# taz.de -- Jahrestag der NS-Bücherverbrennung: Gegen das trotzkistische Bambi | |
> Vor 80 Jahren verbrannten die Nazis Bücher von mehr als 350 Autoren. Eine | |
> Ausstellung im Jüdischen Museum erinnert an die Idiotie des | |
> Nationalwahns. | |
Bild: Bücher auf dem Scheiterhaufen. | |
Ein Rehkitz vor Bäumen, hinskizziert auf einem blassblauen Stück Leinen. So | |
unspektakulär kam die Urfassung des Kinderbuchklassikers „Bambi“ daher. Die | |
„Lebensgeschichte aus dem Walde“ von Felix Salten, die später von Disney | |
verfilmt wurde, erschien 1923 im Berliner Ullstein Verlag. Dass der schmale | |
Band jetzt in einer Vitrine des Jüdischen Museums steht, neben Rosa | |
Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis“ und Albert Einsteins | |
„Relativitätstheorie“, liegt am gemeinsamen Schicksal der Bücher: Sie | |
wurden 1933 von Anhängern des Nationalsozialismus verbrannt. | |
Zwischen März und Oktober 1933 fanden mehr als 90 Bücherverbrennungen | |
statt. Vor allem in den Universitätsstädten wurden Werke von mehr als 350 | |
Autoren in die Flammen geworfen, aus Bibliotheken und Sammlungen entfernt | |
und vernichtet. 93 dieser Bücher zeigt das Jüdische Museum in der am | |
Dienstag eröffneten [1][Ausstellung „Bambi und die Relativitätstheorie: | |
Bücher auf dem Scheiterhaufen der Nazis“]. | |
In einer langen Vitrine liegen wissenschaftliche Abhandlungen wie Sigmund | |
Freuds „Das Ich und das Es“, berühmte Romane wie Erich Maria Remarques „… | |
Westen nichts Neues“ und politische Karikaturen wie „Das neue Gesicht der | |
herrschenden Klasse“ von George Grosz. Bibliophile Kostbarkeiten sind | |
darunter, zum Beispiel eine Erstausgabe von Theodor Herzls „Der | |
Judenstaat“, die dem ersten britischen Verwalter des Mandatsgebiets | |
Palästina gehörte. Und auch abgegriffene Unterhaltungsromane wie Georg | |
Hermanns „Jettchen Geberts Geschichte“, ein Bestseller der zwanziger Jahre. | |
Die Bücher sind in sechs Unterkategorien aufgeteilt, die den bei der | |
Verbrennung gerufenen „Feuersprüchen“ der Nazis folgen. Bewusst nehmen die | |
Ausstellungsmacher die Logik der Zündler von damals auf. Man wolle „die | |
Idiotie und den Wahnsinn“ der Bücherverbrennungsaktionen sichtbar machen, | |
sagte Kuratorin Margret Kampmeyer-Käding. | |
## Propaganda-Event auf dem Bebelplatz | |
Tatsächlich machen an den Haaren herbeigezogene Begründungen wie „Gegen | |
Dekadenz und moralischen Verfall“ (über die Biografien von Josephine Baker | |
oder Bertolt Brecht) oder „Gegen die seelenzerfasernde Überschätzung des | |
Trieblebens“ (über psychoanalytische Schriften von Freud oder Reich) | |
Betrachter von heute wütend. „Wie bescheuert waren die denn?“, zischt ein | |
junger Mann mit Hornbrille, als er liest, dass „Bambi“ unter die Kategorie | |
„Gegen Klassenkampf und Materialismus“ einsortiert wurde – neben Werken v… | |
Zetkin und Trotzki. | |
Der Autor Felix Salten, ein österreichisch-ungarischer Jude mit dem | |
Geburtsnamen Siegmund Salzmann, lieferte seinen Gegnern vielfachen Anlass | |
zum Wüten. Der Vorsitzende des österreichischen PEN-Clubs war ein Linker, | |
erklärter Pazifist und Verfechter eines modernen literarischen Stils. | |
Allerdings waren Gründe gar nicht nötig: Wenn den Nazis kein Etikett | |
einfallen wollte, das die Zerstörung eines Werks rechtfertigen sollte, | |
hallte es: „Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude!“, ehe Else | |
Lasker-Schülers Gedichte in Flammen aufgingen. | |
Auf einem Monitor sind Bildfolgen solcher Beschlagnahmungs- und | |
Verbrennungsszenen zu sehen: SA-Truppen plündern eine | |
Gewerkschaftsbibliothek in Leipzig; Studenten errichten auf dem Münsteraner | |
