| # taz.de -- Neue Bezirksbürgermeisterin: „Das Camp ist ein politisches Mahnm… | |
| > Am Donnerstag hat Monika Herrmann ihren ersten Arbeitstag als | |
| > Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Mit der taz spricht die | |
| > Grüne über Alkohol, Kaffee und andere Drogen. | |
| Bild: Monika Herrmann bleibt als Bürgermeisterin an ihrem alten Schreibtisch. | |
| taz: Frau Herrmann, heute ist Ihr erster Tag als Bezirksbürgermeisterin von | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. Aufgeregt? | |
| Monika Herrmann: Es geht. Schon nach der Nominierung fingen die Leute an | |
| mit „Sie als Bürgermeisterin…“, also hatte ich ein bisschen Warming-up. | |
| Zurzeit wird heftig über die Dealer im Görlitzer Park diskutiert. Sie haben | |
| die Idee Ihres Vorgängers aufgegriffen, einen Coffeeshop einzurichten. Wie | |
| stellen Sie sich das vor? | |
| Ich habe die Idee nicht aufgenommen, wir hatten sie beide. Ich verurteile | |
| die Dealer nicht. Wenn es keine Nachfrage geben würde, gäbe es auch nicht | |
| das Angebot. Aber die Belagerung an den Parkeingängen ist schon suboptimal. | |
| Die Frage ist: Was kann man machen im Görlitzer Park, um die Situation zu | |
| entspannen? Es gibt da ein kleines rechtliches Schlupfloch. | |
| Sie meinen den Paragrafen im Betäubungsmittelgesetz, der eine | |
| Ausnahmeregelung für „wissenschaftliche oder andere im öffentlichen | |
| Interesse liegende Zwecke“ vorsieht? | |
| Genau. Da werden wir jetzt gucken, wie wir diesen Spielraum nutzen können. | |
| Wir planen, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen. | |
| Und wie wollen Sie legal an Gras kommen? | |
| Gute Frage. Wir haben ja auch noch eine Bezirksgärtnerei… (lacht). Nein, | |
| das muss man tatsächlich sehen. Mein Ziel ist es, das auf die Beine zu | |
| kriegen. Und wenn wir es nicht schaffen, werden wir detailliert darlegen, | |
| warum nicht. | |
| Würden Sie im Coffeeshop selbst einkaufen? | |
| Nein, ich bin nur Userin der Steuerdrogen, also Alkohol, Kaffee und | |
| Zigaretten. | |
| Ein anderes Thema, das den Bezirk seit Monaten bewegt, ist das | |
| Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz. Wie lange werden die Flüchtlinge dort | |
| bleiben? | |
| Das entscheiden die Flüchtlinge selber. Wir dulden sie. | |
| Ohne zeitliche Begrenzung? | |
| Wir dulden sie. Die Flüchtlinge wollen darauf hinweisen, was im Asyl- und | |
| Zuwanderrecht in Deutschland nicht in Ordnung ist. Und das Recht hat jeder. | |
| Jeder darf demonstrieren, und im Grunde ist das Camp eine | |
| Dauerdemonstration. Sie haben ganz klare Forderungen: Die Residenzpflicht | |
| soll aufgehoben werden, sie sollen früher das Recht auf Arbeit haben, die | |
| Lager sollen abgeschafft werden. | |
| Solche weitreichenden Änderungen wird es so bald nicht geben. Gehört das | |
| Camp also auf Dauer zum Stadtbild? | |
| Wir werden sehen, wie sich die Flüchtlinge nach der Bundestagswahl | |
| entscheiden. Mit Rot-Grün würde einiges möglich sein. Aber selbst wenn es | |
| eine rot-grüne oder eine rot-rot-grüne Koalition geben sollte, gibt es | |
| nicht in einem Monat eine Gesetzesänderung, auch nicht in einem halben | |
| Jahr. | |
| Wie realistisch ist es, dass der CDU-Innensenator die Sache an sich zieht | |
| und den Platz räumen lässt? | |
| Ich glaube nicht, dass sie vor der Wahl reingehen. Das Thema ist sehr | |
| brisant, die Solidarität ist noch sehr hoch. Ob sie es nach der Wahl tun, | |
| kann ich Ihnen nicht sagen. Können tun sie’s schon seit zwölf Monaten. Der | |
| Senat hat schließlich ein Weisungsrecht. | |
| Wenn geräumt werden sollte, stellen Sie sich dann vor die Flüchtlinge? | |
| Wir werden zumindest deutlich machen, dass es nicht unsere Politik ist. | |
