# taz.de -- Umweltbilanz Biosprit: Die Zukunft errechnen | |
> Der Treibstoff vom Acker hat einen schlechten Ruf. Die Frage, wie | |
> schädlich sein Anbau vor allem für Regenwälder ist, ist kaum zu | |
> beantworten. | |
Bild: In der öffentlichen Meinung fördert Biospirt Monokulturen aus Raps und … | |
BERLIN taz | Einfache Frage, ellenlange Antwort: Wie umweltfreundlich sind | |
Kraftstoffe aus Pflanzen? In der öffentlichen Meinung nehmen sie den Platz | |
für Nahrungsmittelanbau weg, treiben die Preise auf den Agrarmärkten, | |
befördern hierzulande Monokulturen aus Raps und die Vernichtung von | |
Regenwald anderswo. Politisch endgültig beerdigt wurden Biodiesel und Co, | |
als Wissenschaftler errechneten, ihre Treibhausgasbilanzen seien sogar | |
schlechter als die von Mineralöl. | |
Darum überarbeitet die EU derzeit ihre Richtlinien für Biokraftstoffe – und | |
möchte besonders die sogenannte indirekte Landnutzungsänderung (Iluc) in | |
ihre Bewertung einfließen lassen. Das heißt: Momentan darf in der EU kein | |
Palmöl in den Tank, für dessen Anbau Regenwald abgeholzt wird. Die Folge | |
ist, dass Exporteure auf den Plantagen, die den strengen EU-Kriterien | |
gerecht werden, den Biosprit für die Europäer anbauen – dafür aber an | |
anderer Stelle roden, um etwa Lebensmittel anzubauen. | |
Auch zu Biosprit verarbeiteter Raps aus Deutschland verantwortet somit | |
letztlich die Abholzung von Regenwald ganz woanders, wenn nun Lebensmittel | |
importiert werden, die früher auf den Rapsfeld gewachsen sind. Die miesen | |
Treibhausgasbilanzen des Biosprits kommen, wenn dieser sogenannte | |
Iluc-Effekt mit einberechnet wird. Dazu will die EU übergehen. | |
Das aber könnte sich als schwer erweisen. Die Effekte gibt es, sagt | |
Matthias Finkbeiner von der TU Berlin, „aber wissenschaftlich sind die | |
Berechnungen nicht messbar“. Der Geoökologe und Professor für Sustainable | |
Engeneering ist nicht irgendwer, sondern anerkannter Experte für die | |
Erstellung von Ökobilanzen. | |
## Wissenschaftlichkeit in Frage stellen | |
Finkbeiner sieht die Wissenschaftlichkeit seiner Ökobilanzen gefährdet, | |
wenn er indirekte Auswirkungen einbeziehen soll. Je nach Rechenmethode | |
ergäben sich riesige Spannbreiten bei den Ergebnissen, mal seien die | |
Treibhausgasemissionen riesig, dann wieder gering. | |
Außerdem beruhten die Berechnungen auf Projektionen in die Zukunft – wie | |
viel Palmöl oder Sojabohnen etwa für die Nahrungsmittelproduktion notwendig | |
seien – und damit per se spekulativ. Seine Studie zu Iluc verfasste er im | |
Auftrag der Biokraftstoff-Industrie, die sich damit gegen die von der EU | |
geplanten Gesetzesänderungen wehren will. | |
Doch Finkbeiner geht es um mehr als um Biosprit. „Das ist nur ein Aspekt | |
der Rebound-Diskussion“, sagt er. Der Rebound-Effekt gilt als Argument | |
dafür, dass mit Effizienz und grüner Technologie allein der übermäßige | |
Ressourcenverbrauch der Industriegesellschaften nicht zu stoppen ist. | |
Kernthese: Effizienzgewinne führen zu Verbrauch an anderer Stelle. Die | |
Energiebilanz insgesamt wird dadurch negativ. | |
„Natürlich wird das schwammig“, sagt Hermann E. Ott, der für das | |
Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie gearbeitet hat, bevor er für | |
die Grünen in den Bundestag zog. Doch jede Ökobilanzforschung, die etwas | |
auf sich halte, müsse indirekte Effekte einarbeiten. „Punktuelle Lösungen | |
bringen es nicht“, sagt Ott, „wir müssen systemisch denken.“ | |
Er schlägt Obergrenzen für die Nutzung bestimmter Rohstoffe für | |
Volkswirtschaften vor. Auch Klaus Hennenberg vom Freiburger Öko-Institut | |
sieht methodische Probleme bei der Anrechnung von Rebound- und | |
Iluc-Effekten. Aber nur, weil allseits bekannte Umwelteffekte sich nur | |
schlecht messen ließen, dürften sie nicht einfach ignoriert werden, sagt | |
er. | |
15 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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