Domplatz einen „Schandpfahl“ aus Büchern und zünden ihn an; Berliner | |
Studenten der „Leibesübungen“ stürmen am 6. Mai 1933 das Institut des | |
jüdischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld und zerfleddern seine | |
Bibliothek. Das Foto, das Studenten beim Fackelzug zeigt, wie sie grinsend | |
die Büste von Hirschfeld hochhalten, vermittelt eine Ahnung von der | |
selbstgerechten Dummheit, mit der damals zu Werke gegangen wurde. | |
Schließlich sieht man auch Szenen vom Berliner Opernplatz, heute | |
Bebelplatz, wo die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 als Propaganda-Event | |
inszeniert wurde, mit dem Redner Joseph Goebbels, vielen Schaulustigen und | |
Scheinwerfern zur Ausleuchtung des Scheiterhaufens. | |
## Zahlreiche Nachahmungsaktionen | |
Dass die Bilder von Goebbels auf dem Opernplatz noch heute als Chiffre für | |
die nationalsozialistische Bücherverbrennung gelten, nennt Werner Tress | |
einen späten Sieg der NS-Propaganda. Der Wissenschaftler, der am | |
Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam lehrt, hat die Ausstellung beratend | |
begleitet. Die Bücherverbrennung sei mehr gewesen als ein paar | |
Scheiterhaufen aus Büchern, sagt Tress. „Was 1933 geschah, war eine | |
systematische, politisch motivierte Ausdünnung der deutschen | |
Geisteslandschaft.“ | |
Im März und April waren es die Schlägertruppen von SA und SS, die | |
Einrichtungen der politischen Opposition wie Gewerkschaftshäuser oder | |
Parteizentralen stürmten. Im April schlugen Mitglieder des | |
NS-Studentenbunds 12 Thesen „Wider den undeutschen Geist“ an die Portale | |
vieler Universitäten. Darunter fanden sich Sentenzen wie: „Der Jude kann | |
nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der | |
deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter. Der Student, der | |
undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner | |
Aufgabe untreu.“ | |
Der Forscher Tress kann diese Sätze auswendig zitieren. Er beschreibt, wie | |
die inszenierten Bücherverbrennungen zahlreiche Nachahmungsaktionen | |
hervorriefen: „Man nahm Sonnwendfeiern zum Anlass für Bücherverbrennungen. | |
Für viele Jugendorganisationen, die zwangsweise in die Hitlerjugend | |
aufgenommen wurden, gehörte das Zerstören von Literatur zum | |
Eingliederungsritual.“ Gab es denn gar keinen Widerstand? Doch, sagt Tress. | |
Und erzählt von einem Theologiestudenten, der auf die 12 Thesen mit einem | |
Brief antwortete: Er könne sich gar nicht entscheiden, was ihn mehr | |
aufrege: die Boshaftigkeit der deutschen Studenten oder ihre Dummheit. | |
Solche Gegenstimmen gingen im heraufziehenden Nationalwahn unter. Was nicht | |
in Flammen aufging, wurde beschlagnahmt, in Kellern gelagert, auf schwarzen | |
Listen vermerkt und schließlich verboten. | |
Die 93 Bücher, die trotz allem in der Glasvitrine des Jüdischen Museums | |
liegen, stammen aus der Sammlung von George Warburg. Der aus einer | |
deutsch-jüdischen Familie stammende Bankbeamte fing als Pensionär an, von | |
den Nazis verbannte Bücher zu sammeln. Als das Jüdische Museum ihm eine | |
Neujahrs-Grußkarte schickte, beschloss er, die Werke nach Berlin zu | |
stiften, um ein Denkmal für unterdrückte Autoren zu schaffen – ein Denkmal | |
gegen den Schwachsinn, der vor 80 Jahren das Land von Heinrich Heine und | |
Bertolt Brecht regierte. | |
## ■ Noch bis 15. September, Jüdisches Museum, Lindenstr. 9–14 | |
10 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.jmberlin.de/main/DE/01-Ausstellungen/02-Sonderaustellungen/2013/… | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Nina Apin | |
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