# taz.de -- Parteitag der Grünen: Wir wollen euer Geld! | |
> Die Partei wagt ein Experiment: Sie bittet ihre eigene, gut verdienende | |
> Wählerschaft zur Kasse. Aber wie solidarisch ist sie? | |
Bild: Ab Freitag tagt im Berliner Velodrom der Grünen-Parteitag. | |
Ist das Wort „Gutverdiener“ diskriminierend? Hm, schwierig. Cem Özdemir | |
lacht erst mal. Diskriminierung, das ist bei den Grünen immer heikel. | |
Vermintes Terrain, gefährlich. Nein, sagt der Grünen-Chef dann. „Finde ich | |
nicht problematisch. Der Begriff ist ja in Diskussionen gut eingeführt.“ | |
Sagt also Cem Özdemir nach der Vorstandssitzung am Montag. Womit man im | |
Grunde schon mitten im Thema ist. Ab Freitag tagt im Berliner Velodrom der | |
Grünen-Parteitag. 820 Delegierte werden das Wahlprogramm beschließen, | |
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke hat sich in den vergangenen Tagen in | |
Nachtschichten durch mehr als 2.600 Änderungsanträge der Basis gefräst. | |
Darunter ist auch der Antrag, der Özdemir zum Grübeln brachte. Mehrere | |
prominente Realos wie Dieter Janecek, Landeschef in Bayern, Fraktionsvize | |
Kerstin Andreae und Exparteichef Reinhard Bütikofer fordern, das Wort | |
„Gutverdiener“ aus dem Wahlprogramm zu streichen. Weil es stigmatisiere. | |
„Eine Familie mit 60.000 Euro brutto in München gehört nicht zu den | |
Gutverdienern“, sagt Janecek. | |
Nun wäre den Experten für politisch korrekte Sprache auf diesem Feld viel | |
zuzutrauen. Ganz-gut-Verdiener. Menschen mit finanziell abgesichertem | |
Hintergrund. Betroffene ohne ökonomische Einschränkungen. Aber im Grunde | |
führen solche sprachlichen Petitessen zu einer wichtigen Frage. | |
## Sozialökologischer Umbau | |
Ist die grüne Wählerschaft bereit, für den sozialökologischen Umbau der | |
Gesellschaft zu zahlen? Und wo fängt Reichtum eigentlich an? Die Grünen | |
ziehen mit einem Strauß von Maßnahmen in den Wahlkampf, der die obere | |
Mittelschicht und Reiche zur Kasse bittet. Sie wollen den Spitzensteuersatz | |
von 42 auf 49 Prozent erhöhen, eine Vermögensabgabe für Millionäre | |
einführen, das Ehegattensplitting abschmelzen. Mit dem Geld wollen sie | |
Schulen besser ausstatten, die Energiewende vorantreiben oder | |
Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. | |
Der grüne Soli für eine bessere Gesellschaft. Es ist auch: ein Experiment. | |
Im Wahlkampf 2009 sahnte die FDP noch mit dem Versprechen ab, großflächig | |
Steuern zu senken. Dass der Wille zum Geben da ist, halten Spitzengrüne | |
inzwischen für gut belegt. 71 Prozent der Grünen-Anhänger geben in einer | |
repräsentativen Wählerbefragung an, sie seien bereit, höhere Steuern zu | |
zahlen, damit mehr in Bildung und soziale Gerechtigkeit investiert werden | |
könne. | |
Der Bund der Steuerzahler hat durchgerechnet, was die | |
Spitzensteuersatzerhöhung und die Erhöhung des Grundfreibetrags auf 8.700 | |
Euro für Einzelne bedeuten würden. Alle Arbeitnehmer, die weniger als | |
60.000 Euro im Jahr verdienen, werden durch die Grünen-Pläne entlastet. | |
90 Prozent der Einkommensteuerzahler würden am Ende weniger zahlen, sagt | |
Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. „Es ist Unfug, zu behaupten, die | |
