| # taz.de -- Ausreiseverbot für serbische Roma: An der Grenze zurückgeschickt | |
| > „Was soll ich hier?“, fragen sich Roma, die in den Slums von Belgrad | |
| > leben. Hier herrschen Arbeitslosigkeit, Armut und Elend. Einige wollen | |
| > weg nach Deutschland. | |
| Bild: Bescheidene Verhältnisse: Ajrija Demir mit ihrem Sohn Senad in ihrer Hü… | |
| BELGRAD taz | Wenn Straßen in Belgrad so aussehen, als lägen sie in Manila, | |
| dann wohnen dort Roma. Eine dieser slumartigen Siedlungen liegt hinter der | |
| Straße Tosin Bunar, in der Nähe der Innenstadt: Etwa fünfzig Hütten stehen | |
| hier in einer Senke, der Weg ist so verschlammt, dass der Karren, auf dem | |
| eine Gruppe junger Männer hoch aufgetürmtes Altpapier vor sich herschiebt, | |
| immer wieder stecken bleibt. | |
| Eine richtige Arbeit hat hier kaum einer, die Menschen leben vom | |
| Müllsammeln. Hunde streunen umher, auf dem Boden liegt der Kadaver einer | |
| Ratte. | |
| Ajrija Demir, 44, kommt Besuchern entgegen. Sie sollen nicht allein in die | |
| Siedlung laufen, „das wäre nicht gut“. In einer der Hütten, die Strom, ab… | |
| kein warmes Wasser haben, wohnt sie mit zwei Töchtern, einem Sohn und einer | |
| Enkelin. Von Dauer ist das nicht: „Auf das Haus passe ich nur auf, solange | |
| die Besitzer weg sind“, sagt Demir. Bald kommen sie zurück. Dann steht sie | |
| wieder auf der Straße. Wie die Jahre zuvor. | |
| Ajrija Demir kennt ein anderes Leben: Zweimal war sie in Deutschland, | |
| sieben Jahre insgesamt. Ihre Asylanträge wurden abgelehnt, der Abschiebung | |
| kam sie jeweils durch Ausreise zuvor. „Es ist ein gutes Land“, sagt sie, | |
| die Sprache beherrscht sie bis heute. Selbst ihre 16-jährige Tochter kann | |
| noch genug Deutsch, um etwa die Trash-TV-Oper „Berlin – Tag und Nacht“ zu | |
| verfolgen. | |
| Die Familie lebt von 90 Euro Sozialleistungen, die Kinder essen jeden Tag | |
| in einem Projekt für Straßenkinder. Demirs größte Sorge: Ihr Sohn ist | |
| Epileptiker. „Ich kann ihn hier nicht behandeln lassen, so wird es | |
| schlimmer“, sagt sie. Ihre Hoffnung: Zurück nach Deutschland. | |
| Im November 2009 hat die EU Serben von der Visumpflicht ausgenommen. Sie | |
| können seither frei in den Schengen-Raum einreisen. 2012 stellten rund | |
| 8.500 Serben einen Antrag auf Asyl in Deutschland, die meisten waren Roma. | |
| ## Drohungen aus Deutschland | |
| Das sind viel weniger als in den neunziger Jahren, und so gut wie kein | |
| Serbe bekommt letztlich Asyl. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) | |
| setzte den Kampf gegen die „Armutszuwanderung“ letztes Jahr trotzdem ganz | |
| oben auf die politische Agenda: „Das ist ein Ausnutzen unseres Systems, und | |
| ich nenne es Missbrauch“, sagte er. Der Regierung in Belgrad drohte er: | |
| „Die Visumfreiheit hat sich offensichtlich nicht bewährt.“ | |
| Auch Ajrija Demir wollte kommen. Im Juli 2012 kaufte sie drei Bustickets, | |
| Belgrad–Dortmund; das ist nah an Münster, dort kennt sie sich aus, | |
| irgendwie, so hoffte sie, werde es mit der Aufenthaltserlaubnis klappen. | |
| Verwandte hatten zusammengelegt, 107 Euro pro Person, 29 Stunden Fahrt; | |
| gepackt hatte sie nicht viel, sie besitzt nicht viel. | |
| Nach drei Stunden am serbisch-ungarischen Grenzübergang Horgos, dem Tor zum | |
| Schengen-Raum, war die Reise zu Ende: „Die serbischen Grenzer haben mich | |
| nicht rausgelassen.“ Warum? „Keine Ahnung.“ Aber sie weiß: „Ich werde … | |
| wieder versuchen.“ | |
| Nur wenige Hütten weiter lebt Lerje*. Die junge Frau steht am Herd, sie | |
| trägt ein weißes, zu großes T-Shirt und einen Wickelrock, in der Hütte | |
| mischt sich der Dampf des Kochwassers mit dem Qualm der vielen Zigaretten, | |
| die die Männer rauchen, die auf den beiden Sofas sitzen. | |
| ## Das Ziel ist Lüneburg | |
