# taz.de -- Im Osten Papua-Neuguineas: Masken und Menschenfleisch | |
> Mit dem Boot unterwegs auf dem Karawari River. Urwald, Sumpf und ein | |
> verzweigtes Flusssystem bestimmen diese Region. Straßen gibt es hier | |
> keine. | |
Bild: Bunt bemalte Frau am Ufer des Karawari. | |
Der Außenbordmotor stört die Ruhe des Dschungels. Ein paar Reiher fliegen | |
auf, als unser Boot um die Kurve biegt. Wir fahren den Karawari River | |
hinauf; sind in der Sepikregion unterwegs, dem entlegensten Teil | |
Papua-Neuguineas. | |
Jetzt in der Trockenzeit liegt der Fluss ruhig vor uns – spiegelblank zeigt | |
sich die Oberfläche des trüben Gewässers. Weite Sandbänke ziehen sich am | |
Ufer entlang. In der Zeit, in der der Regen ausbleibt, thronen die Dörfer | |
gut fünf Meter über dem Wasser. | |
Später im Jahr fließt der Karawari River dann direkt vor den Hütten vorbei; | |
viele von ihnen sind zum Schutz vor den Fluten auf Stelzen gebaut. | |
Kinder folgen unserem Boot im Sprintschritt am Ufer entlang, winken uns zu. | |
Immer dort, wo das Boot der Böschung so nahe kommt, dass sich die Bugwellen | |
am Ufer brechen, springen sie jauchzend ins Wasser, surfen mit ihren | |
Körpern in den Wellen unseres Motorbootes. „Das machen sie jedes Mal, wenn | |
wir vorbeifahren“, sagt Chris, der Übersetzer, der mich auf diesem Teil | |
meiner Reise begleitet. | |
Der Karawari ist ein Nebenfluss des mächtigen Sepik, des längsten Flusses | |
Papua-Neuguineas. Es waren die Deutschen, die 1885 in Person des | |
Forschungsreisenden Otto Finsch als erste Europäer in diese Gegend kamen. | |
Deshalb trug der Sepik einst auch den Namen „Kaiserin-Augusta-Fluss“. | |
Immer wieder kommen uns auf dem Karawari Menschen in ihren „Dugouts“ | |
entgegen – Booten, die aus einem einzigen Stamm herausgehauen wurden. | |
Schon aus der Ferne erkennt man, ob einem ein Mann oder eine Frau | |
entgegenrudert. Männer stehen beim Rudern, Frauen sitzen im Boot. | |
Entsprechend ist ein Männerpaddel auch deutlich länger als das für Frauen. | |
Straßen gibt es entlang des Karawari und des Sepik keine. Wer reisen will, | |
muss dies auf dem Fluss tun. | |
„Das ist hier unser Bus“, sagt Chris und zeigt auf einen längeren Dugout, | |
der laut knatternd an uns vorbeirast. Knapp ein Dutzend Menschen sitzt | |
darin, voll beladen mit Körben und Taschen. Sie sind auf dem Weg zum | |
nächsten Markt. | |
## Mit dem Flugzeug in die nächste Stadt | |
Will man die Sepikregion verlassen, hat man nur ein Möglichkeit. Man muss | |
mit dem Buschflugzeug nach Mount Hagen fliegen. Das ist die nächstgelegene | |
größere Stadt. Die allerdings liegt einige hundert Kilometer vom Karawari | |
River entfernt im Hochland. | |
Die Flugzeuge bringen normalerweise die Gäste zur Karawari Lodge, der | |
einzigen Unterkunftsmöglichkeit in weitem Umkreis. Für die meisten | |
Einheimischen ist das 400 Kina teure Flugticket unerschwinglich. 400 Kina, | |
das sind umgerechnet etwa 130 Euro – mehr als viele, die hier am Fluss | |
leben, in ihrem ganzen Leben besitzen werden. | |
Die meisten Hütten sind fast leer. Neben der Kochstelle stehen ein paar | |
Töpfe, in der Ecke aufgerollt die Bastmatten, auf denen man nachts schläft. | |
Die Moskitonetze hängen über einer Schnur, die quer durch den Raum geht. | |
Sie werden erst abends aufgespannt, wenn sich die Menschen schlafen legen. | |
## Kein Geld für Medikamente | |
Malaria ist die häufigste Krankheit in Papua-Neuguinea. Obwohl es nur ein | |
paar Tabletten brauchte, um einen Infizierten zu heilen, sterben hier auch | |
heute noch viele an Malaria. Für westliche Medizin haben die Menschen hier | |
kein Geld, und so vertrauen sie sich den Zauberern, den witch doctors, an. | |
„Manchmal helfen ihre Kräuter, manchmal nicht“, beschreibt Chris die | |
Erfolgsquote lakonisch. Auch er war schon zweimal an Malaria erkrankt. Bei | |
ihm haben die Kräuterkuren geholfen. | |
Arm sind die Menschen am Karawari aber nur nach unserem Wertesystem. Geld | |
hat in einer Gesellschaft, in der man kaum etwas kaufen kann, kaum | |
Bedeutung. Die wenigen Kina, die die Einheimischen brauchen, wenn sie alle | |
paar Monate in die Provinzhauptstadt Wewak fahren, verdienen sie mit dem | |
Verkauf von Schnitzereien, oder sie bieten auf dem Markt Fische aus dem | |
Fluss an. | |
## Begehrte Mitbringsel | |
Die geschnitzten Masken aus der Sepikregion zählen zu den begehrtesten | |
Mitbringseln aus Papua-Neuguinea. Manche Sammler machen die anstrengende | |
Reise hierher ans Ende der Welt nur, um ein paar der begehrten | |
Sammlerstücke zu kaufen. | |