Grünen belasteten die Mittelschicht. Das Gegenteil ist der Fall.“ Auch | |
Spitzenverdiener trifft es moderat. Ein Oberarzt verdient beispielsweise | |
9.200 Euro brutto im Monat. Ginge es nach den Grünen, zahlte er in Zukunft | |
monatlich 290 Euro mehr Steuern als bisher. Ist das gerecht? | |
## Geringe Verteilungswirkungen | |
Diese Frage wird auf dem Parteitag in vielen Diskussionen mitschwingen. Und | |
der Einkommensteuertarif entfaltet vergleichsweise geringe | |
Verteilungswirkungen, weil er Erbe und Vermögen nicht antastet. Das ist bei | |
der Vermögensteuer anders. Unstrittig bei den Grünen ist, den Reichen in | |
der Gesellschaft eine befristete Vermögensabgabe abzuverlangen – jährlich | |
1,5 Prozent des Nettovermögens, Freibeträge von 1 Million Euro pro Kopf. | |
Sie soll 100 Milliarden Euro für die Kosten der Eurokrise einspielen. | |
Doch manche Landesverbände wollen mehr: eine permanente Vermögensteuer. | |
Eine Verstetigung der Idee, dass Vermögen zu Solidarität verpflichtet. | |
Mehreren Landesverbänden ist das Ziel, eine Wiedereinführung der | |
Vermögensteuer zu prüfen, im Wahlprogramm zu weich formuliert. „Das darf | |
nicht nur ein Prüfauftrag sein“, sagt NRW-Landeschef Sven Lehmann. „Länder | |
und Kommunen brauchen Verbindlichkeit.“ Seit 1997 wird die Steuerart wegen | |
verfassungsrechtlicher Bedenken nicht mehr erhoben. In NRW fehlte seitdem 1 | |
Milliarde Euro pro Jahr, sagt Lehmann. | |
Das geht Realos wie Janecek, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer oder | |
Baden-Württembergs Landeschefin Thekla Walker zu weit. Sie fürchten | |
Belastungen für den Mittelstand und einen hohen Bürokratieaufwand. Lieber | |
umfassend prüfen und die Formulierung abschwächen, lautet ihr Credo. | |
Auch zum Spitzensteuersatz liegen mehrere Anträge vor. Sie fordern eine | |
Erhöhung auf 53 Prozent – den Satz, der bis 1998 unter Helmut Kohl galt – | |
oder eine Senkung der Einkommensgrenze, ab der er gilt. | |
## Schlacht um Spitzensteuersatz ist geschlagen | |
Werden die Grünen ihr Klientel noch stärker zur Kasse bitten? Nein, das ist | |
nicht zu erwarten. Die Schlacht zum Spitzensteuersatz wurde bereits auf dem | |
Kieler Parteitag 2011 geschlagen, die Vermögensteuer würde frühestens in | |
der übernächsten Legislaturperiode relevant. Aber es wird sich an | |
Feinheiten entscheiden, wie ernst es den Grünen ist mit ihrer Solikampagne. | |
So wollen etwa der linke Volkswirtschaftler Max Löffler und Bremens | |
Finanzsenatorin Karoline Linnert den Passus zur Erbschaftsteuer deutlich | |
konkretisieren. Sie käme wie die Vermögensteuer den überschuldeten Ländern | |
zugute. | |
Der Mann hinter dem Finanzkonzept ist Jürgen Trittin, Fraktionschef und | |
Spitzenkandidat. Er hat jahrelang in Arbeitsgruppen gesessen, mit grünen | |
Ländervertretern diskutiert und Ein- und Ausgaben austariert. „Das ist das | |
umfassendste, das solidarischste und das solideste Programm, das die Grünen | |
je entwickelt haben“, sagt er, was natürlich auch ein großes Eigenlob ist. | |
So wie es aussieht, muss er sich keine Sorgen machen, dass die Partei das | |
anders sieht. | |
26 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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