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# taz.de -- Kunst im öffentlichen Raum: „Die meisten Graffiti sind Schrott“
> In übermöblierten Städten bleiben kaum Leerstellen, sagt der
> Objektkünstler Bogomir Ecker. Und die Street-Art sei inzwischen
> weitgehend ins Internet abgewandert.
Bild: „Street-Art dagegen sehe ich grundsätzlich nicht zerstörerisch“, sa…
taz: Herr Ecker, wie viel Macht hat Kunst im öffentlichen Raum?
Bogomir Ecker: Überhaupt keine. Die Macht liegt ganz woanders: bei den
Planungen dieser Gesellschaft. Und die wiederum sind von rein
wirtschaftlichen Dingen abhängig.
Sind das größte Problem also diejenigen, die über Kunst im öffentlichen
Raum entscheiden?
Nein, denn dann würde man die Schuld denjenigen zuschieben, die sowieso das
Schlusslicht sind und die kleinsten Etats haben: die Unterstützer der Kunst
in den Verwaltungen, Kulturämtern und Jurys. Die Frage ist vielmehr, wo,
unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen unsere Gesellschaft
Kunst akzeptieren und ertragen will.
Aber die Stadtplaner sind schon wichtige Scharniere.
Ja, und da fängt das Problem an: Die Stadtplanung geht davon aus, dass
Kunst überhaupt keine Bedeutung hat. Denn selbst wenn es Brachen in einer
Stadt gibt, denkt doch kein Mensch an Kunst. Es ist doch eher so, dass am
Ende irgendwelcher Planungsprozesse, ganz am Schluss jemand sagt: Ach, da
könnte man ja noch was Schönes hinstellen. Kunst als Trostpflaster.
Das ist kein neuer Trend.
Nein, aber es wird immer schlimmer, weil die Freiräume kleiner werden. Denn
in dem Moment, wo die Immobilienpreise steigen und die Städte und ihre
Funktionsabläufe immer dichter werden, werden die Leerstellen, an denen
Kunst möglich ist, immer weniger.
Wie ist dieser Verlust der Freiräume zu erklären? Gibt es einen Horror
vacui, dem man durch exzessive Stadtmöblierung begegnet?
Es ist wohl am ehesten dadurch zu erklären, dass die Innenstädte fast
überall begehrter und teurer werden. Die Ansprüche im Wohnbereich werden
immer größer. Außerdem deckt die flächendeckende urbane Eventkultur
teuflischerweise inzwischen das ab, was früher die Kunst besetzen konnte.
Der Event wird zum konsumistischen Performance-Ersatz.
Aber selbst wenn man „was Schönes hinstellt“: Verkommt Kunst im
öffentlichen Raum nicht zur Deko-Kunst?
Oft tut sie das, ja. Die Gefahr geht aber auch von uns Künstlern selbst
aus. Denn man muss ehrlich zugeben, dass sich mancherlei Kunst damit
zufrieden gibt, rein dekorativ und harmlos zu sein.
Wieso eigentlich? Sind die Künstler nicht wach?
Doch. Aber viele interessante Künstler, die sich mit dem Urbanen befassen,
zeigen ihre Kunst nicht zwangsläufig auch im öffentlichen Raum der Stadt,
sondern in Innenräumen.
Warum nur?
Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich viele Künstler nicht
widerständig mit dieser urbanen Situation auseinandersetzen wollen. In den
1970er-, 1980er-Jahren war das noch anders. Da gab es große, umfassende
Konzepte illegaler Kunst in den Straßen. Diese Straßenkunstbewegung gibt es
zwar noch in großen Metropolen, aber sie wird durchgängig kleiner.
Wie erklären Sie sich das?
Die Street-Art hat sich verwandelt. Große Segmente sind in die digitale
Öffentlichkeit abgewandert. Das ist auch verständlich: Wenn sie vor 30
Jahren etwas mitteilen wollten, mussten diese Leute auf die Straße gehen
und Formen finden. Heute können sie mit den digitalen Medien viel schneller
und umfassender Öffentlichkeit herstellen und über urbane Probleme
diskutieren.
Das heißt, es geht der Street-Art inzwischen eher um Austausch als um
Ästhetik?
