# taz.de -- Kirchliche Schulen im Aufwind: Gottes Lehren, Staates Beitrag | |
> Religionsunterricht ist Pflicht, genau wie die wöchentliche Andacht: Der | |
> Staat gibt Schulen auf – die Kirche stößt mit eigenen Lehranstalten in | |
> diese Lücken. | |
Bild: Kreuz und Weihrauch: In Nordrhein-Westfalen ist ein Großteil der Grundsc… | |
BERLIN taz | Und dann wäre Bürgermeister Uwe Siebert beinahe noch das | |
Gymnasium abhandengekommen. Wriezen, 50 Kilometer östlich von Berlin in | |
Brandenburg gelegen, 7.500 Einwohner, schrumpft seit Jahren und wohl auch | |
in Zukunft: Mehr als 10 Prozent der Bevölkerung hat der Ort seit 1993 | |
eingebüßt. | |
Auch die Schüler wurden weniger, so dass die Schulplaner vor einigen Jahren | |
entschieden: Ein Gymnasium im Landkreis reicht. Sie entschieden sich für | |
das im 10 Kilometer entfernten Bad Freienwalde und schlossen das Gymnasium | |
von Wriezen. Da wurde es Bürgermeister Uwe Siebert zu viel. | |
„Eine Schule ist ein Standortfaktor“, sagt Siebert. Wie soll er eine | |
schrumpfende Stadt am Leben halten, wenn man dort nicht einmal das Abitur | |
machen kann? Womit will die Stadt junge Familien herlocken, wenn nicht mit | |
guter Bildung? Siebert suchte nach einer Rettung – und fand sie in der | |
Kirche. | |
## Altes Gebäude, neue Sitten | |
Zum Ende des Schuljahres 2007 schloss das staatliche Oderbruch-Gymnasium, | |
sechs Wochen später machte nach den Sommerferien das Johanniter-Gymnasium | |
auf. Im selben Gebäude, mit neuer Belegschaft. Und neuen Sitten: | |
Religionsunterricht ist nun Pflicht, jeden Freitag gibt es eine Andacht, | |
und wer dauerhaft an der Schule unterrichten will, sollte spätestens nach | |
zwei Jahren der evangelischen Kirche beigetreten sein. Uwe Siebert, selbst | |
konfessionslos, hat damit kein Problem. „Für mich ist das keine | |
Glaubensfrage“, sagt er. „Die Alternative hieße: keine Schule.“ | |
Seltsam ist es schon: Während der Staat Schulen dichtmachen muss, gründet | |
die Kirche neue. Ausgerechnet in Brandenburg, im Land der Bekenntnislosen, | |
boomen die konfessionellen Lehranstalten. | |
Vor zehn Jahren gab es deutschlandweit noch 40.000 allgemeinbildende | |
Schulen, heutzutage sind es knapp 35.000. Im Osten sank die Zahl von rund | |
9.000 auf 6.888. Nur die Zahl der Konfessionsschulen wächst: 875 | |
katholische Schulen gab es vor zehn Jahren, jetzt sind es 908. Die Zahl der | |
evangelischen Schulen stieg von 975 auf 1.099, vor allem im Osten nahmen | |
die Angebote zu. | |
Warum? Um zu missionieren? So würde es Iris Stegmann nicht ausdrücken. „Die | |
Schulen sind eine Einladung“, sagt die Sprecherin der Schulstiftung der | |
Evangelischen Kirche für Berlin und Brandenburg, die das Wriezener | |
Gymnasium betreibt. „Eine Einladung, sich überhaupt mit Religion in | |
Verbindung zu setzen.“ | |
Die Einladung werde angenommen. Schüler hätten sich schon taufen lassen, | |
erzählt Stegmann. DDR-sozialisierte Großeltern entdecken plötzlich ihre | |
Begeisterung für den Gottesdienst. „Die Schulen bauen Brücken“, sagt | |
Stegmann. | |
Die Schulen verbauen vor allem seine Planung: Karl-Heinz Gebhard ist wenig | |
