# taz.de -- Wolfgang Welschs Evolutionsbuch: Auch wir waren einmal Fisch | |
> In seinem Buch „Mensch und Welt“ verfolgt Wolfgang Welsch unser Sein | |
> zurück bis in die Urzeit. Und er erklärt das Ende unserer | |
> „Weltfremdheit“. | |
Bild: Menschen betrachten ihre Vergangenheit, hier sind es Walhaie im größten… | |
Kann der Mensch die Welt denken? Ist es für uns möglich, die Welt so | |
wahrzunehmen, wie sie aus sich heraus ist? Oder ist unsere Wahrnehmung so | |
sehr durch unser Menschsein bestimmt, dass eine objektive Welterfassung gar | |
nicht möglich ist? In der Antike bestanden über diese Frage noch durchaus | |
unterschiedliche Auffassungen. | |
Während Platon und Aristoteles die Ansicht vertraten, Mensch und Welt seien | |
weitgehend kongruent, der Mensch sozusagen der Mikrokosmos des Makrokosmos, | |
verkündete Protagoras im Gegensatz dazu, der Mensch sei das Maß aller | |
Dinge, alle Dinge könnten also nur nach Menschenmaß betrachtet werden. | |
Damit nahm er die Position der Moderne vorweg, die im Wesentlichen auf | |
einem anthropozentrischen Konstruktivismus basiert. | |
Wolfgang Welsch, Professor für Theoretische Philosophie an der Uni Jena, | |
ist in einer Vorlesungsreihe, die der C. H. Beck Verlag nun als Buch | |
herausgebracht hat, angetreten, einen Gegenentwurf zu diesen hartnäckigen | |
Denkfiguren zu skizzieren. Seine Argumentation nimmt ihren Anfang bei den | |
biologischen Grundlagen allen Lebens, denen auch der Mensch entstammt: | |
„Ältestes ist uns inhärent. Unser Sein erstreckt sich bis in Urzeiten.“ | |
Unser Sein hat sich entwickelt aus und ist immer noch verwandt mit den | |
einfachsten Lebensformen überhaupt. | |
Auch der menschliche Embryo durchlaufe in seiner Formentwicklung innerhalb | |
weniger Monate den Weg der Evolution. „Auch wir waren einmal Fisch“, fasst | |
Welsch seine evolutionistische Sichtweise in ein anschauliches Bild und | |
geht so weit, zu erklären, das in uns liegende evolutionäre Erbe sei es, | |
das es dem Menschen mitunter ermögliche, Empfindungen der | |
Transzendentalität zu erleben. | |
## Die Beschaffenheit von festen Körpern | |
Das ist ein hoch spannendes, wenngleich ebenso hoch spekulatives Subthema, | |
das der Autor jedoch nur streift, um an- und abschließend nachvollziehbar | |
die evolutionäre Entwicklung der Kognition zu beschreiben, angefangen bei | |
den primitiven sensorischen Strukturen der Einzeller bis hin zum komplexen | |
Kognitions- und Reflexionssystem des menschlichen Hirns. Kognition sei | |
überlebenswichtig, „eine notwendige Grundleistung“ für jeden lebenden | |
Organismus, und „in diesem Sinn sind Lebewesen konstitutiv offene und nicht | |
etwa autarke Systeme“, das heißt, sie sind stets nur als Teil ihrer Umwelt, | |
also der Welt, zu begreifen. | |
Natürlich gilt das auch für den Menschen. Und auch wenn Welsch schon mal | |
Sätze von reinstem Philosophensprech fallen lässt, ist seine eingehende | |
Nacherzählung von der evolutionären Entwicklung der Kognition von irdischen | |
Lebewesen sehr nachvollziehbar. Sie läuft darauf hinaus, dass der Mensch, | |
auch wenn seine Möglichkeiten der Kognition stets relationalen | |
Beschränkungen unterliegen, nicht als „Weltfremdling“ betrachtet werden | |
sollte. | |
Und das nicht nur deswegen, da wir grundlegende, zutreffende Wahrnehmungen | |
der Welt, wie etwa die Annahmen über die Beschaffenheit von festen Körpern, | |
mit weit primitiveren Lebewesen teilen. Denn gerade die Entwicklung der | |
hoch entwickelten menschlichen Kognition sei ja selbst ein Produkt der | |
Evolution und damit ein Merkmal der Weltverbundenheit des Menschen. | |
## Ein gewisser ontologischer Anker | |
Und als sei dies als Endpunkt der Thesenentwicklung nun zu sehr | |
Allgemeinplatz geworden, treibt Welsch dann eigenartigerweise seine | |
Argumentation ein wenig zu weit in Richtung auf ein anthropozentrisches | |
Denken, wenn er sie schließlich noch zuspitzt auf die Formulierung: „Daher | |
bezieht sich, wenn wir uns auf die Welt beziehen, eigentlich die Welt auf | |
sich selbst, betreibt ihre Selbstverfassung – in unserem Erkennen erfasst | |
sich die Welt.“ | |
Als sei es für „die Welt“ eine notwendige Grundleistung, sich zu erfassen. | |
Dieses Sicherfassen aber ist dann wohl doch die Spezialleistung des | |
Menschen. Und auch wenn man im evolutionsbiologischen Ursprung dieser | |
sonderbaren Fähigkeit einen gewissen ontologischen Anker findet, ist die | |
Frage nach der kognitiven Weltfremd- oder -verbundenheit des Menschen damit | |
längst noch nicht vom Tisch gewischt. | |
Einen anregenden Denkansatz aber liefert Welschs Vorlesung allemal. | |
Möglicherweise hätte mancher Argumentationsstrang noch gewonnen, wenn man | |
nicht einfach eine Vorlesung in Buchdeckel gepresst, sondern der Philosoph | |
auf Basis der Vorlesung ein richtiges Buch geschrieben hätte. Aber das | |
kommt ja vielleicht noch? | |
21 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
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