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# taz.de -- Die Opfer der Bücherverbrennung: Fräuleinwunder blieb vergessen
> Volker Weidermann und Armin Strohmeyr entdecken Autoren wieder, die mit
> der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten aus dem kulturellen
> Gedächtnis getilgt wurden.
Bild: "Wir verbrennen Montag Molière, Dienstag Dostojewski, Mittwoch Thomas Ma…
"Wir verbrennen Montag Molière, Dienstag Dostojewski, Mittwoch Thomas Mann,
Freitag Faulkner, Samstag und Sonntag Schopenhauer und Sartre." Im Roman
Fahrenheit 451 hat der amerikanische Science-Fiction-Autor Ray Bradbury den
ultimativen Traum aller Zensoren Wirklichkeit werden lassen: eine Welt ohne
Bücher. Als Bradbury seinen Roman schrieb, stand er noch unter dem Eindruck
einer der größten Bücherverbrennungen, die es im 20. Jahrhundert gegeben
hatte: am 10. Mai 1933 loderten überall im nationalsozialistischen
Deutschland die Scheiterhaufen.
Die Bilder des zentralen literarischen Autodafés, das mitten in Berlin
stattfand, direkt gegenüber dem Hauptgebäude der heutigen
Humboldt-Universität, gingen damals um die Welt. Das schauerliche Ritual
der Bücher-Hinrichtung, organisiert vom der "Deutschen Studentenschaft",
zielte besonders auf die literarische Prominenz: "Gegen Dekadenz und
moralischen Verfall", so verkündeten die Brand-Redner, übergebe man "die
Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner" den Flammen.
Gegen "dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache" verbrannte man das
Werk von Alfred Kerr. Und zwecks "Achtung und Ehrfurcht vor dem
unsterblichen deutschen Volksgeist" tönte es pathetisch: "Verschlinge,
Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!"
Doch es ging nicht nur um Bücher. Das macht bereits ein Blick auf die erste
Ausbürgerungsliste deutlich, die die Nazis im Sommer 1933 im Deutschen
Reichsanzeiger veröffentlichen ließen: Dort finden sich zahlreiche Namen
aus den Feuersprüchen wieder. Die Namensträger waren zu diesem Zeitpunkt
längst Emigranten, nun waren sie zusätzlich auch noch staatenlos.
Die Schwarzen Listen der Nazis empfahlen die "Ausmerzung" von über 100
deutschen und ausländischen Literaten. Mit den Werken verschwanden auch die
weniger prominenten Autoren aus dem öffentlichen Leben, und oft genug
verließen sie das Land. Was fast noch schlimmer ist: Sie verschwanden aus
dem kulturellen Gedächtnis. Schon mal was von Hermann Essig, Hans
Sochaczewer, Alex Wedding gehört? Zu Recht kann man sich mit Volker
Weidermann fragen: "Was sind das alles für Leute? Was sind das für
sonderbare, nie gehörte Namen?" Der Feuilleton-Chef der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung ließ es nicht bei diesem Fragezeichen bewenden.
In seinem "Buch der verbrannten Bücher" verfolgt Weidermann "die Spuren
ausnahmslos aller Autoren, die damals auf der schwarzen Liste der schönen
Literatur standen".
Das Buch der verbrannten Bücher ist allerdings kein Lexikon, sondern ein
Lesebuch geworden. 131 Autoren umfasste die schwarze Liste, 131
biobibliografische Miniaturen hat Weidermann zu Themenkreisen geordnet und
dabei geschickt Bekanntes und Unbekanntes kombiniert. Hans Sochaczewer, der
in seinen Romanen ostjüdische und westjüdische Lebenswelten schilderte,
wird so etwa in einem Atemzug genannt mit dem Hörspiel- und Bestsellerautor
Ernst Johannsen und dem auch heute noch geläufigen Theaterkritiker Alfred
Kerr.
Auch Hermann Essig, ein schon 1918 gestorbener schwäbischer Theaterkönig,
kommt zu neuen Ehren. Weidermann gruppiert ihn unter dem Titel "Die
fantastischen drei" zusammen mit Gustav Meyrink, dem Autor des
Bestsellerromans "Der Golem". Der Dritte in diesem Bunde ist Alexander
Moritz Frey, der nicht nur das "Pech hatte, im Ersten Weltkrieg mit Hitler
im Graben zu liegen". Sein Antikriegsroman "Die Pflasterkästen" wurde von
Kritikern mit Remarques "Im Westen nichts Neues" verglichen, verkaufte sich
aber fast gar nicht.
Wiederzuentdecken gibt es für die heutigen Leser auch ein deutsches
Fräuleinwunder: so etwa Alex Wedding alias Grete Weiskopf, die als
Erfinderin des sozialistischen Kinderbuches gilt, ebenso Maria Leitner, in
der Weimarer Republik berühmt für ihre Reportageromane, im Dritten Reich
inkognito unterwegs im Auftrag der Kommunistischen Partei. Zu Beginn des
Krieges verschwand sie auf der Flucht irgendwo in Südfrankreich, niemand
hat sie je mehr gesehen. Anders ging es Gina Kaus: Die erfolgreiche
Unterhaltungsschriftstellerin verließ das Dritte Reich in Richtung
Hollywood und feierte auch dort Erfolge.
