger dagegen ausgesprochen. | |
| Bis September wollen die Initiatoren eine Million Unterschriften sammeln, | |
| um mit einer Europäischen Bürgerinitiative die EU-Kommission aufzufordern, | |
| das Gesetzesvorhaben zu stoppen. | |
| ## EVP stimmt zu, CDU/CSU dagegen | |
| Dieses aber hat mit Zustimmung der konservativen Mehrheit der Europäischen | |
| Volkspartei EVP im Europa-Parlament nun eine Hürde genommen – obwohl die | |
| deutschen CDU/CSU-Abgeordneten dagegen stimmten. „Der Nachweis, was diese | |
| Richtlinie verbessern soll, ist bis heute nicht erbracht“, so der | |
| binnenmarktpolitische EVP-Sprecher Andreas Schwab. | |
| Tatsächlich sprechen alle bisherigen Beispiele in der EU gegen eine | |
| Privatisierung: In London wurde das Wasser vor 13 Jahren privatisiert. | |
| Seitdem spart das Versorgungsunternehmen. Immer mehr Rohrbrüche sind die | |
| Folge. Im vergangenen Frühjahr kam bei den Endkunden in einigen Teilen | |
| Londons sogar überhaupt nichts mehr an, weil über 20 Prozent des Wassers | |
| aus den Rohren im Boden versickerte. Das ist viermal so viel wie in | |
| Deutschland. Gleichzeitig stiegen die Preise für Wasser. | |
| In einigen portugiesischen Gemeinden ist das Wasser nach der Privatisierung | |
| um 400 Prozent teurer geworden. „Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut. Die | |
| Wasserversorgung ist deshalb in öffentlicher Hand am besten aufgehoben“, | |
| sagt die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt, die ebenfalls gegen die | |
| neue EU-Richtlinie gestimmt hat. | |
| ## Ausnahmeregeln für manche Kommunen | |
| Von den neuen Regeln aus Brüssel sollen diejenigen Kommunen ausgenommen | |
| werden, die ihre Wasserversorgung noch komplett in öffentlicher Hand haben. | |
| Erst wenn weniger als 80 Prozent des Umsatzes des zuständigen Betriebs an | |
| die Kommune gehen, gelten die neuen Ausschreiberegeln. Dazu zählt | |
| allerdings auch Umsatz, der mit anderen Produkten, zum Beispiel mit Strom, | |
| gemacht wird. | |
| Besonders pikant dabei: Ausgerechnet die Europäische Kommission hat die | |
| Städte und Gemeinden vor einigen Jahren dazu aufgefordert, ihre kommunalen | |
| Betriebe zumindest zum Teil zu privatisieren und zudem sogenannte | |
| Öffentlich-Private Partnerschaften aufzubauen. „Genau das wird uns jetzt | |
| zum Verhängnis. Wir haben gar keine Möglichkeit mehr, die Wasserversorgung | |
| wieder zu 100 Prozent in öffentliche Hand zu geben“, erklärt der Kölner | |
| Wasserwerker Matthias Schmitt. | |
| Das heißt: Auch diese Städte müssen in Zukunft europaweit ausschreiben. Sie | |
| können dafür zwar eigene Kriterien – etwa für Umweltschutz – aufstellen, | |
| müssen sich aber rechtfertigen, falls sie sich gegen ein günstigeres | |
| privates Angebot entscheiden. Im schlimmsten Fall könnte das abgelehnte | |
| Unternehmen vor Gericht ziehen. | |
| 24 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.right2water.eu/de | |
| ## AUTOREN | |
| Ruth Reichstein | |
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