# taz.de -- Bücherverbrennung: Eine Verbeugung vor der Leere | |
> Vor 75 Jahren verbrannten die Nationalsozialisten auf dem Bebelplatz | |
> Bücher von ihnen unliebsamen Schriftstellern. Diese Vergangenheit wirkt | |
> in der Kargheit des zentral gelegenen Ortes bis heute nach. Eine | |
> Betrachtung | |
Bild: Auf dem Bebelplatz wurde angezündet, was nicht zur gleichgeschalteten Du… | |
"Brüderlichkeit" braucht niemand mehr. Stattdessen kann "Schönheit" die | |
dritte Säule der französischen Revolutionsbotschaft ersetzen. So jedenfalls | |
steht es auf dem Werbeplakat einer Kosmetikfirma, das an der eingerüsteten | |
Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität prangt. Das Gebäude liegt an | |
der Westseite des Bebelplatzes und der Slogan "Freiheit, Gleichheit, | |
Schönheit - für alle" zieht sich über die Frontseite der Fakultät. Eine | |
geballte Frauenhand mit rot lackiertem Daumennagel, die in ihrer Faust ein | |
Büschel Gras hält, illustriert die Botschaft. "Chapeau", möchte man denen | |
zurufen, die das entworfen haben. Sie haben alles, was der historische Ort | |
mitten in Berlin hergibt, in ihre Werbung gepackt. | |
Da ist zum einen der Platz, der nach August Bebel benannt ist. Den | |
Sozialisten grüßen die Faust und das grelle Rot. Obwohl die Farbe auch für | |
Feuer steht. Denn auf dem Bebelplatz hat es vor exakt 75 Jahren gebrannt. | |
Es hat so schwer und so schrecklich gebrannt, dass nichts mehr geblieben | |
ist, wie es vorher war. "Ich übergebe den Flammen die Schriften von …" | |
schrien die nationalsozialistischen Studenten. Die Werke von Marx, Freud, | |
Thomas Mann, Tucholsky, Anna Seghers" - das sind nur fünf von fast 150 | |
Autoren - wurden ins Feuer geworfen. So sind Namen verbrannt, sind Worte | |
verbrannt, sind Sätze verbrannt, sind Bücher verbrannt. Und mit ihnen die | |
Freiheit. | |
Auch Bebels Werke gingen in Flammen auf. Darunter seine berühmteste Schrift | |
"Die Frau und der Sozialismus". "Es gibt keine Befreiung der Menschheit | |
ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter", heißt | |
es darin. Schon dem alten Sozialistenführer also war Brüderlichkeit | |
verdächtig. Wenngleich ihm als Ersatz kaum das Recht auf Schönheit | |
vorschwebte - und damit ist im Sinne des Werbeplakats natürlich das Recht | |
auf Konsum gemeint. In dem Kontext ist unübersehbar, dass es die | |
juristische Fakultät ist, an der diese Forderung hängt, die als neues | |
Menschenrecht eingeführt wird. | |
Zurück zum Feuer: Der Bebelplatz, das Schild mit dem Namen steht windschief | |
am Rand, ist ein Ort aus Stein. Nichts ziert ihn. Kein Baum, keine Blumen. | |
Nur hie und da etwas Gras, das zwischen den Ritzen der Pflastersteine | |
hervorlugt. Wo die Freiheit verbrannt wurde, jene des Geistes und des | |
Andersseins, jene der Toleranz und Weltoffenheit, jene des Denkens und des | |
Widerspruchs, bleibt Leere zurück. Der Bebelplatz ist leer. Kein | |
großstädtischer Schrott oder Kitsch, keine Autos oder Bänke stellen ihn zu. | |
Nur ein paar Tauben sind da. Dazu dringt der scheppernde Ton einer Trompete | |
aus dem Fenster der Staatsoper Unter den Linden, die den Platz auf der | |
Ostseite begrenzt. Jemand spielt sich ein. | |
Mitten auf dem Platz gibt es ein Denkmal von Micha Ullmann, das seit 1994 | |
an die Bücherverbrennung erinnert. Es ist in den Boden versenkt. Durch eine | |
zwei Quadratmeter große Glasplatte kann man hinunter sehen in die Erde und | |
die leeren Regale einer verschlossenen, weiß gestrichenen Bibliothek | |
erkennen. | |
Die Glasplatte, die den Blick in die Tiefe frei gibt, ist ein magisches | |
Auge, das Flaneure und Touristen anzieht. Beim Überqueren des Platzes | |
wählen sie den Weg so, dass sie vorbeikommen. Am Rand des Glases bleiben | |
sie stehen und beugen sich vor, um besser sehen zu können. So verharren sie | |
einen Moment. Danach wechseln sie zur nächsten Seite des gläsernen | |
Quadrats, beugen sich noch einmal nach vorn, richten sich auf und gehen | |
weiter. Es ist eine unbewusste Geste der Demut. | |
In Ländern, in denen der Katholizismus bis heute großen Einfluss hat - wie | |
Polen, wie Litauen -, verbeugen sich die Menschen vor dem Kreuz. Auf dem | |
Bebelplatz in Berlin aber verbeugen sie sich vor der Geschichte. In den | |
