| # taz.de -- Debatte Jugendarbeitslosigkeit: Immer in Bewegung bleiben | |
| > Die EU-Regierungschefs nehmen sich des Problems an, doch die schlecht | |
| > ausgebildeten jungen Leute interessieren sie weiter nicht. | |
| Bild: „Keine heiße Luft mehr!“: Protest gegen Jugendarbeitslosigkeit in Be… | |
| Am 12. November treffen sich die Staats- und Regierungschefs der | |
| Europäischen Union zu einem Gipfel in Paris. Es soll erneut um | |
| Jugendarbeitslosigkeit in Europa gehen. Bereits im Juli hatten sie in | |
| Berlin über das Thema gesprochen. Dabei brachten die europäischen | |
| Arbeitsminister das Hilfsprogramm „Jugendgarantie“ auf den Weg: 6 | |
| Milliarden Euro sind im EU-Haushalt 2014–2020 vorgesehen, um junge Menschen | |
| in Arbeit zu bringen. Zusätzlich startete die Kommission „Erasmus+“, das | |
| neue EU-Programm für Bildung, Jugend und Sport, und rief eine europäische | |
| Ausbildungsallianz ins Leben. | |
| Mit der Aktion „The Job of my Life“ wollen Bundesregierung und | |
| Bundesagentur für Arbeit junge arbeitslose Menschen aus anderen EU-Staaten | |
| nach Deutschland holen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Das Programm | |
| soll umzugswilligen jungen Leuten beim Berufsstart in Deutschland helfen – | |
| unter anderem durch finanzielle Unterstützung, Sprachkurse sowie | |
| begleitende Betreuung. Ausgestattet ist es mit 140 Millionen Euro. | |
| Diese Initiativen sind alle begrüßenswert. Doch könnte man noch viel weiter | |
| gehen. Aufgrund ihrer gemeinsamen Verantwortung für Europa müssen | |
| Deutschland und Frankreich treibende Kraft sein. Die Ausgangslagen sind in | |
| beiden Ländern allerdings unterschiedlich. Während die | |
| Jugendarbeitslosenquote hierzulande bei 7,5 Prozent liegt und die | |
| Wirtschaft über Fachkräftemangel klagt, sind in Frankreich 24,6 Prozent der | |
| unter 25-Jährigen ohne Beschäftigung. Deshalb muss man gemeinsame Lösungen | |
| für unterschiedliche Probleme finden – und das in ganz Europa. | |
| Ein wichtiger Schritt wäre es, das europäische Grundrecht auf Freizügigkeit | |
| im europäischen Binnenmarkt durch ein „Recht auf Mobilität für alle“ im | |
| Bildungsbereich konkreter und fassbarer zu machen und dem bestehenden | |
| „Recht auf Bildung“ an die Seite zu stellen. | |
| Doch zuerst müssen noch weitere entscheidende Weichen gestellt werden, um | |
| die bestehenden Mobilitätshindernisse entschlossener abbauen zu können. | |
| Trotz zahlreicher Sonntagsreden über den freien Personenverkehr in Europa | |
| bestehen nach wie vor zahlreiche administrative und rechtliche Hürden. Denn | |
| diese Arbeit ist mühsam, kleinteilig und oft nicht sehr medienwirksam. | |
| ## Nicht nur Englisch als Lingua franca | |
| So haben Deutschland und Frankreich erst Anfang dieses Jahres einen | |
| gemeinsamen rechtlichen Status für Praktikanten geschaffen, der vom DFJW | |
| unter dem Namen Praxes angeboten wird. Diese Maßnahme war längst überfällig | |
| und erleichtert die berufliche Mobilität zwischen beiden Ländern. Sie | |
| bringt zudem junge Menschen häufig im Anschluss an das Praktikum in eine | |
| Anstellung. Eine solche Initiative sollte auf die ganze EU ausgeweitet | |
| werden. | |
| Die Anerkennung der Ausbildung und der Abschlüsse sollte zwischen den | |
| EU-Mitgliedsländern ebenfalls selbstverständlicher vonstatten gehen. So | |
| könnten mehr junge Menschen dazu bewegt werden, eine Auslandserfahrung zu | |