begeistert über den Boom der Konfessionsschulen. Er leitet das | |
Schulverwaltungsamt des Landkreises Märkisch-Oderland. Der Landkreis war | |
Träger des Gymnasiums in Wriezen: Als die Schülerzahlen sanken, kam Gebhard | |
ins Grübeln, denn die „Verwaltungsvorschrift über die | |
Unterrichtsorganisation“ sieht vor, dass jedes staatliche Gymnasium eine | |
Mindestanmeldezahl braucht, um neue Klassen eröffnen zu können, 27 pro | |
Klasse. „Wir standen vor der Wahl: Entweder wir lassen beide Gymnasien | |
krachen oder wir konzentrieren uns auf einen Standort.“ | |
Aber warum kann sich eine christliche Schule halten, wo der Staat | |
strauchelt? Die Auflagen für kirchliche Schulen sind weniger streng. | |
Mindestanmeldezahlen gelten für private Schulen nicht. „Da kann man auch | |
mit zehn Schülern das Abitur schreiben“, sagt Gebhard. Ein | |
Wettbewerbsvorteil – der überwiegend aus Steuermitteln finanziert wird. 94 | |
Prozent der Personalkosten hat bisher das Land übernommen, das die | |
Finanzierung der Privatschulen inzwischen aber gekappt hat. Der Rest kommt | |
durch Schulgeld herein, die Kirche selbst gibt nur rund 10 Prozent. | |
In Wriezen hat die Stadt tief in die Tasche gegriffen: Ein privates | |
Gymnasium muss vorfinanziert werden, ehe die Zuschüsse fließen. Diesen Part | |
übernahm die Kommune: 400.000 Euro machte Bürgermeister Siebert locker. | |
Billiger wird es durch den Staat nicht. Denn obwohl es ein Gymnasium vor | |
Ort gibt, zahlt der Landkreis die Fahrtkosten für diejenigen, die | |
Gottesdienst und Religionsunterricht in Wriezen umgehen wollen. „Da kommen | |
einige Summen zustande“, sagt Gebhard. | |
## Konfessionsschulen flächendeckend in NRW | |
Wohin es führt, wenn der Glaube im großen Stil die Bildung kapert, zeigt | |
sich besonders drastisch in Nordrhein-Westfalen. Dort gibt | |
Konfessionsschulen fast flächendeckend – und zwar nicht als Privatschulen, | |
sondern in staatlicher Trägerschaft, ein Unikum in Deutschland. | |
Fast ein Drittel der 3.086 öffentlichen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen | |
sind religiös gefärbt: 946 katholisch, 100 evangelisch, zwei jüdisch. In | |
manchen Landstrichen haben sie quasi das Bildungsmonopol. Zum Beispiel in | |
Paderborn. | |
Aus dem Küchenfenster sieht Turgay Özdil auf die Hecke der Schule. Özdil | |
möchte nicht, dass sein Name in der Zeitung steht, und heißt anders. Ihm | |
war klar: Das ist die Schule für den Sohn. Doch die Schulverwaltung legte | |
dem muslimischen Vater einen Zettel vor, den er unterschreiben sollte: „Bei | |
Anmeldung meines Kindes wurde ich darüber informiert, dass bekenntnisfremde | |
Kinder grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufnahme an einer katholischen | |
Bekenntnisschule haben.“ Bekenntnisfremde Schüler würden „dem katholischen | |
Bekenntnis entsprechend unterrichtet und erzogen. Hierzu gehört auch die | |
Teilnahme am katholischen Religionsunterricht und an den | |
Schulgottesdiensten. Dies wünsche ich ausdrücklich.“ | |
Katholische Gottesdienste und katholischer Religionsunterricht | |
verpflichtend für einen muslimischen Jungen an einer Schule, die eigentlich | |
