# taz.de -- Rassismus in den USA: Die Zeit des Weinens ist vorbei | |
> Eine Woche nach dem Freispruch für einen Weißen, der einen unbewaffneten | |
> Teenager erschoss, demonstrieren Tausende. Auch US-Präsident Obama | |
> sprach. | |
Bild: In mehr als 100 amerikanischen Städten gingen Tausende Demonstranten auf… | |
WASHINGTON taz | Trayvon Martin ist der Junge auf dem T-Shirt geworden – | |
das Gesicht zu einer neuen Debatte über die uralte Frage der Beziehung | |
zwischen schwarzen und weißen US-AmerikanerInnen: Eine Woche nachdem der | |
weiße Mann, der den unbewaffneten schwarzen 17-Jährigen in Florida | |
erschossen hat, freigesprochen wurde, sind Menschen in mehr als 100 | |
amerikanischen Städten auf die Straße gegangen. | |
Zu Rufen wie: „Wir sind Trayvon“ und „Gerechtigkeit jetzt“ verlangten s… | |
einen neuen Prozess gegen den Todesschützen George Zimmerman. Ein Ende der | |
zahlreichen polizeilichen und juristischen Schikanen gegen schwarze junge | |
Männer. Und die Abschaffung der „Stand Your Ground“ Gesetze. Dessen | |
Bestimmungen, die in mehr als 30 amerikanischen Bundesstaaten gelten, | |
erlauben es, in einer Konfliktsituation sofort zu schießen. | |
„Letzten Samstag haben wir geweint – diesen Samstag gehen wir auf die | |
Straße“, sagte der Prediger Al Jackson in New York. Sybrina Fulton, die | |
Mutter von Trayvon Martin, sprach auf derselben Demonstration auf dem Times | |
Square. „Natürlich tut es weh, natürlich sind wir schockiert, natürlich | |
sind wir enttäuscht“, sagte sie, „aber wir müssen jetzt die Ärmel | |
hochkrempeln und kämpfen“. | |
Derweil sagte Tracy Martin in Miami zu der dort versammelten Menge: „Die | |
Welt soll wissen, dass Trayvon ein geliebtes Kind war. Er hat nichts Böses | |
getan. Und ich werde meine ganze Energie darauf konzentrieren, | |
Gerechtigkeit für ihn zu suchen.“ In den Menschenmengen im Land erklärten | |
zahlreiche Mütter und Väter, wie sehr sie rund um die Uhr um die Sicherheit | |
ihrer schwarzen Söhne fürchten. | |
## Schuss ins Herz | |
Die große Mehrheit der DemonstrantInnen waren AfroamerikanerInnen – | |
darunter nicht nur junge Leute, sondern sehr viele Eltern. Doch auch viele | |
weiße DemonstrantInnen waren auf der Straße. Wegen der Hitze trug kaum | |
jemand einen Kapuzenpullover wie jener, den Trayvon Martin am 26. Februar | |
2012 auf dem Heimweg vom Einkaufen anhatte, als der Wachschützer George | |
Zimmerman ihn zunächst im Auto verfolgte und ihn dann nach einem | |
Handgemenge in einem Vorgarten mit einem Schuss ins Herz töte. | |
Doch viele DemonstrantInnen spielten auf diese Kapuze an. In Washington war | |
eine Fotomontage von Trayvon Martin und Mitgliedern des Ku-Klux-Klans zu | |
sehen mit der Frage: „Welche Kapuze ist verdächtig?“. In Chicago spielte | |
ein Transparent auf das Logo des rassistischen Klans an. Aufschrift: „Only | |
in AmeriKKKa“. Zu den von konservativen Medien quasi angekündigten | |
Ausschreitungen kam es weder bei den Demonstrationen am Samstag noch bei | |
jenen in den Vortagen. | |
Wenige Stunden vor den Demonstrationen hatte US-Präsident Barack Obama am | |
Freitag sein mehr als vierjähriges Schweigen zu der „R-Frage“ gebrochen. | |
Dabei geht es um das heikle Thema der „Race Relations“ – den Beziehungen | |
zwischen den „Rassen“. | |
Obama kam unangemeldet in den Presseraum des Weißen Hauses. Und hielt eine | |
mehr oder weniger spontane Rede. Darin konzentrierte er sich auf seine | |