Leerstellen, die der Platz bietet, tönt das Echo des Vergangenen. Der | |
Bebelplatz hat nichts. Und doch alles. | |
Ein Velotaxi mit zwei Touristen fährt vor. Die Männer steigen aus, gehen um | |
die gläserne Platte im Boden. "Auf dem Platz sind die Bücher verbrannt | |
worden", sagt der Fahrer. "Auf dem Platz sind die Bücher verbrannt worden", | |
wiederholt einer der Geführten. "Vor exakt 75 Jahren", fügt der | |
Velotaxifahrer hinzu. "Vor exakt 75 Jahren", wiederholt der Tourist. Zwei | |
Frauen mit Einkaufstüten tun es ihnen gleich. "Was ist denn da unten?", | |
fragt eine. "Das, was bleibt, wenn keine Bücher mehr da sind", sagt die | |
andere. | |
Ein rumänisch sprechendes Ehepaar, das in Israel lebt, unterhält sich mit | |
einer Deutschen, die am Rand der Glasscheibe steht. "Sagt Ihnen das Denkmal | |
etwas? Mögen Sie es?", fragt die Deutsche. "Wir mögen nicht, was damals | |
geschah", antwortet die rumänisch sprechende Frau hart. "Haben Sie | |
Angehörige verloren?", fragt die Frau, um so der Härte in der Stimme auf | |
die Spur zu kommen. "Wir haben Seelen verloren", antwortet die Touristin. | |
Unweit der Glasluke ist ein Bronzeschild in den Boden eingelassen: "Das war | |
ein Vorspiel: Nur dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch | |
Menschen", steht darauf. Es ist ein Zitat von Heinrich Heine. Seine Bücher | |
flogen gleichfalls ins Feuer. | |
An einer der schmucklosen Straßenlaternen des Platzes, die wie leuchtende | |
Pfähle aussehen, hat jemand ein plattes Fahrrad angeschlossen. Auf dem | |
Hinterradständer ist ein Schuhregal fixiert. Darauf liegen verschimmelte | |
Bücher. Ein Opernführer, ein Bilderlexikon der Tiere, eine Zeitschrift auf | |
deren Titelseite "Insel des Glücks" prangt. "Dieses Schuhregal gehört allen | |
& vor allem der August-Bebel-Bibliothek in Berlin", steht daran. Sie wurde | |
1947 gegründet. Es gibt sie nicht mehr. Der Mensch, der das Fahrrad an der | |
Laterne abstellt, versteht dies als Demonstration. Verbrennen, vergessen, | |
verschimmeln - so zieht der Bebel-Bibliotheks-Aktivist die Verbindung. | |
Im Norden begrenzt das Hauptgebäude der Humboldt-Universität den Platz. Auf | |
der Südseite aber die Hedwigskathedrale, die Bischofskirche der Katholiken | |
in Berlin und Brandenburg, sowie die ehemalige Staatsbank der DDR, in der | |
sich heute das "Hotel de Rome" mit seinen fünf Sternen befindet. Hinter der | |
Rezeption steht ein Mann, der seine halbfranzösische Herkunft nicht | |
verheimlicht. Es sei ein tolles Hotel, in dem er arbeite, schwärmt er im | |
Aufzug zur Hotelterrasse. Auf die Frage, wie sich das mit der | |
Brüderlichkeit verhält, zieht er die Augenbrauen hoch. "Fraternité", das | |
sei ja fast militärisch zu verstehen. Und nationalstaatlich. "Die Franzosen | |
wollen einfach nicht verstehen, dass wir in einer globalen Welt leben", | |
sagt er. | |
Von der Terasse des Hotels aus hat man den Bebelplatz wie beiläufig im | |
Blick. Die wie in einem Webmuster angeordneten Plastersteine strukturieren | |
den Ort. Die Längsrichtung, die beim Weben "Kette" heißt, wechselt alle | |
zehn Schritte mit der Querrichtung ab, die "Schuss" genannt wird. Kette, | |
Schuss - Kette, Schuss - Kette, Schuss - ein weiteres Echo. | |
Der Bebelplatz nämlich ist Projektionsfläche für vieles. Manches, wie die | |
Werbung des Kosmetikkonzerns, wird hingenommen. Das platte Fahrrad dagegen | |
gelte als Ärgernis, meint der, der es an den Laternenpfahl stellt. Er wolle | |
sich deshalb an die UNO in New York wenden. | |
Völlig unbekannt indes ist die Beugung, die August Bebel im Nobelhotel | |
erfährt. Dort wird nicht nur die Bar, sondern auch die teuerste Suite nach | |
dem 1913 verstorbenen sozialdemokratischen Vordenker benannt. Sie kostet | |
4.630 Euro die Nacht. Ob Bebel das meinte, als er schrieb: "Selbst | |
Engelszungen haben nur Erfolg, wenn der Resonanzboden für das, was sie | |
predigen, vorhanden ist." | |
## Von 11 bis 18 Uhr findet am Samstag, den 10. Mai, anlässlich des 75. | |
Jahrestags der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz eine Gedenk- und | |
Kulturveranstaltung statt, organisiert unter anderem von der Humboldt-Uni. | |
10 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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