# taz.de -- Verleger über Urheberrecht: „Ein Roman ist kein Tweet“ | |
> Die Open-Source-Idee setzt die Buchbranche unter Druck. Die Verlage sind | |
> keine Platzhirsche mehr. Der DuMont-Verleger Jo Lendle hält sie dennoch | |
> für unverzichtbar. | |
Bild: Unbetitelte Buchskulptur des Künstlers Matias Faldbakken auf der Dokumen… | |
taz: Herr Lendle, in einem Beitrag zur Urheberechtsdebatte für die Welt | |
haben Sie kürzlich an „Piratensympathisanten“ gerichtet geschrieben, „die | |
meisten Verlage würden mit Sparbüchern besser fahren als mit Büchern“. | |
Basieren bestimmte Argumente, die in dieser Debatte kursieren, darauf, dass | |
die Leute gar nicht wissen, wie die Buchbranche funktioniert? | |
Jo Lendle: Vor allem wissen die meisten nicht, wie ein Buch kalkuliert | |
wird. Man kann das einem normalen Leser nicht vorwerfen. Es ist halt nur | |
verstörend, wenn sich jemand lautstark an der Debatte beteiligt, der | |
keinerlei Hintergrundkenntnisse hat. | |
Könnte man auch selbstkritisch sagen, dass das Bild der Buchverlage in | |
Teilen der Öffentlichkeit ist, wie es ist, weil es die Branche in den | |
letzten Jahren versäumt hat, ein realistisches zu vermitteln? | |
Wir vermitteln das eigentlich immer ganz gern, bei DuMont gab es sogar mal | |
einen Dokumentarfilm aus dem Inneren der Blackbox Verlag: „Houwelandt – ein | |
Roman entsteht“. Und die Verlage haben im Zuge der Novellierung des | |
Urhebervertragsrechts schon vor Jahren Kalkulationen offengelegt. | |
Aber der gewöhnliche Kulturkonsument weiß doch nicht, dass die | |
Verkaufszahlen manches sehr guten, in der Presse rauf und runter gelobten | |
Romans sich oft nur im niedrigen vierstelligen Bereich bewegen. | |
Damit gehen wir nicht hausieren, weil wir den einzelnen Autoren und sein | |
Werk nicht beschädigen möchten. Aber dass die Mischkalkulation prinzipiell | |
zu unserer, Angela Merkel würde sagen: Staatsräson gehört, ist ein offenes | |
Geheimnis. | |
Die FAZ hat kürzlich mit Bezug auf eine Piratin geschrieben, bei ihr sei | |
ein „Künstlerhass“ zu beobachten, den es in der Form „nur in den | |
schlimmsten Spießerzeiten der CDU in den fünfziger Jahren gegeben“ habe. | |
Spüren Sie den in der Debatte manchmal auch? | |
So weit würde ich nicht gehen. So lange die Diskussionen nicht von | |
Grobheiten geprägt sind, finde ich sie durchaus anregend. Ich bin auch gern | |
bereit, meine Sichtweisen infrage zu stellen. Man geht anders an Produkte | |
heran, wenn man viel im Netz unterwegs ist. Wenn man mit der | |
Open-Source-Idee aufgewachsen ist, wenn man sich auf Wikipedia tummelt, | |
wenn man freie Programme teilt, an denen viele Hände mitgearbeitet haben – | |
dann kriegt man ein anderes Gefühl für die Früchte geistiger Arbeit, und | |
diese Aspekte finde ich interessant und bedenkenswert. | |
Nur, dass sich die Entstehungsweise eines Beitrags für eine | |
Onlineenzyklopädie oder die einer Software nicht auf künstlerische Produkte | |
übertragen lässt. | |
Eben, das ist der entscheidende Unterschied. Ich gestehe sofort zu, dass im | |
Netz eine Kultur des Austausches und des Teilens entstanden ist, die ich | |
begrüße. Da hinein gehören so wenig limitierende Spielregeln wie möglich. | |