| machen, die wiederum ihre Beschäftigungsfähigkeit verbessert. Und es müssen | |
| in den nationalen Bildungssystemen mehr Anreize gegeben werden, über das | |
| obligate Englisch als Lingua franca der Europäischen Union hinaus auch | |
| weitere europäische Sprachen zu lernen. Allzu oft wird die Erweiterung der | |
| Sprachkompetenz durch einen Auslandsaufenthalt in den nationalen | |
| Schulsystemen als Versäumnis der formalen Bildung und dadurch eher als | |
| Nachteil für den Schulabschluss gesehen. | |
| Ein Recht auf Mobilität sollte allerdings nicht nur Studierenden und | |
| Auszubildenden vorbehalten bleiben. Warum ist es heute immer noch so | |
| kompliziert, sich in einem europäischen Nachbarland selbstständig zu | |
| machen, wenn Unternehmensgründung als eine Antwort auf die | |
| Beschäftigungskrise gilt? Administrative Abläufe für den Karrierestart im | |
| Ausland müssen vereinfacht werden. | |
| ## „Fahrende Gesellen" früher selbstverständlich | |
| Die größte Herausforderung im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in | |
| Europa bleibt aber, Jugendliche zu erreichen, die aufgrund ihrer sozialen | |
| Herkunft und ihres Bildungsniveaus am Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Ihr | |
| größtes Hindernis ist, dass sie einen Schritt ins europäische Ausland für | |
| sich nicht in Betracht ziehen. Deshalb ist es wichtig, dass die bestehenden | |
| Möglichkeiten bekannter gemacht werden und die durch einen | |
| Auslandsaufenthalt erworbenen Kompetenzen – sozialer, sprachlicher und | |
| interkultureller Art – anerkannt werden. Eine solche formale Anerkennung | |
| könnte auch jene überzeugen, die sich eine Mobilitätserfahrung bisher nicht | |
| zugetraut haben, und dadurch deren Beschäftigungsfähigkeit verbessern. | |
| Bisher können junge Arbeitslose aber nicht ins Ausland gehen, ohne ihre | |
| Ansprüche auf Sozialleistungen zu verlieren. Die Bundesanstalt für Arbeit | |
| und ihr französisches Pendant, der Pôle Emploi, sollten an einem Strang | |
| ziehen und Auslandsaufenthalte zu Fortbildungszwecken möglich machen. Diese | |
| Maßnahme könnte dann auch von weiteren EU-Staaten übernommen werden. | |
| Es ist an den Regierungen, aber auch an der Wirtschaft, sich dieser | |
| Herausforderung zu stellen. Sie sollten dem Vorbild von EADS folgen. Das | |
| deutsch-französische Unternehmen wird ab Januar 2014 je fünfzig | |
| Praktikanten in Deutschland und Frankreich aufnehmen – bei entsprechender | |
| Eignung mit der Perspektive auf anschließende Anstellung. | |
| Mobilitätserfahrung außerhalb des eigenen Landes als fester Bestandteil der | |
| Ausbildung – das war einmal, zu Zeiten der „fahrenden Gesellen“, | |
| selbstverständlich. Heute gilt es, die Chancen dieser Mobilitätserfahrung | |
| neu zu beleben. Sie ist einer der Schlüssel zur Lösung des größten | |
| Problems, mit dem sich die europäische Jugend derzeit konfrontiert sieht – | |
| der Jugendarbeitslosigkeit. Europa kann und muss jungen Menschen eine | |
| Perspektive geben, wenn es sie auch weiterhin vom großen Projekt der | |
| Einigung unseres Kontinents in Frieden und Freiheit überzeugt halten will. | |
| Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaften tragen dafür die Verantwortung. | |
| 12 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Ingenlath | |
| Béatrice Angrand | |
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