# taz.de -- Jahrestagung des Börsenvereins: Der Dorfknüppel weist den Weg | |
> Der Börsenverein des deutschen Buchhandels ringt mit dem elektronischen | |
> Buch. Auf seiner Jahrestagung diskutiert die Branche über die Grenzen der | |
> Legalität. | |
Bild: E-Reader, immer wieder E-Reader. Verlage tun sich immer noch schwer mit d… | |
Sie tun sich immer noch schwer mit den gigantischen Veränderungen, denen | |
sich die Verlage, die Buchhändler und die Autoren gegenübersehen. In den | |
USA wurden in diesem Jahr zum ersten Mal mehr Umsätze mit E-Books gemacht | |
als mit Hardcover-Ausgaben. In Deutschland ist der Marktanteil jedoch | |
vergleichsweise gering. Die Branche mag dem körperlosen Buch bisher nicht | |
ganz über den Weg trauen. Es herrscht Angst vor all denen, die für die | |
digital verfügbaren Inhalte gar kein Geld mehr bezahlen wollen oder mit | |
geklauten Online-Angeboten sogar selbst Geschäfte machen. | |
„ePiraten – Freibeuter, Wegelagerer, Innovatoren?“, so hatte der | |
Arbeitskreis Elektronisches Publizieren (Akep) des Börsenvereins des | |
deutschen Buchhandels seine Jahrestagung bei den Buchtagen 2012 | |
überschrieben, mit der zugleich der 20. Geburtstag des Arbeitskreises | |
begangen wurde. Trotz des Fragezeichens zielte der Titel deutlich in eine | |
Richtung: Geredet werden sollte über Leute, die am Rande oder außerhalb des | |
Gesetzes unterwegs sind. Der aufs Podium geladenen Autorin Kathrin Passig | |
war diese einseitige Festlegung keinesfalls recht. | |
Es sei nicht hilfreich, sich in der Urheberrechtsdebatte mit den wahlweise | |
„paranoiden“ oder „schäbigen“ (Hans Magnus Enzensberger) Piraten einen | |
kriminellen Gegner der Verwerter und Urheber zu schaffen, den es mit allen | |
Mitteln zu bekämpfen gilt. Zudem sei nicht jede Weitergabe von | |
Informationen im Netz schon Piraterie. So habe der Sprachwissenschaftler | |
Anatal Stefanowitsch vor kurzem in einem Artikel auf [1][carta.info] | |
klargestellt: „Wir sind doch auch alle Filesharer.“ Ohne diese Praxis wäre | |
wissenschaftliche Arbeit nicht möglich. | |
Für Verwerter wie für Urheber, so Passig, herrschten schwierige Zeiten mit | |
ungewissem Ausgang. Doch die Sorge um den eigenen Beruf dürfe nicht dazu | |
führen, dass man sich einen Feind konstruiert, „wie man ihn am liebsten | |
hätte“. Nicht zuletzt beleidige man mit der Piraten-Metapher auch seine | |
Kunden. Weniger sensibel zeigte sich da Matthias Leonardy, Geschäftsführer | |
der Lobbyorganisation „Gesellschaft zur Verfolgung von | |
Urheberrechtsverletzungen“ (GVU), die hauptsächlich für die Filmindustrie | |
arbeitet. Vor kurzem gelang es ihr, das illegale Streamingportal kino.to | |
abzuschalten. | |
## Beratungsresistente Gratisnutzer | |
In seinem Kurzreferat unterschied Leonardy streng zwischen Kunden und | |
Nutzern, wobei Erstere für das, was sie haben wollen, zahlen, während das | |
bei den Nutzern nicht unbedingt vorauszusetzen sei. Gegen | |
beratungsresistente Gratisnutzer müsse, je nach Grad der kriminellen | |
Schwere, entsprechend juristisch vorgegangen werden. | |
Dass es bei den digitalen Entwicklungen auf dem Buchmarkt weit mehr | |
ungeklärte Fragen gibt als die nach dem juristischen Umgang mit „Piraten“, | |
mahnte die Kunden- beziehungsweise Leserrepräsentantin Stefanie Leo an. | |
Insbesondere beim E-Book sieht die Buchkäuferin Verbesserungsbedarf. So | |
verstehe sie nicht, warum sie für ein immaterielles Buch, das auf einem | |
schon lektorierten Druckerzeugnis beruhe, fast genauso viel zahlen müsse | |
wie für die Hardcoverversion, die Kosten für den Reader nicht eingerechnet. | |
## Lobo kündigt Verlagsgründung an | |
Solche Einzelheiten erschienen dem Anwalt Leonardy als „Luxusdebatte“ nicht | |
wirklich der Rede wert. Im Kern gehe es darum, ob überhaupt gezahlt werde | |
oder nicht. Damit wandte er sich explizit gegen den Vortrag des Autors | |
Sascha Lobo, der angetreten war zu zeigen, wie man den „Buchstabenverkauf“ | |
zukunftsfähig machen könne. Der Blogger und Buchautor Lobo hatte in seinem | |
15-Punkte-Programm vorgeschlagen, das Produkt hin zum „Buch als Service“ zu | |
entwickeln mit einer „Tendenz zum Produktpreis von 0 Euro“. Bezahlt werden | |
solle durchaus, allerdings nur für den Service. | |
Lobo war es vorbehalten, Optimismus für die kommenden Entwicklungen des | |
Buchstabenverkaufs zu verbreiten – mit Beispielen aus der Vergangenheit: | |
Ein früher Buchservice sei etwa der im 17. Jahrhundert gebräuchliche | |
„Dorfknüppel“ gewesen, eine Schriftrolle, die in einem Ort von Haus zu Haus | |
gereicht und für kurze Zeit vermietet wurde. Und Piraterie? Einfach gar | |
nicht ignorieren. Um zu demonstrieren, dass er es mit seinen eigenen | |
Beratervorschlägen ernst meine, kündigte er die Gründung des Verlags | |
Sobooks an, der Ende des Jahres seinen Betrieb aufnehmen wird. | |
Der Börsenverein sucht selbst eifrig nach konkreten Strategien für die | |
Branche, wenn auch mit bodenständigerem Ansatz. Ein Beispiel dafür ist der | |
„Werkzeugkasten“, ein Beratungsangebot für stationäre Buchhändler. Deren | |
aktuelle Bedürfnisse sind ziemlich handfest – ihre Hauptsorge ist, wie sie | |
E-Books im stationären Handel unterbringen. Ein Modell wie das „Buch als | |
Service“ klingt da noch etwas nach Zukunftsmusik. | |
22 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://carta.info | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Ulla Unseld-Berkéwicz | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
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