Aber ein ganzer Roman ist noch mal etwas anderes als ein Tweet. Und wenn | |
dann jemand daherkommt und sagt, ein Roman gründe immer auf Vorhergehendem | |
und sei insofern keine originäre Leistung, ist das mit dieser | |
Schlussfolgerung einfach Quatsch. Es ist nicht das Alphabet, sondern das, | |
was man daraus macht. Auch dem Architekten, der jedes Mal wieder vier Wände | |
und ein Dach neu zusammenkomponiert, wirft man nicht vor, seine Leistung | |
habe keine eigene Schöpfungshöhe. | |
In der Debatte fällt auf, dass sich die Schriftsteller verhältnismäßig | |
positiv über die Verlage äußern. Im Journalismus ist das nicht so. Hat die | |
Buchbranche zu Recht ein so gutes Image? | |
Die Verträge mit den Autoren sind nach allgemeinem Dafürhalten korrekt. Es | |
gibt, anders als im Journalismus oder beim Film, keine | |
Total-Buy-out-Vereinbarungen. Wir haben allerdings eine Auseinandersetzung | |
mit den Übersetzern, die sich nicht ausreichend honoriert fühlen. | |
Sie sind als Geschäftsführer des DuMont Buchverlags so genannter Verwerter | |
und in Ihrer Eigenschaft als Romanautor für DVA auch Urheber. In der | |
Musikbranche gibt es das ja häufiger, dass Labelbesitzer selbst Musiker | |
sind. Sind solche Doppelrollen in der Buchbranche seltener? | |
Vermutlich, obwohl ich nicht der Einzige bin. Michael Krüger etwa, der | |
Verleger des Hanser-Verlags, veröffentlicht eigene Bücher bei Suhrkamp. | |
Manche Urheberrechtskritiker, die zumindest vorgeben, sie argumentierten im | |
Sinne der Künstler, wenn sie gegen die Verwerter zu Felde ziehen, können | |
sich so eine Doppelfunktion wohl gar nicht vorstellen. | |
Ich finde es immer ganz anregend, nicht nur eine Rolle einzunehmen, sondern | |
zum Beispiel auch zu schauen, was eigentlich in meinem Autorenvertrag | |
drinsteht. Außerdem bin ich drittens ja auch Leser oder Musikhörer und | |
beobachte, wie sich mein Einkaufs- und Rezeptionsverhalten mit dem | |
Aufkommen von iTunes und E-Book-Stores verändert hat. | |
Hat es sich signifikant verändert? | |
Was Musik angeht, ja. Ich kaufe mehr Dateien als physische Produkte. | |
Glauben Sie, dass die Fronten in der Urheberrechtsdebatte aufweichen | |
könnten? | |
Die Fraktionen sind nicht immer so klar abzugrenzen. Ich kenne einen | |
nerdigen Schriftsteller, der sich sagt: Ich verkaufe sowieso nichts, ich | |
stürze mich jetzt mal ganz auf diese Idee, dass alles allen gehört und | |
sowieso jeder ein Urheber ist. Wichtig wäre, dass die sofort einsetzenden | |
Reflexe aufhören, dieses berühmte „Früher haben wir doch auch Kassetten | |
überspielt“. Ja, haben wir. Und so etwas soll auch nicht strafbar gemacht | |
werden. Aber es hat mit unserer Situation heute nicht viel zu tun, damit | |
lässt sich in der digitalen Welt schlecht argumentieren. Abgesehen davon | |
finde ich, dass wichtiger als ein reformiertes Urheberrecht eine | |
tolerantere Handhabung des Zitatrechts ist. | |
Inwiefern? | |
Ich beobachte gerade neugierig die Diskussionen um Kleinstnutzungen, zum | |
Beispiel die Debatte um Leistungsschutzrechte, die die Zeitungsverlage | |
angestoßen haben. Da stehe ich auf der anderen Seite. | |
