# taz.de -- Debatte Jugendarbeitslosigkeit: Die Propagandamaschine läuft | |
> Die EU-Granden und auch Angela Merkel bemerken endlich die | |
> Jugendarbeitslosigkeit – und verordnen die falschen Maßnahmen. | |
> Deutschland kann's recht sein. | |
Bild: Abhängen zu Hause: Student George aus Athen hat seinen Job in einem Lage… | |
Jetzt jagt eine Initiative die nächste, jetzt will die EU die | |
Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. An Appellen für Arbeit, Ausbildung und | |
Mobilität auf höchstrangiger Ebene mangelt es nicht, die dramatisch | |
steigende Jugendarbeitslosigkeit wird das nicht stoppen. Der EU-Gipfel Ende | |
Juni kündigte wolkenreich eine „Jugendgarantie“ für Beschäftigung und | |
Ausbildung an. | |
Nun lädt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Spitzen der EU-Regierungen | |
höchstpersönlich nach Berlin. Ob dies zu mehr Verbindlichkeit führt oder | |
eher Wahlkampfaktionismus ist, um Herz für ein soziales Europa zu zeigen, | |
bleibt abzuwarten. | |
Bekanntlich sind die mit drastischen Kürzungsmaßnahmen verbundenen | |
milliardenschweren Rettungsoperationen vor allem der Finanzbranche, den | |
Wohlhabenden und internationalen Steueroasen zugutegekommen. Die bitteren | |
wirtschaftlichen und sozialen Folgen trägt indessen die Mehrheit der | |
Bevölkerung, der Sozialstaat wird weiter abgebaut. | |
Das Ergebnis ist eine anhaltende Wirtschaftsrezession, die von den | |
Krisenländern auch auf andere Euroländer übergreift. Entsprechend schnellte | |
die Erwerbslosigkeit europaweit auf über 12 Prozent hoch, bei jungen Leuten | |
liegt sie etwa doppelt so hoch, in Griechenland und Spanien sind die jungen | |
Erwachsenen zu über 50 Prozent ohne Job. | |
## Nur ein Randthema | |
Trotzdem blieb die Erwerbslosigkeit bei den Verhandlungen um den | |
EU-Fiskalpakt mit der rigorosen Schuldenbremse nur ein Randthema. Die | |
Vereinbarungen à la Merkozy schüren die Konflikte zwischen den EU-Ländern | |
und den Arbeitnehmern. Deutschland wird zu Recht als Sparkommissar für die | |
verheerenden sozialen Verschlechterungen in den Krisenländern | |
verantwortlich gemacht. Denn verordnet wird den Krisenstaaten die Medizin | |
der Agenda 2010, als ob es zusätzlich zur hohen Arbeitslosigkeit nicht | |
schon genügend unsichere Beschäftigung mit Niedrigstlöhnen gerade für junge | |
Menschen geben würde. | |
Doch unverdrossen propagiert die EU-Kommission nicht nur den weiteren Abbau | |
des Kündigungsschutzes und Eingriffe in die Lohn- und Tarifpolitik der | |
Gewerkschaften, sie will jetzt auch das Rentenalter gleich auf 69 Jahre | |
hinaufsetzen. Ältere und jüngere Arbeitnehmer werden gegeneinander | |
ausgespielt. Ein Schelm, der vermutet, dass die bedrückende | |
Jugendarbeitslosigkeit genutzt werden soll, um den Abbau sozialstaatlicher | |
Einrichtungen voranzutreiben. | |
Gleichzeitig kann der von der EU-Kommission vorgelegte Maßnahmenkatalog | |
nicht funktionieren. Er kreist um folgende Schwerpunkte: Die duale | |
Berufsausbildung nach deutschem Muster soll eingeführt, kleine und mittlere | |
Betriebe sowie die Gründung von Start-ups sollen gefördert werden. Eine | |
europaweite Qualifizierungs- und Beschäftigungsgarantie spätestens vier | |
Monate nach Beendigung der Ausbildung, nach dem Beispiel Österreichs, wurde | |
nur empfohlen, ein Mechanismus zur Um- und Durchsetzung nicht beschlossen. | |