Der Fluss und der Dschungel geben den Menschen alles, was sie zum Leben | |
brauchen. Der Karawari versorgt sie reichlich mit Fisch – vor allem Welse | |
und Karpfen gedeihen in dem trüben Wasser ausgezeichnet. Und aus dem Mark | |
der Sagopalme lassen sich Pfannkuchen backen. Dazu ab und zu ein paar | |
Wildfrüchte und ein gegrilltes Hühnchen. Oder man macht Jagd auf Vögel. Da | |
ist die Auswahl groß, denn entlang des Karawari leben 220 unterschiedliche | |
Arten. | |
## Begegnungen auf dem Fluss | |
Auf dem Fluss ist überraschend viel Verkehr. Alle halbe Stunde kommt uns | |
irgendjemand in seinem Dugout entgehen. In regelmäßigen Abständen passieren | |
wir Dörfer. Die Sepikregion liegt zwar weit entfernt von jeder westlichen | |
Zivilisation, unbevölkert ist sie deswegen aber nicht. | |
Früher – bevor Australien 1949, von den Vereinten Nationen beauftragt, die | |
Treuhandverwaltung in Papua-Neuguinea übernahm – lagen die Dörfer abseits | |
der Flüsse versteckt im Wald. | |
Das war überlebenswichtig. Denn in der kriegerischen Gesellschaft, in der | |
Angriff auf die Nachbarn und Verteidigung gegen sie zum Alltag gehörten, | |
wäre es viel zu gefährlich gewesen am Fluss zu wohnen. Vom Wasser aus hätte | |
der Feind schnell und unbemerkt zuschlagen können. | |
## Leben in der Nähe des Flusses | |
Plötzlich war die Nähe zum Wasser ein Vorteil. Wer am Ufer des Sepik und | |
des Karawari wohnte, dem konnten die australischen Ärzte schneller helfen, | |
den konnten die Versorgungsboote der Regierung leichter erreichen und der | |
konnte vielleicht sogar seine Kinder in eine der Dschungelschulen schicken, | |
die entlang der Flussufer erbaut wurden. | |
Schulen sind auch heute noch ein großes Problem. Chris erzählt, dass kaum | |
ein Lehrer in den Dörfern am Karawari-Fluss unterrichten wolle. | |
„Die nächsten Städte sind einfach zu weit weg. Die jungen Lehrer langweilen | |
sich hier“, sagt er. Außerdem fehlt den meisten Eltern das Geld – | |
umgerechnet mehrere hundert Euro pro Jahr –, das sie für den Schulbesuch | |
ihrer Kinder bezahlen müssten. | |
Auf dem Land ist es immer noch die Ausnahme, dass Kinder regelmäßig zur | |
Schule gehen. „Nur wenige Erwachsene in den Dörfern am Karawari können | |
lesen“, sagt Chris. Damit bestätigt er den Blick in die Statistiken. Danach | |
ist ein Drittel bis die Hälfte aller Menschen hier Analphabeten. | |
## Neun Jahre im Internat | |
Chris hat seinen Sohn auf das Internat nach Mount Hagen geschickt. „I got | |
the results of him, he is doing very well„, erzählt er stolz. Allerdings | |
wird er sein Kind lange nicht mehr sehen. Den Flug nach Mount Hagen kann er | |
sich zusätzlich zu den Schulgebühren nicht leisten. | |
Seinen Sohn wird er deshalb erst in neun Jahren, nämlich dann, wenn er die | |
Schule abgeschlossen hat, wieder in die Arme schließen können. | |
Eine Reise zum Karawari ist auch eine Art Zeitreise weit zurück in die | |
Vergangenheit. Telefone gibt es hier keine, Fernseher sucht man vergebens - | |
wie sollte man sie auch betreiben? Nur wenige Dörfer können sich | |
Dieselgeneratoren leisten, die dann wenigstens für einige Stunden am Tag | |
Strom erzeugen. | |
Und doch hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges verändert. In den | |
fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts lebten hier in der Sepikregion die | |
letzten Kannibalen Papua-Neuguineas. | |
## Alte Rituale | |
Vor nicht allzu langer Zeit gehörte es bei vielen Stämmen der Region noch | |
zu den Ritualen der Initiation eines jungen Mannes, dass er einen Feind | |
töten musste. Bevor er keinen Schädel eines Gegners „erobert“ hatte, galt | |
kein Mann als Erwachsener. | |
„In der Suppe gekocht, schmeckt Menschenfleisch besonders gut. Man kann es | |
aber auch gebraten und getrocknet essen“, verrät mir mein Übersetzer. Und: | |
Getrocknetes Menschenfleisch könne man sogar wieder einweichen und erst | |
dann zubereiten. Mensch à la Bacalao also. | |
Chris ist mit seinen 48 Jahren zu jung, um selbst Menschenfleisch gekostet | |
zu haben. Aber sein Onkel hat es probiert. „Ihm hat es geschmeckt“, sagt | |
Chris und erzählt dann, dass der Onkel den Geschmack mit dem eines | |
[1][Kasuars] verglichen habe. So gesehen ein Kompliment, denn der Laufvogel | |
gehört zu den Lieblingsspeisen der meisten Menschen in Papua-Neuguinea. | |
30 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Kasuare | |
## AUTOREN | |
Rasso Knoller | |
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Schwerpunkt Klimawandel | |
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