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# taz.de -- Adorno-Vorlesung in Frankfurt: Der Staat zahlt doppelt
> Der Soziologe und Direktor des Max-Planck-Instituts Wolfgang Streeck
> hielt in Frankfurt seine erste Adorno-Vorlesung. Er spach über die Krise
> und Kapitalismus.
Bild: Sonntagsfahrverbot: Spätestens nach der Ölkrise von 1974 kam die Quittu…
Das Frankfurter Institut für Sozialforschung richtet zusammen mit dem
Suhrkamp Verlag jedes Jahr die Adorno-Vorlesungen aus. Ein international
renommierter Sozialwissenschaftler wird eingeladen zu drei Vorlesungen über
Themen, mit denen sich auch Theodor W. Adorno befasste. Dieses Jahr war
Wolfgang Streeck, der geschäftsführende Direktor des Kölner
Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, eingeladen.
Streeck ist empirischer Soziologe, ein Gebiet, auf dem sich auch Adorno
nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit mehreren Studien profilierte. Streeck
sprach zum Thema „Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen
Kapitalismus“. In der ersten Vorlesung behandelte er die aktuelle
Entwicklung „Von der Legitimationskrise zur Finanzkrise.“
Streeck hat unter anderem in Frankfurt studiert. Er ist kein
Adorno-Schüler, aber er teilt mit diesem den kritischen Blick auf die
kapitalistische Gesellschaft. In seinem temperamentvollen und lehrreichen
Vortag machte er deutlich, dass er – wie Marx und Adorno – davon ausgeht,
dass Krisen auch schlecht ausgehen können und Katastrophen immer möglich
sind.
Streeck erinnerte an die Frankfurter Krisentheorie der 70er Jahre von
Jürgen Habermas, Oskar Negt und Claus Offe, die den „Spätkapitalismus“
analysierten, sich aber zu einseitig auf dessen Legitimationsprobleme
bezogen. Die Frankfurter Kritik am Spätkapitalismus stützte sich auf
emanzipatorischen Forderungen im Zuge der 68er Bewegung; sie konzentrierte
sich auf Repression, Hierarchien und Leistungsdruck und unterschätzte die
Handlungsfähigkeit des Kapitals.
Spätestens nach der Ölkrise von 1974 kam die Quittung. Das Kapital kündigte
den Nachkriegspakt zwischen Kapital und Arbeit im Sinne einer sozialen, auf
Ausgleich bedachten Marktwirtschaft auf und setzte fortan im Zeichen von
Selbstregulierung des Marktes, Flexibilisierung und Privatisierung auf
„mehr Freiheit und weniger Staat“. Der Keynesianismus wurde verabschiedet,
an seine Stelle trat ein neoliberal unterlegter „Neo-Hayekianismus“.
## Institutionalisierte Massenarbeitslosigkeit
Diese monetär ausgerichtete Politik nahm Inflationsraten bis zur 20 Prozent
in Kauf und institutionalisierte damit zunächst die Massenarbeitslosigkeit.
Durch die darauf einsetzende Inflationsbekämpfung verloren die
Gewerkschaften zuerst ihren Verteilungsspielraum, dann große Teile der
Mitgliedschaft (weil es nichts mehr zu verteilen gab) und schließlich
weitgehend die Streikfähigkeit.
Davon beflügelt, beschleunigte das Kapital seinen Ausstieg aus dem Pakt.
Weil der Staat nicht mehr in der Lage war, seine sozialen Versprechungen zu
erfüllen, musste er sich stärker verschulden, „kaufte also Zeit“, um den
Konflikt um nötige Steuererhöhungen hinauszuschieben. Es blieb nur der Weg
über „Reformen“, das heißt rabiates Sparen und eine Teilprivatisierung der
Lebensrisiken. Um das kapitalfreundlich zu organisieren, wurden die
Finanzmärkte radikal liberalisiert, was die private Verschuldung steigerte
und die staatliche Verschuldung kaum bremste.
Am Ende dieser Entwicklung, die in den 80er Jahren begann, stand zu Beginn
des 21. Jahrhunderts die dreifache Krise, die bis heute andauert: die
Bankenkrise, die Staatsschuldenkrise und die Krise der Realökonomie. Nun
muss der Staat die Banken retten, indem er faule Kredite sozialisiert,
womit die Staatsschulden steigen und sich die realökonomische Krise
verschärft. Welche Risiken sich daraus ergeben, wird Streeck in der zweiten
und dritten Vorlesung am 21. und 22. Juni darlegen. Das Publikum bedankte
sich für eine klare Analyse mit starkem Beifall.
21 Jun 2012
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
2013
Schwerpunkt Urheberrecht
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