# taz.de -- Kommentar Steuerpläne der Grünen: Zeit für Rot-Rot-Grün | |
> Die Gesellschaft will mehr Gerechtigkeit, die Grünen wollen von oben nach | |
> unten umverteilen. Das geht aber nur mit Rot-Rot-Grün. | |
Bild: Für Rot-Rot-Grün fehlt nur ein dritter Apfel | |
Die bundesdeutsche Gesellschaft war nie egalitär. Und auch nicht | |
empfänglich für Neiddebatten oder Klassenkampfparolen. Gerechtigkeit war | |
nie ein wahlentscheidendes Thema. | |
Doch seit Steuerzahler Milliarden für Banken lockermachen müssen und | |
Manager so viel verdienen wie Fußballstars, ist Gerechtigkeit vom weichen | |
zum harten Sujet geworden. Dass eine ausgebildete Altenpflegerin 138 Jahre | |
arbeiten muss, um zu bekommen, was der Chef eines DAX-Konzerns in einem | |
Jahr verdient, verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit. | |
Die Grünen haben das begriffen. Die wachsende Ungleichheit ist das einzige | |
Feld, auf dem Merkel angreifbar ist. Deshalb haben sie ein kühnes | |
Umverteilungsprogramm beschlossen, das die Wohlhabenden und die obere | |
Mittelschicht hierzulande jährlich Milliarden kosten würde. | |
Ist das ernst gemeint? Ein Trick? Die Grünen sind ja in gewisser Weise das | |
Pendant zu Angela Merkel. Hartz IV, Kosovokrieg, Fischer als | |
Konzernlobbyist – nichts bleibt haften, alles perlt ab. Doch die forschen | |
grünen Steuerpläne sind mehr als Wahltaktik. | |
## Es bleiben zwei Möglichkeiten | |
Die Grünen haben mit diesem Programm Schwarz-Grün so gut wie beerdigt. Sie | |
werden weder mit der Union noch mit der FDP in einer Ampel ihre | |
Kernforderungen durchsetzen können. Lassen sie sich doch darauf ein, werden | |
sie an Glaubwürdigkeit verlieren – ihre Teflonbeschichtung bekäme einen | |
Sprung. Die SPD will nur eine milde Umverteilung. Nach Absingen der | |
üblichen Schmerzensarien wäre sie kompatibel für eine Große Koalition. | |
Den Grünen bleiben zwei Möglichkeiten. Sie können, gerüstet mit einem | |
linken Programm, im Herbst in die Opposition gegen die Große Koalition | |
ziehen. Oder sie versuchen, eine Regierung zu organisieren, die zum | |
Programm passt. Bleibt nur Rot-Rot-Grün. | |
Ja, es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen. Dass Sahra Wagenknecht und | |
Peer Steinbrück ein erfreuliches Gespräch führen können, ist kaum | |
vorstellbar. Habituell sind sich Grüne und Linkspartei sehr fern. Hier | |
Ökolifestyle und Bildungsbürgerattitüde, dort der mausgraue Charme eines | |
Gewerkschaftstages. Die Aversionen, die zwischen Teilen der Linkspartei und | |
der SPD herrschen, erinnern an böse Rosenkriege. | |
Allerdings sind die gefühlten Differenzen zwischen Linkspartei und Rot-Grün | |
größer als die realen. Die rot-roten Landesregierungen im Osten haben | |
bislang stets geräuscharm bis an die Grenze zur Langeweile funktioniert. | |
Auch in der Bundes- und Außenpolitik gibt es keine unüberwindlichen | |
Differenzen, die geschickte Unterhändler nicht in Formelkompromissen | |
entsorgen könnten. Es fehlt nicht an politischen Gemeinsamkeiten. Es fehlt | |
an dem Willen, daraus Produktives zu machen. | |
## Wer umverteilt hat die Eliten gegen sich | |
Das Projekt dieser Koalition wäre die moderate Umverteilung von oben nach | |
unten. Die ist auf Parteitagen schnell beschlossen, praktisch aber schwer | |
umzusetzen. Besserverdienenden Geld abzunehmen klingt gut – aber meistens | |
scheitert schon der Versuch, die Beitragsbemessungsgrenze für Krankenkassen | |
zu erhöhen. Wer umverteilt, hat die Eliten gegen sich – vom Ressortleiter | |
beim Leitmedium über den Experten im Thinktank bis zu den üblichen | |
Lobbygruppen. | |
Aber es ist einen Versuch wert. Jedenfalls spricht die gesellschaftliche | |
Stimmung dafür. Kern der rot-rot-grünen Regierung wären die Grünen um | |
Claudia Roth und Trittin, die Zentristen in der SPD, das Bartsch-Lager in | |
der Linkspartei. Die SPD entkäme damit dem Schicksal, als Juniorpartner von | |
Merkel furchtbar zu leiden. | |
Die Steinbrück-Steinmeier-SPD wäre in dieser Mitte-links-Regierung der | |
Garant, dass alles moderat zugeht – keine unpassende Rolle. Die Linkspartei | |
könnte beweisen, dass sie sich nicht nur auf Protest versteht, sondern | |
Verbesserungen für ihre Klientel durchsetzen kann. Und die Grünen wären | |
Organisator des Experiments. | |
Das ist unrealistisch? Vielleicht. Ein Wagnis? Bestimmt. Aber besser, als | |
vergeblich auf eine rot-grüne Mehrheit zu warten, allemal. | |
3 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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