## Die Fehler im Einzelnen | |
Doch die Einführung und der Ausbau einer betrieblichen Berufsbildung hängen | |
entscheidend davon ab, ob genügend Unternehmen qualifizierte Ausbildungs- | |
und Arbeitsplätze anbieten können. Selbst in der stets als Modell | |
gepriesenen Bundesrepublik bilden nur noch ein Fünftel der Betriebe aus, | |
indessen hunderttausende junger Menschen in öffentlich finanzierten | |
Bildungswarteschleifen geparkt werden. | |
Und bei einem jährlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums von 5 bis 6 | |
Prozentpunkte – wie etwa in Griechenland – bedeutet eine vernünftige | |
betriebliche Berufsbildung die „Quadratur des Kreises“. Zum einen: Zieht | |
die öffentliche Hand nicht an einem Strang mit den Tarifparteien, läuft | |
sowieso überhaupt nichts. Dann braucht es eine entsprechende Infrastruktur | |
an Verbänden und Facheinrichtungen. Nichts davon ist in den Krisenländern | |
vorhanden. Die deshalb vorgesehenen 6 Milliarden Euro für die Förderperiode | |
bis 2020 sind da lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. | |
Ähnliches gilt für die geplanten 70 Milliarden Euro der Europäischen | |
Investitionsbank (EIB) zur Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben. | |
Die angekündigte Verknüpfung mit der Schaffung von Ausbildungs- und | |
Arbeitsplätzen für junge Menschen bleibt völlig undurchsichtig. Zudem | |
können die Krisenländer die Mittel zur Rückzahlung der Kredite nicht | |
aufbringen. | |
## The winner is … Deutschland | |
Übrig bleiben dürfte mithin vor allem die Förderung der | |
grenzüberschreitenden Mobilität. Die Propagandamaschine von Wirtschaft und | |
Bundesregierung, dass es einen Mangel an Auszubildenden gäbe, läuft bereits | |
auf vollen Touren. Nach anfänglichem Zögern ziehen immer mehr qualifizierte | |
Arbeitnehmer aus Griechenland, Spanien oder Italien in die Bundesrepublik. | |
Die aktive Anwerbepolitik – 5.000 junge Spanier für 33.000 freie | |
Ausbildungsplätze – trägt Früchte. | |
Ein derartiger brain gain für Deutschland und entsprechender Braindrain für | |
die Krisenländer kann jedoch keine dauerhafte Lösung sein. Damit wird der | |
Druck verringert, den hierzulande vielen jungen Menschen in | |
„Bildungswarteschleifen“ oder unsicheren Jobs mit Niedriglöhnen eine | |
qualifizierte Ausbildung und Arbeit zu geben. Für die Krisenländer besteht | |
in dem Braindrain eine große Gefahr für die eigene wirtschaftliche | |
Entwicklung. Dies zeigt das Beispiel der neuen Bundesländer mit der | |
Abwanderung qualifizierter jüngerer Menschen besonders drastisch. | |
Eine brain circulation, also der gezielte Einsatz dieser jungen Menschen in | |
der Bundesrepublik zum Erwerb von Qualifikationen für ihre Heimatländer, | |
ist graue Theorie. In einem Europa der Freizügigkeit können die Menschen | |
dort arbeiten und leben, wo sie wollen, und nicht zur Rückwanderung | |
gezwungen werden. Höchst fraglich ist auch die Qualität der Ausbildung und | |
Arbeit – siehe die vielen Dienstleistungen zu Hungerlöhnen. | |
Notwendig ist stattdessen die gezielte Entwicklung qualifizierter | |
Ausbildung und Arbeit in den Krisenländern selbst. Hierzu bedarf es des | |
politischen Willens und praktischen Durchhaltevermögens bis auf die | |
Spitzenebenen von EU und Mitgliedsländern. | |
3 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Ursula Engelen-Kefer | |
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