Um beides. Aber ich glaube, dass sich auch der Begriff „Öffentlichkeit“
verändert hat. Sphären der Privatheit und der Öffentlichkeit geraten
zunehmend durcheinander. Das ist einerseits ein enormer Zugewinn, wie wir
bei verschiedenen Unruhen – siehe Taksim-Platz, Brasilien oder Stuttgart 21
– sehen. Da kann man beobachten, dass die digitalen Informationssysteme
unglaublich schlagkräftig und schnell sind. Andererseits fällt vieles, was
vorher künstlerisch dazwischen war, jetzt weg, weil es überflüssig geworden
ist.
Anhand welcher Kriterien beurteilen Sie eigentlich die Qualität von
Street-Art?
Anhand der Frage, ob sie besonders eigenwillig ist. Banksy zum Beispiel ist
sehr gut, und ich entdecke in Städten immer wieder fast versteckte
Graffiti, die extrem spannend sind. Aber dieses stumpfsinnige, immergleiche
Produzieren von Graffiti-Schrift-Zeichen, das ich ansonsten so oft sehe,
ist aus künstlerischer Sicht unerträglich. 90 Prozent der Graffiti in den
Städten sind einfach Schrott. Langweilig.
Street-Art zu eliminieren gelingt den Behörden jedenfalls nicht.
Nein, denn die kommen ja nicht nach! Das ist ein finanzielles Problem.
Dann ist Street-Art gar nicht so vergänglich, wie sie scheint.
Nein.
Wie viel Prozent der - materiellen und virtuellen – Kunst im öffentlichen
Raum entspringt eigentlich noch dem Protest?
Immer, wenn kein offizieller Auftrag vorliegt, ist das, was die Street-Art
macht, illegal, denn sie bemächtigt sich ja des öffentlichen Raums. Der
Künstler gibt sich gewissermaßen selbst den Auftrag. Genau da beginnt der
Widerstand. Der Begriff des Illegalen ist immer an die Öffentlichkeit
gebunden. Denn der Künstler agiert dann ja in einer ur-existenziellen Form
und sagt: „Hier steh ich und kann nicht anders. Hier erschaffe ich jetzt
etwas, und es interessiert mich nicht, ob jemand dagegen ist.“
Ist auch Zerstörung beziehungsweise Beschädigung, mit der die Gesellschaft
ja oft argumentiert, Teil dieses Kunstbegriffs?
Was ist Zerstörung? Wenn ich sehe, dass Gebäude oder Straßen abgerissen
werden, weil da angeblich etwas Besseres errichtet werden soll, kann ich
genauso gut sagen: Das ist Zerstörung – des Vorhandenen. Die Street-Art
dagegen sehe ich grundsätzlich nicht zerstörerisch. Wenn ich eine Fassade
besprühe, zerstöre ich sie ja nicht. Ich verändere die Fläche zwar, aber
ich zerstöre sie nicht.
Wie kommt es, dass die offiziell genehmigte Kunst im öffentlichen Raum oft
so unscheinbar und aalglatt ist? Gibt es da eine Furchtsamkeit der Politik?
Das liegt wohl daran, dass diese Entscheidungen demokratisch getroffen
werden. Und demokratische Prozesse sind für die Kunst tödlich. Die richtig
interessanten, scharfen Sachen werden innerhalb einer solchen Struktur
niemals durchkommen. Denn demokratische Prozesse nivellieren die Kunst.
Ganz allgemein gefragt: Ist die konventionelle Skulptur im öffentlichen
Raum total passé?
Ich glaube nicht. Ich glaube, dass die Kunst immer noch die Kraft hat,
Leute zum Innehalten zu bewegen, und elementare Prozesse auslösen kann.
Aber wir müssen vielleicht überlegen, ob sich der Ewigkeitsanspruch der
Kunst im öffentlichen Raum noch halten lässt. Oder ob man ein Kunstwerk
ganz bewusst und von Anfang an nur auf Zeit an eine Stelle plant.
7 Jul 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Graffiti
Street Art
Kunst
Stadtplanung
Kulturpolitik
Zukunft
Graffiti
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