# taz.de -- Echo-Verleihung in Berlin: Innen gepresst, draußen Frei.Wild | |
> In einer flickenteppichhaften Inszenierung wurden über 20 Echos | |
> verliehen, die meisten an die Toten Hosen. Die Kontroversen um Frei.Wild | |
> blieben außen vor. | |
Bild: Drinnen: Doppelsieger Cro performt dutzendfach. | |
BERLIN taz | Wie kann man es nur schon auf den ersten Metern so dermaßen | |
verhühnern? An zwei sehr sichtbaren Seilen schwebt Moderatorin Helene | |
Fischer ins Berliner Palais am Funkturm, schlägt einige ungelenke Salti, | |
singt eine unheimlich biedere Version von „Let Me Entertain You“ und | |
begrüßt, auf dem Boden angekommen, das Publikum allen Ernstes mit „Tja, der | |
Echo. Das ist schon eine ganz besondere Musikpreisverleihung.“ | |
Tja, haha. Das ist er wirklich. Liegen ihm doch bei den Nominierungen, man | |
kann nicht oft genug daran erinnern, keinerlei künstlerische Kriterien zu | |
Grunde, sondern ausschließlich die Chartsplatzierungen der vergangenen 12 | |
Monate. „Der-Teufel-scheißt-auf-den-größten-Haufen“-Preis wäre ein | |
passenderer Name. | |
Was für Probleme dieses Verfahren mit sich bringen kann, bekamen die | |
Echo-Veranstalter vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI) vor zwei Wochen | |
zu spüren: Die automatische Nominierung der Südtiroler Rockband Frei.Wild | |
führte dazu, dass die ebenfalls in der Kategorie „Rock/Alternative | |
national“ aufgestellten Kraftklub und MIA. ihre | |
[1][//www.taz.de/Aerger-um-Echo-Nominierungen/!112371/:Teilnahme absagten], | |
weil sie Frei.Wild zu nah an rechtem Gedankengut sehen. | |
Anderthalb Tage wogten Empörungswellen, vor allem auf den Facebook-Seiten | |
der Betroffenen, danach entschloss der BVMI sich, | |
[2][//www.taz.de/Echo-Nominierungen/!112419/:Frei.Wild wieder auszuladen] – | |
damit der Musikpreis nicht von einer politischen Diskussion überlagert | |
würde, so die Begründung. Man wolle für die Zukunft auch | |
[3][//www.taz.de/Diskussion-um-FreiWild/!112468/:die | |
Nominierungsrichtlinien überdenken]. | |
Von diesem Vorlauf ist am Abend der Verleihung nur noch vor dem Palais am | |
Funkturm etwas zu spüren. Dort veranstaltet die NPD eine Mahnwache für | |
Frei.Wild – knapp 15 Gestalten stehen verloren herum, ohne Fahnen oder | |
Transparente, aber von doppelt so vielen Polizisten bewacht. | |
Auf der anderen Straßenseite hingegen feiern sich Frei.Wild. Die vier | |
Musiker baden in ihren Fans, mehrere hundert sind gekommen. Sie halten | |
Plakate hoch und tragen weiße Shirts mit der Aufschrift „Frei.Wild gegen | |
Rassismus und Extremismus“ (die Fans, nicht die Band), daneben steht ein | |
Truck mit der Aufschrift „Leckt uns am Arsch“. Wie auch immer die Ausladung | |
vom Echo zu bewerten ist: Dem Zusammenhalt zwischen Frei.Wild und ihren | |
Anhängern hat die Geschichte sicher gut getan. | |
Nach drinnen dringt das alles nicht vor. Nur ein Wort fällt: „Kontrovers“ | |
sei die Kategorie ja gewesen, so die Preisüberreicherin Katie Melua. Sagt | |
aber nicht, warum, und vergisst vor lauter Aufregung auch noch, die anderen | |
Nominierten vorzulesen, was sonst in keiner Kategorie passiert. Ein Zufall? | |
Dann ein ziemlich unglücklicher. Unheilig bekommt schließlich den Preis. | |
Die Band hatte sich vorher als einziger Nominierter der Kategorie komplett | |
aus dem Streit herausgehalten. | |
## Überblick verloren | |
Ansonsten verliert man bei den 27 sich zum Teil überlappenden Kategorien – | |