| Das Einzige, was in der Hütte neu und unbenutzt aussieht, ist der | |
| dunkelrote Pass, den sie aus einem schiefen Regal kramt. Lerje will nach | |
| Lüneburg. Bekannte leben dort. „Was soll ich hier?“, fragt sie. | |
| Im Sommer 2012 hatte sich Lerje mit einem ihrer Kinder schon mal | |
| aufgemacht. „Beim ersten Mal haben die Grenzer gefragt, ob ich Geld habe.“ | |
| 500 Euro pro Person, in bar, seien das Minimum, um sich im Ausland | |
| versorgen zu können, hätten sie erklärt. Lerje hatte ihr Geld für die | |
| Bustickets ausgegeben. Die verfielen nun. Sie musste aussteigen, zurück | |
| nach Belgrad. | |
| Monatelang sparte die Familie, am Ende reichte es für neue Busfahrkarten | |
| und, immerhin, 150 Euro pro Person. Im Januar bestieg Lerje den Bus erneut, | |
| wieder wurde sie in Horgos aufgehalten. „Ich zeigte ihnen das Geld, doch | |
| diesmal sagten sie: Ich brauche eine Rückfahrkarte und ein | |
| Einladungsschreiben.“ Wieder war die Reise für sie in Horgos zu Ende, | |
| wieder fuhr der Bus ohne sie und das Kind weiter. | |
| Im Souterrain eines Altbaus auf der anderen Seite der Innenstadt hat die | |
| Bürgerrechtsorganisation Regional Centre for Minorities ihr Büro. „Wir | |
| betrachten das seit einiger Zeit“, sagt Jovana Vukovic, eine junge Frau mit | |
| feuerroten Locken. Auf Druck der EU fängt Serbien „falsche Asylanten“ an | |
| der Grenze ab, „mit willkürlichen Begründungen“. | |
| ## Ohne Rechtsgrundlage | |
| Im November erklärte die stellvertretende Ministerin für Europäische | |
| Integration, Suzana Grubjesic, im Parlament, dass seit Juni 5.000 Personen | |
| die Ausreise verweigert worden sei. „Betroffen sind die Armen – also Roma�… | |
| sagt Vukovic. Es gebe keine Rechtsgrundlage dafür, „das ist ganz klar | |
| verfassungswidrig“, sagt sie. | |
| „Es steht ja nicht im Pass, wer Roma ist.“ Und es verstoße gegen die | |
| UN-Menschenrechtskonvention: Deren Artikel 13, Satz 2 lautet „Jeder hat das | |
| Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen.“ | |
| 2011, als er noch serbischer Innenminister war, rief Ivica Dacic die Roma | |
| dazu auf, nicht im Ausland Asyl zu suchen, um „serbische Interessen“ nicht | |
| zu gefährden. Heute, als Ministerpräsident, nennt der Sozialist es „nicht | |
| hinnehmbar, wenn alle Bürger Serbiens für den offensichtlichen Missbrauch | |
| des Asylrechts durch eine Minderheit zahlen“ müssten. | |
| ## Die Drohung wirkt | |
| Als EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström letztes Jahr ankündigte, die | |
| Visumfreiheit für Länder wie Serbien wieder aufzuheben, wenn die Zahl der | |
| Asylbewerber „deutlich ansteigt“, war man in Belgrad alarmiert. Serbien | |
| werde „alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen“ nutzen, um die Asylanträge | |
| einzuschränken, sagte Außenminister Ivan Mrkic. | |
| Im Dezember 2012 fügte das Parlament dem Strafgesetzbuch den Artikel 350a | |
| hinzu: Auf die „Beihilfe zu einem Asylantrag im Ausland zur Erschleichung | |
| von Sozialleistungen“ stehen seither bis zu drei Jahre Gefängnis. Selbst | |
| darüber, abgeschobenen Asylbewerbern den Pass zu entziehen, wird in Belgrad | |
| nachgedacht. Mazedonien hat den „Missbrauch des visumfreien Regimes mit den | |
| Mitgliedstaaten der EU“ schon im November 2011 unter Strafe gestellt. | |
| Die Bürgerrechtlerin Vukovic würde die Ausreisesperren gerne gerichtlich | |
| prüfen lassen, findet aber keinen Kläger. „Kein Rom traut sich, sich so mit | |
| dem Staat anzulegen“, sagt sie. Die Visumfreiheit sei das wichtigste Gut | |
| für die Regierung, das will sie unbedingt erhalten. „Dafür opfern sie die | |
| Grundrechte der Roma.“ | |
| *Name geändert | |
| 9 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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