eigenen Erfahrungen, die Millionen andere AfroamerikanerInnen kennen. Er | |
sprach von den alltäglichen Erniedrigungen als schwarzer junger Mann. | |
Davon, in einem Kaufhaus verfolgt zu werden. Davon, wie Türschlösser von | |
Autos zuklickten, wenn er vorbeiging. Davon, wie Frauen im Aufzug ihre | |
Handtasche an sich klemmten, wenn er neben ihnen stand. Obama stellte auch | |
die Frage, ob das Urteil eine Woche vorher in Florida anders ausgefallen | |
wäre, wenn der Todesschütze eine schwarze Hautfarbe gehabt hätte. Die | |
Antwort auf diese Frage ist offensichtlich. | |
## Waffenlobby hat Gesetze mitformuliert | |
Es war eine hoch symbolische Rede, voller Mitgefühl für die Angehörigen des | |
Toten. Und es war ein Versuch, Verständnis zu zeigen und zu wecken – jedoch | |
keine Ankündigung einer bestimmten neuen Politik. Obama sagte, es gebe | |
Gesetze und Programme, die genutzt werden könnten. Der Präsident regte an, | |
die „Stand Your Ground“ Gesetze zu prüfen. | |
Der Auftritt mit seiner persönlichen Note erinnerte an Obamas Reden nach | |
der Schießerei im vergangenen Dezember in der Grundschule in Newtown. | |
Damals wie heute geht es auch um die Frage der Schusswaffen in | |
Privathänden. Und damals wie heute hält sich deren Lobby vorerst bedeckt. | |
Denn sie ist angesprochen. Als Florida im Jahr 2005 als erster Bundesstaat | |
ein „Stand Your Ground“-Gesetz einführte, war es die National Rifle | |
Association, die das Lobbying dafür betrieben hatte. Und deren Aktivistin | |
Marion Hammer das Gesetz mitformuliert hat. | |
Das letzte Mal, als Obama so ausführlich über die R-Frage sprach, war in | |
seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf 2008. Damals klang er | |
optimistischer als heute. Einmal im Amt hielt er sich mit dem Thema zurück. | |
Seine BeraterInnen warnten ihn vor der Gefahr, sich mit der „R-Frage“ zu | |
dem Präsidenten einer Minderheit zu machen. Warnten vor Meinungsumfragen. | |
Und vor den kommenden Neuwahlen. | |
## Der Elefant im Raum | |
Doch nachdem Obama am Freitag gesprochen hat, fielen die erwarteten rechten | |
Reaktionen schwächer aus als erwartet. In der Twitter-Welt gab es | |
Kommentare, die ihn den „First Racist in Chief“ nannten und die seine Rede | |
als „Aufruf zu Rassismus“ oder „Aufruf zu Randale“ bezeichneten. Doch d… | |
Stimmen blieben vereinzelt. | |
Alle in den USA – egal ob weiß oder schwarz – kennen das Problem. Auch wenn | |
nur selten jemand davon spricht. Der antiafroamerikanische Rassismus ist | |
der „Elefant im Raum“. Das Tabuthema, über das, abgesehen von der schwarzen | |
Bürgerrechtsbewegung, kaum jemand spricht. | |
Eine Umfrage für die Washington Post und ABC nach dem Freispruch für George | |
Zimmerman zeigt jedoch, wie unterschiedlich weiterhin die Einschätzungen | |
sind. Nur 38 Prozent der weißen AmerikanerInnen halten das Urteil für nicht | |
gerechtfertig, hingegen sind es acht von zehn schwarzen. In den | |
Demonstrationen vom Samstag gaben die TeilnehmerInnen der institutionellen | |
Gewalt weitere Namen. In Oakland, in New York und in Chicago trugen sie die | |
Bilder von anderen unbewaffneten schwarzen jungen Männern mit sich, die in | |
den vergangenen Monaten und Jahren auf offener Straße erschossen worden | |
sind. Meist von der Polizei. | |
21 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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