Also nicht auf der Ihrer Verlegerkollegen, die dafür Geld sehen wollen, | |
dass Suchmaschinen und andere Plattformen auf Textschnipsel von Zeitungen | |
zurückgreifen? | |
Auch diese Diskussion verfolge ich durchaus als Konsument. Ich beobachte | |
skeptisch, dass Zeitungsverlage Künstler belangen, die ein Lob aus einer | |
Zeitung auf ihrer Website veröffentlichen. Da würde ich mir mehr Toleranz | |
wünschen, so dass in dem Bereich irgendwann einmal Rechtssicherheit | |
herrscht. In dem Bereich Zitat- und Kleinnutzungsrecht gibt es Grauzonen, | |
das merken wir auch hier im Verlag. Was ist, wenn ein Autor in einem Roman | |
eine Songzeile zitieren will? Fragt man da beim Rechteinhaber an oder | |
nicht? | |
Die Frage hat sich doch auch in Prä-Internet-Zeiten schon gestellt. | |
Ja, aber solche Fragen werden von der aktuellen Diskussion über das | |
Urheberrecht in der digitalen Welt beeinflusst, sie bekommen eine andere | |
Dynamik. | |
Die Debatte scheint auch die Position jener zu stärken, die der Auffassung | |
sind, Schriftsteller seien besser dran, wenn sie die Verlage umgehen. Es | |
gibt ja bereits Beispiele dafür, dass Autoren ihre E-Books selbst | |
herausbringen oder die entsprechenden Rechte an Amazon verkauft haben. | |
Natürlich verändert sich die Position der klassischen Verlage. Es ist | |
völlig in Ordnung, dass Veränderungen stattfinden, dafür ist das Internet | |
auch da. | |
Was entgegnen Sie jenen, die die Buchverlage bereits für obsolet halten? | |
Wenn es keine Filter gibt, herrscht erst einmal Rauschen. Das Rauschen zu | |
dämmen, ist das Versprechen von Institutionen wie einem Buchverlag. Ich | |
glaube, dass diese Arbeit auch weiterhin geschätzt werden wird. Es ist kein | |
wahnsinnig großes Vergnügen, ein unlektoriertes Buch zu lesen. Diese | |
Erfahrung muss vielleicht erst noch gemacht werden. Sowohl die Auswahl des | |
Programms als auch die Begleitung eines Buchs von der Entstehung bis zur | |
Fertigstellung sind wichtige Aufgaben. Wir werden Systeme nebeneinander | |
haben; genauso wie wir das E-Book neben dem gedruckten Buch haben werden, | |
wird es das klassische Buchgeschäft geben neben einem Buchgeschäft ohne | |
Verlage, wie wir sie kennen. | |
Hat Ihr Verlag nennenswerte Probleme aufgrund von E-Book-Piraterie? | |
Die sind feststellbar, aber sie sind sehr schwer zu quantifizieren, weil | |
die Downloadzahlen kaum zu erheben sind. Und Einbußen lassen sich schon | |
deshalb schlecht berechnen, weil man nie weiß, wie viele illegale | |
Downloader das jeweilige Buch wirklich gekauft hätten. Natürlich wird sich | |
die Situation durch die stärkere Verbreitung von funktionalen E-Readern | |
verschärfen. Bis vor einiger Zeit war es ja noch nicht sonderlich angenehm, | |
ein Buch am Bildschirm zu lesen. | |
Recherchiert DuMont die illegalen Downloads selbst, oder beauftragen Sie | |
dafür Dienstleister? | |
Im Augenblick nicht, obwohl wir durchaus mit dem Gedanken spielen. Nicht, | |
weil wir einzelne User abmahnen wollen, sondern um die | |
Filesharing-Plattformen schneller bremsen zu können. | |
20 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
DuMont | |
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