# taz.de -- Erdogan und Social Media: Papi fürchtet das Internet | |
> In der Türkei werden Twitter-Nutzer festgenommen. Ihnen wird Anstachelung | |
> zum Aufstand vorgeworfen – das Netzwerk gilt als Bedrohung. | |
Bild: Etwas Protest ist auch auf analogem Weg möglich: Ein Protestplakat in Is… | |
ISTANBUL taz | Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan ist wie ein Vater | |
– ein lauter, jähzorniger Vater, der nicht versteht, warum seine Kinder | |
[1][gegen ihn rebellieren]. Er versteht nicht ihre Wut, warum sie Bier | |
trinken wollen auf der Straße und Bäume beschützen, [2][ein paar | |
Quadratmeter Grün]. | |
Und: Er versteht nicht [3][ihre Kommunikation]. Mehr noch, er hat Angst vor | |
ihr. „Für mich ist Social Media die schlimmste Bedrohung der Gesellschaft“, | |
sagt er. | |
Recht hat er, für seine Gesellschaft ist Social Media tatsächlich die | |
größte Bedrohung. Um im Bild zu bleiben, man stelle sich den geordneten | |
Haushalt eines Patriarchen vor: Die Kinder pfeifen plötzlich auf Papas | |
Telefonanschluss, sie holen sich ein Smartphone und telefonieren, mit wem | |
sie wollen, sagen, was sie wollen. Benutzen Wörter, die der Vater nicht | |
kennt, das macht ihn rasend. Für Kinder sind eben Dinge am reizvollsten, | |
die man ihnen verbietet. | |
Papa Erdogan ist kein Diktator. Er wurde von einer Mehrheit gewählt und | |
wird von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Aber das macht sein | |
Unverständnis für das, was gerade in seinem Land passiert, noch größer, das | |
macht ihn noch wütender, das lässt ihn noch härter reagieren. | |
## Social Media als Leitmedium | |
Bei den Protesten in der Türkei, die in einem Park begonnen haben und sich | |
nun im ganzen Land ausbreiten, ist Social Media nicht mehr eine | |
Alternative, es ist das eigentliche Leitmedium. Das ist nichts Neues: In | |
Tunesien erprobt, in Ägypten, bei Occupy in New York und Frankfurt. Aber | |
nun reicht der Einfluss von Social Media so weit, dass die türkische | |
Regierung Twitter-User festnimmt, wegen „irreführender Botschaften“. | |
In der Nacht auf Mittwoch wurden bei Protesten in der Stadt Izmir über 25 | |
Menschen festgesetzt, die sich über den Kurznachrichtendienst verständigt | |
hatten. Erdogan behandelt Twitter-User jetzt wie Journalisten, | |
einschüchtern, verfolgen, einsperren, das Medium ist auf Augenhöhe | |
angekommen – wenn das Ereignis auch, an dem sich das ablesen lässt, kein | |
erfreuliches ist. | |
Aber wahrscheinlich ist nicht das Internet das, wovor sich der autoritäre | |
Führer fürchtet, es sind nicht Twitter und Facebook an sich. Das Internet | |
ist nur die technische Möglichmachung einer antiautoritären | |
Kommunikationsstruktur, die nicht auf die Protestaufforderung einer Partei, | |
einer Gewerkschaft, eines Anführers wartet. | |
Nachdem die türkische [4][Polizei vergangenen Freitag das Protestcamp im | |
Gezi-Park] überfiel, strömten die Menschen aus allen Seiten der Stadt zum | |
zentralen Taksim-Platz, ohne Aufforderung, ohne Anführer. Sie kamen von der | |
asiatischen Seite zu Tausenden zu Fuß über die Bosporusbrücke. | |
Vielleicht muss man einen Moment Mitleid haben mit Erdogan, dem nervösen | |
Vater, wie muss sich das für ihn angefühlt haben? Plötzlich kommen Tausende | |
und feiern in seinem Haus eine Facebook-Party. Die Einladung ging an alle – | |
und es kamen sehr viele. | |
## Schlägen, Prügeln, Tränengas | |
Und wie reagiert der Vater? Mit Schlägen, Prügeln, Tränengas, Verhaftungen, | |
Wasserwerfen, mit Tritten in den Bauch, auf den Kopf, mit Wut, | |
Unverständnis, verletztem Stolz. Aber er wird den Geist nicht mehr in die | |
Flasche bekommen, er muss jetzt mit seinen Kindern reden. Oder, auch das | |
ist eine Möglichkeit: Die Kinder vertreiben den Alten. | |
Jeder, der einmal im Gezi-Park campte, der sah, wie die Polizei gegen das | |
Volk verlor und sich zurückziehen musste, der wird wiederkommen. Das | |
Verbieten wird jetzt komplizierter. So ist das, wenn Kinder erwachsen | |
werden: You have to deal with it, dad! | |
5 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-der-Tuerkei/!117501/ | |
[2] /!117329/ | |
[3] http://twitter.com/search?q=%23occupygezi&src=hash | |
[4] /Stdtprk-in-Istnbul-besetzt/!117148/ | |
## AUTOREN | |
Felix Dachsel | |
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