So verschieden die von Weidermann versammelten Exilbiografien sein mögen,
eins haben sie gemeinsam: eine Rückkehr in den deutschen Kultur- und
Literaturbetrieb blieb den meisten Überlebenden verwehrt. Ein wichtiger
Grund dafür ist die Spaltung in das "innere" und das äußere Exil. Thomas
Mann urteilte nach dem Zweiten Weltkrieg, man solle überhaupt alles, was
zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschrieben wurde, unterschiedslos
einstampfen. Viele Daheimgebliebene sammelten sich dagegen hinter der von
Frank Thiess ausgegebenen Parole der "Inneren Emigration". Man sprach im
Gegenzug den Exilanten das Recht ab, über die Vorgänge in Deutschland zu
urteilen, ja legte ihnen das Verlassen der Heimat sogar zur Last. Dass etwa
den jüdischen Autoren gar keine Wahl geblieben war, wurde dabei
geflissentlich übersehen.
## Kalte Blindheit
Der beginnende Kalte Krieg trug ein Übriges dazu bei, die blinden Flecken
im kulturellen Gedächtnis der Deutschen zu vergrößern. Ein Zeichen gegen
diese geteilte Erinnerung setzt Armin Strohmeyr mit seinem Buch "Verlorene
Generation": Die insgesamt dreißig biografischen Porträts von Autorinnen
und Autoren des "anderen Deutschland" schließen auch die innere Emigration
mit ein. Eine "vorurteilsfreie und gerechte Auseinandersetzung mit
,integren Autoren'", so postuliert der Berliner Publizist, sei längst
überfällig. Schon allein deshalb, weil das "Beziehungsgeflecht" zwischen
Innen und Außen unmittelbar nach dem Krieg viel enger war, als man es
später wahrhaben wollte.
Tatsächlich zeigt bereits das Beispiel Ernst Wiechert, das gerade die
Grenzfälle die interessantesten sein können. Stilistisch der
Blut-und-Boden-Dichtung nahestehend, zählten zu seinen Freunden
Nazi-Intellektuelle wie Hans Grimm, Hanns Johst und Will Vesper. Wiechert
allerdings begann Mitte der Dreißigerjahre, gegen das Regime Stellung zu
beziehen. In einem Brief an Propagandaminister Goebbels protestierte er
gegen die Verhaftung von Pastor Martin Niemöller. Das bringt ihm sieben
Wochen Lagerhaft in Buchenwald. Wiechert schläft ab jetzt mit einem
Revolver auf dem Nachttisch und beginnt nach einiger Zeit wieder zu
schreiben. Sein Erlebnisbericht "Der Totenwald" erscheint 1946 als einer
der ersten Berichte über die Konzentrationslager.
## Die schöne Querulantin
Lohnenswert scheint auch die Wiederentdeckung von Mechtilde Lichnowsky.
Einerseits Repräsentantin der alten, feudalen Zeit, empfand sie sich
zugleich als Vertreterin der Moderne. Ihrem adligen Ehemann, der als
"aristokratischer Sozi" galt und schon im Kaiserreich wegen mangelndem
Patriotismus in Ungnade gefallen war, stand sie in nichts nach. Die
Dreißigerjahre verbrachte die Botschaftergattin, erfolgreiche
Schriftstellerin und Feuilleton-Journalistin im französischen Exil. Als sie
1939 einen Deutschland-Besuch macht, verbietet die Gestapo der schönen
Querulantin die Ausreise, die sich daraufhin auf die Familiengüter
zurückzieht, ohne aber das Schreiben aufzugeben. Nach dem Krieg, als
Mechtilde Lichnowsky längst in London lebt und zusehends vereinsamt,
erscheint "Worte über Wörter", eine Sprachkritik, die mit Victor Klemperers
legendärer "Lingua Tertiae Imperii" verglichen worden ist.
Still wurde es in der Nachkriegszeit auch um einen inneren Emigranten
namens Werner Bergengruen. Sein 1940 erschienener historischer Roman "Am
Himmel wie auf Erden" hatte vielen Lesern im Dritten Reich als
Schlüsselroman gegolten. Beschrieben wurde in dem zeitweiligen Bestseller
die Prophezeiung des Untergangs von Berlin, allerdings im Jahre 1524.
Bergengruen, das muss man wissen, war zuvor wegen "mangelnder Eignung" aus
der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden, jede Publikation von ihm
musste genehmigt werden. Hinterher nutzte ihm die Protesthaltung jedoch
wenig. Das "andere Deutschland" wollte nichts von ihm wissen. Enttäuscht
notierte der Verschmähte: "Unsere naive Vorstellung, es werde eine
freundschaftliche Wiederbegegnung zwischen lange Getrenntgewesenen geben,
war ad absurdum geführt."
Doch es gab auch ein schwerwiegenderes Problem: Die nun tonangebenden
jungen Künstler der Gruppe 47 fanden den Erzählstil von Bergengruen & Co.
ganz einfach zu zu altmodisch. Die neue literarische Entdeckungslust, für
die Volker Weidermann und Armin Strohmeyr Pate stehen, dürfte insofern mit
einem erneuten Paradigmenwechsel zu tun haben. Mittlerweile ist längst auch
der "Brot & Boden"-Sound der Nachkriegsliteratur historisch geworden.
Gewachsen ist mit dem zeitlichen Abstand zudem das Bewusstsein dafür, wie
weit die Verwerfungen von Diktatur, Krieg und Nachkriegszeit reichen.
"There is more than one way to burn a book", formulierte Ray Bradbury
einmal, und das trifft die Schieflage des kulturellen Gedächtnisses im
wiedervereinigten Deutschland recht gut. Der eigentliche Verlust, daran
erinnert der Blick auf die verlorene Generation, kann auch darin bestehen,
schlicht zu vergessen, was man alles verloren hat.
4 May 2008
## AUTOREN
Ansgar Warner
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