staatlich ist? Turgay Özdil unterschrieb nicht. „Ich habe nichts gegen | |
katholische Werte“, sagt er der taz. „Ich möchte nur nicht, dass mein Sohn | |
an Gottesdiensten teilnehmen muss. Er kennt noch nicht einmal seine eigene | |
Religion.“ | |
## Der Schulweg als Umweg | |
Die nächstgelegenen acht Schulen sind ebenfalls Bekenntnisschulen. Der | |
Schulweg wird für Özdils Sohn ab seiner Einschulung im Sommer daher ein | |
Umweg: 200 Meter die Straße runter zur Haltestelle, an der die Schüler der | |
katholischen Grundschule aussteigen. Von dort fährt der Erstklässler mit | |
dem Bus in die Stadt, 300 Meter Fußmarsch, dann über eine vierspurige | |
Straße zur städtischen Schule. | |
Auch für manchen Lehrer wird der Bekenntniszwang zum Problem. Kathrin | |
Wohland, die anders heißt, leitete zwei Jahre lang eine katholische Schule | |
in einem 1.400-Einwohner-Dorf in Ostwestfalen, rund 100 Schüler, fast alle | |
katholisch. Doch um die Schule dauerhaft zu leiten, fehlt Wohland die | |
entscheidende Qualifikation: Sie ist Protestantin. „Leider muss ich Ihnen | |
mitteilen“, schrieb ihr die Bezirksregierung Detmold im Oktober 2009, „dass | |
in diesem konkreten Fall Ihre Bewerbung keine Berücksichtigung finden kann, | |
da Sie dem schulspezifischen Anforderungsprofil hinsichtlich Ihrer | |
Konfession nicht entsprechen.“ So klar, so deutlich. | |
Die 44-Jährige ist bis heute wütend: „Wenn Lehrermangel herrscht, stellt | |
man Evangelische und Ungläubige ein“, sagt sie. „Aber wenn wir aufsteigen | |
wollen, weist man uns scharf in unsere Grenzen.“ | |
Katholisch war auch die Grundschule Volberger Weg in Köln-Rath. Eigentlich | |
war das nie ein Thema für die Eltern in der Nachbarschaft, bis die Schule | |
ihre Rektorenstelle nicht besetzen konnte. Schulleiter sind knapp, vor | |
allem katholische. | |
„Das ist doch absurd“, sagt Meike Gilbers, die Vorsitzende der | |
Elternpflegschaft: Ein überholtes Schulgesetz verschärft den Mangel. Sie | |
trommelte, aus einer katholischen sollte eine städtische Schule werden. | |
Eine Befreiung vom Bekenntnis erlaubt das Schulgesetz, wenn zwei Drittel | |
der Eltern dafür stimmen. Es gab Vorbehalte. Wird auf dem Schulhof kein | |
Martinsfest mehr gefeiert, sondern ein Lampionfest? Gibt es bald keinen | |
Religionsunterricht mehr, keinen Schulgottesdienst? Darf die Schule nicht | |
mehr mit dem Pfarrer zusammenarbeiten? | |
Meike Gilbers veranstaltete einen Infoabend und versuchte zu überzeugen. Um | |
die Schulleiterstelle gehe es, erklärte sie, um nichts anderes. Zu dem | |
Infoabend kam auch jemand vom Erzbistum mit Flugblättern: „Sie haben (noch) | |
die Wahl“, stand da. „Die Katholische Grundschule bietet Ihnen und Ihren | |
Kindern auch in Zukunft höchste Qualität in Bildung und Erziehung in einem | |
fruchtbaren Miteinander mit der Rather Kirchengemeinde.“ Am Ende hat es | |
nicht genutzt. Die Eltern stimmten für die Umwandlung. Seit April hat die | |
Schule eine Leiterin. Eine evangelische. | |
15 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernd Kramer | |
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