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# taz.de -- Gigantische Welse in Deutschland: Die Monster aus der Tiefe
> Problembären und Kreuzottern. Der heimischen Fauna mangelte es viel zu
> lange an Tieren, die uns das Fürchten lehren – bis der Riesenwels
> auftauchte.
Bild: Ist er nicht süüüüß?
BERLIN taz | In den heimischen Gewässern sind Zwei-Meter-Exemplare keine
Seltenheit mehr. Inzwischen haben die „Riesenwelse den Rhein erobert“,
Biologen sprächen von der größten Veränderung der Wasserfauna seit der
Eiszeit und rätselten über den Grund, berichtet der Spiegel. Beobachter
sind entsetzt über die großen Raubfische, weil sie nicht nur alle anderen
Fische fressen, sondern auch Wasservögel und größere Nagetiere.
In Bayern schreckte ein Zweieinhalb-Meter-Wels – „Killer-Waller“ dort
genannt – nicht einmal vor unseren größten flugfähigen Vögeln, den
Schwänen, zurück. In einem niederösterreichischen Badesee zog ein solcher
Riesenwels sogar eine 14-Jährige unter Wasser. Im Berliner Schlachtensee
wurde eine Schwimmerin schmerzhaft gebissen, anschließend zog ein Angler
einen 2,60 Meter langen „Monsterwels“ aus dem See. Das unheimliche,
geradezu plötzliche Wachstum des schuppenlosen Schlammfisches „Europäischer
Wels“ geschieht zusammen mit anderen gravierenden Veränderungen in der
Unterwasser-Fauna; einige seien hier genannt:
1. Die Hummer vor der Ostküste der USA vermehren sich wie noch nie und
werden immer bunter. Als Ursache wird ebenso wie bei den Welsen die
Erwärmung des Wassers vermutet. Die dortigen Hummerfischer sind über ihre
zunehmend üppigeren Hummerernten nicht froh, denn das Überangebot macht
mehr Arbeit, gleichzeitig verdienen sie jedoch immer weniger, weil die
Hummerpreise sinken. Jüngst kam es zu einem Streit zwischen kanadischen und
amerikanischen Hummerfischern, weil diese ihre Tiere in Kanada zu
Dumpingpreisen verkauften.
2. Die Makrelen wandern immer weiter nordwärts – bis nach Island. Dort in
der 200-Seemeilen-Fischfangzone werden die Schwärme von isländischen
Fischern gefangen, die nun laufend ihre Fangquoten erhöhen. Die Fischer in
der EU möchten den Makrelenschwärmen nachfolgen, aber die isländischen
Kollegen sind schneller.
Die EU droht Island und den Färöer-Inseln nun mit Sanktionen. Der
Klimawandel habe das Verbreitungsgebiet der Tiere verändert, verteidigt
sich Islands Fischereiminister: „Große Mengen von Makrelen fallen in unsere
Gewässer ein. Das sind gierige Tiere, die auch anderen Arten Futter
wegnahmen. Island hat Anspruch auf einen gerechten Anteil von dieser
wandernden Art. Das kann niemand bestreiten.“
## Die Aale hauen ab
3. Über das Abwandern der Sandaale an der irischen, schottischen und
norwegischen Küste sorgen sich vor allem die Vogelfreunde: Sie gehören zur
Hauptnahrung der dort brütenden Papageientaucher. Die an der Nordspitze
Irlands brütenden Paare sind bereits auf der Suche nach neuen Lebensräumen.
Auf deren Brutfelsen beobachtete der Biologe und Autor Cord Riechelmann,
dass die Papageientaucher kaum noch Junge großziehen können, weil es kaum
noch Sandaale in ihren Revieren gibt. Diese seien wegen der Klimaerwärmung
in kältere Meereszonen abgewandert.
4. Im Mittelmeer gibt es sogenannte Steckmuscheln, sie leben mit einem
winzigen Krebs zusammen, der Steckmuschelwächter heißt und sich in ihrem
Inneren angesiedelt hat. Wenn er sieht, dass Eßbares zwischen die Schalen
der Muschel geraten ist, zwickt er sie, die sich daraufhin schließt, und
beide machen sich dann über die Nahrung her. Schon antike Philosophen wie
Aristoteles und nach ihm Plutarch und Cicero haben sich mit dieser zu ihrer
Zeit gerühmten Symbiose zwischen der Steckmuschel und dem
Steckmuschelwächter beschäftigt.