beste Künstler, beste Alben, beste Bands, Newcomer, national und | |
international, Pop, Rock, Schlager, Volksmusik, undsoweiter – spätestens | |
nach der vierten den Überblick. Gerade waren Pur und Boss Hoss noch die | |
Nominierten bei der „Besten Band national“ (Gewinner: Tote Hosen), dann | |
sagt Hartmut Engler von Pur in einem Einspieler-Filmchen an, dass Boss Hoss | |
jetzt den Preis für die beste Künstlerin vergeben. | |
Die verleihen dann den Preis an Ivy Quainoo, die Gewinnerin genau jener | |
Casting-Show, in der Boss Hoss selbst in der Jury saßen – zusammen mit Rea | |
Garvey, der seinerseits als bester Künstler nominiert ist und direkt | |
anschließend in einem Einspieler … willkommen in der äußerst überschaubar… | |
Welt des deutschen Spitzenpop. | |
Das Spielchen, dass jeder Nominierte auch mal Presenter ist, in einem | |
Einspielerfilmchen vorkommt und häufig auch noch als Live-Act, zieht sich | |
durch den gesamten Abend, mit dem Höhepunkt, dass Moderatorin Fischer | |
selbst zwei Echos bekommt. Es ist einer der wenigen Momente, wo man sie | |
überhaupt mal auf der Bühne sieht: Fast alle Programmpunkte werden durch | |
Einspieler, Laudatoren oder durch Olli Briesch, der nur als Stimme aus dem | |
Off vorkommt, übernommen. | |
So wird die flickentepppichartige Beliebigkeit, die Musikpreisen im | |
Allgemeinen und dem Echo im Speziellen ohnehin anhaftet, ins fast | |
Unerträgliche gesteigert. Alles läuft wie auf Speed, es schmeckt auch | |
ähnlich metallen. Die Kunst des Timings, die Magie der Pause, des | |
Tempowechsels, des Innehaltens scheint der Regie fremd zu sein – was auch | |
wenig Wunder nimmt, wenn zahllose Kategorien und rund ein Dutzend Live-Acts | |
in drei Stunden gepresst werden. Die meisten Preise gewinnen übrigens die | |
Toten Hosen, aus sieben Nominierungen werden vier Echos. | |
## Keine magischen Momente | |
Die „magischen Momente“, die von der zu keinem Zeitpunkt locker wirkenden | |
Helene Fischer in einer Moderation beschworen werden, schafft man mit | |
derart hochgetakteter Professionalität natürlich nicht. Es gibt sie | |
allenfalls im Kleinen: Roman Lob („Radio-Echo“) und Lena Meyer-Landrut | |
(„Bestes Video“) zeigen sich wirklich ergriffen von ihren Preisen, | |
Deichkind („Electronic/Club/Dance“) schaffen mit einer mitgebrachten | |
Laudatiovorleserin ein kleines dadaistisches Element. | |
Max Raabe wiederum schummelt mit seinem nonchalanten Näselbass wirklich ein | |
wenig Glamour und Witz in die Veranstaltung („Sie werden es bemerkt haben, | |
die größten Chancen hat man heute Abend, wenn man entweder aus Düsseldorf | |
kommt oder eine Pandamaske trägt. Die größten Chancen hat also ein Panda, | |
der aus Düsseldorf kommt“). Und Campinos frei gehaltene Laudatio auf Led | |
Zeppelin, die einen Lebenswerk-Echo international bekommen, ist gelungen | |
und aufrichtig. | |
Genau wie die umfangreiche Ehrung von Hannes Wader für sein Lebenswerk | |
national. Zum Thema Frei.Wild sagt Wader allerdings genausowenig wie alle | |
anderen, er hat auch gar keine Zeit dafür. Dafür gelingt ihm das letzte | |
Bonmot des Abends: „Ich guck mir das morgen alles in Ruhe auf YouTube an.“ | |
22 Mar 2013 | |
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## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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