Ihr Interesse war jedoch auch ökonomisch motiviert, denn die Steckmuschel
hält sich mit sogenannten Byssusfäden am Boden fest. Diese Fäden hat man
damals zu einer sehr edlen und teuren Seide verarbeitet. In zwei
italienischen Hafenstädten geschieht das heute noch. Unlängst wurde auch
ihr Symbiont, der Steckmuschelwächter, zu einem ökonomischen Problem:
Mitarbeiter der Schutzstation Wattenmeer fanden ihn vor Sylt im Inneren
einer Miesmuschel.
## Beunruhigte Miesmuschelfischer
Sie vermuten, dass die Ursache seines Vordringens in den Norden entweder
eine Folge der Meereserwärmung ist oder der Einfuhr von Miesmuscheln aus
England, wo er früher jedoch auch so gut wie gar nicht vorkam. Muscheln aus
Großbritannien werden trotz Protesten der Naturschützer seit 2006 im
Wattenmeer ausgebracht. Und bei Sylt befinden sich Schleswig-Holsteins
größte Zuchtflächen für Miesmuscheln. Die Miesmuschelfischer befürchten
wegen des Muschelwächter-Fundes bereits eine Verunreinigung ihrer
Muschelbänke – und damit Absatzprobleme, denn es sei wenig
verkaufsfördernd, wenn Krebse in der Muschel hausten und mitgekocht werden.
So könnte diese tatsächlich zum Wächter der Muscheln werden.
Für das unheimliche Wachstum des europäischen Welses haben die
Fischforscher und Fischer viele Erklärungen: Neben der Klimaerwärmung
könnten auch die Rückstände von Medikamenten, unter anderem Östrogen, das
Wachstum der Raubfische anregen. Eine andere These ist, dass die langsam
von Industrieabfällen und Agrarrückständen gesäuberten Gewässer dem
Fischbesatz zugute kommen und damit auch ihrem Fressfeind.
Genetiker sprechen dagegen von einer spontanen „Mutation“, Mikrobiologen
von einem Magen-Darm-Parasiten, der die Verdauung beim Wels anregt, was
wiederum zur Nahrungsaufnahme motiviert, die schließlich sein Wachstum
beschleunigt.
## Das Zeichen von oben
Die Eso-Szene vermutet eher einen wachstumsfördernden Einfluss von
Sonnenprotuberanzen, die seit einigen Jahren zunehmen, während die
gläubigen Angler es für ein „Zeichen“ von noch weiter oben halten. Einige
Angler aus Berlin-Kreuzberg geben dagegen zu bedenken: „Im Mekong ist aus
industriellen Gründen, wegen Dammbauten zum Beispiel, gerade der dort
heimische Riesenwels am Aussterben, dafür haben wir ihn jetzt hier … So
what!“
Die vietnamesischen Fischhändler in ihrer Lichtenberger Großmarkthalle
versprechen bereits, sich darauf einzustellen. Der Fischforscher Dr.
Salm-Schwader gibt jedoch zu bedenken: „Riesenwelse hat es hier schon immer
gegeben – das ist ein Anglermythos, der schon seit Hunderten von Jahren
durch die seltenen Fänge großer alter Welse genährt wird.“
Zwei Mitarbeiter des „Instituts für Küstenforschung“ am Helmholtz-Zentrum
in Geesthacht, der Klimaforscher Hans von Storch und der Ethnologe Werner
Krauß, haben gerade ein Buch mit dem Titel „Die Klimafalle“ veröffentlich…
darin geht es darum, dass „die Klimaforschung von der Politik gekidnappt
wurde, um ihre Entscheidungen als von der Wissenschaft vorgegeben und als
alternativlos verkaufen zu können“.
Etwas anders verhält es sich mit den oben erwähnten Veränderungen bei der
Unterwasser-Fauna, so weit es die Fisch-, Krebs- und Muschel-Bestände
betrifft, die von den immer hochtechnischer gerüsteten Fischern ausgebeutet
werden: Hierbei liefert der „Klimawandel“ ihnen eine billige Erklärung für
Probleme, denen sie machtlos vis à vis stehen.
20 Apr 2013
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Gewässer
Fische
Fischerei
Film
Schwerpunkt Klimawandel
Elbe
Papua-Neuguinea
Greenpeace
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