| Verhindern können wir es nicht. | |
| Wäre Ihnen eine Räumung insgeheim vielleicht sogar recht – dann hätten Sie | |
| ein Problem weniger? | |
| Nein. Ich teile diesen Kampf sehr. Das Camp ist eine Chance, dass wir uns | |
| viel stärker mit dem Thema auseinandersetzen. Es ist ein politisches | |
| Mahnmal. Sobald das Camp weg ist, wird kein Mensch mehr darüber reden. | |
| Es sollte einen Runden Tisch auch mit Landes- und Bundespolitikern geben, | |
| aber die sagten ab. Gibt es einen neuen Termin? | |
| Nach den Parlamentsferien werden wir erneut versuchen, ein Gespräch zu | |
| organisieren. Aber die Herrschaften werden natürlich nicht kommen. Wenn | |
| Herr Henkel wegen Sicherheitsbedenken nicht ins Camp will, könnten wir uns | |
| auch mit den Flüchtlingen bei ihm im Büro treffen. Dann soll er den Leuten | |
| ins Gesicht sagen, was er denkt. Aber er ist zu feige, in die | |
| Auseinandersetzung zu gehen. | |
| Was passiert mit der ehemaligen Schule in der Reichenberger Straße, in der | |
| auch Flüchtlinge leben? Eigentlich sollte das Haus bereits an verschiedene | |
| Nutzer vergeben worden sein. | |
| Wir machen uns keinen Stress. Im Moment gibt es sowohl mit den Vereinen als | |
| auch mit den Flüchtlingen Gespräche. Meine Idee ist es, das Haus | |
| schwerpunktmäßig zu einem Flüchtlingsberatungshaus zu entwickeln. Viele | |
| Träger, die sich beworben haben, sind eh in der Flüchtlingsberatung. Und so | |
| etwas haben wir in Berlin noch nicht. Das muss allerdings die | |
| Bezirksverordnetenversammlung mittragen. | |
| Sie sind ja bekannt für Ihre spontanen Kommentare, sei es auf Facebook oder | |
| live. Vervollständigen Sie doch bitte die folgenden Aussagen: | |
| Touristenhorden, die durch die Straßen ziehen, sollte man… | |
| … Gummirollen an die Rollkoffer machen, damit es nicht so klappert. Und die | |
| Bierbikes wegnehmen. Die sind ein Ausdruck von Respektlosigkeit gegenüber | |
| den Berlinerinnen und Berlinern. Ich habe schon Leute von diesem Gefährt | |
| runterkotzen sehen. Fette grölende Kerle, knallrot, ohne Unterhemd. Ich | |
| will das nicht sehen. | |
| Wollen Sie Bierbikes verbieten? | |
| Es geht mir darum, dass die Leute, die die Stadt besuchen, selber auf die | |
| Idee kommen, dass das kompletter Scheiß ist. Verbieten ist nicht mein | |
| Thema, aber ob man mal Wasser schüttet… Das war jetzt kein Aufruf zur | |
| Gewalt (lacht). Im Ernst: Man muss gucken, dass solche Dinge nicht überhand | |
| nehmen, damit die Bevölkerung sich noch wohl fühlt. | |
| Nächste Ergänzung bitte: Die Mietsteigerungen im Bezirk… | |
| … können wir nur verlangsamen. Aufhalten oder gar rückgängig machen können | |
| wir diesen Prozess nicht. | |
| Der Luxuswohnturm, der an der East Sidy Gallery gebaut wird, ist… | |
| … ein Ärgernis. Der Bezirk hat es ja geschafft, den Streifen fast komplett | |
| frei zu halten. Mein Vorgänger Franz Schulz hat Himmel und Hölle in | |
| Bewegung gesetzt, aber an dieser Stelle hat es nicht geklappt. | |
| Nächste Ergänzung: Den Roma, die am Görlitzer Park in Autos übernachten, | |
| sage ich… | |
| … erstmal „hallo“. Dann frage ich, was ihre Kinder machen. Das ist nach w… | |
| vor ein Thema wegen der Bettelei. Bei diesen Roma handelt es sich um | |
| Wanderarbeiter, die gehen jedes Jahr und kommen wieder, Wohnungsangebote | |
| sind also nicht so interessant für sie. Aber ich lade sie ein zu dem | |
| Projekt, das wir vom Jugendamt extra für die Roma im Görlitzer Park | |
| entwickelt haben. | |
| Sie sind Kreuzbergerin mit Herz und Seele. Friedrichshain ist für Sie… | |
| … ein interessantes Terrain mit spannenden Begegnungen, vor allem mit | |
| Altfriedrichshainern. Wir haben hier ein Forum für professionelle und | |
| Hobbyhistorikerinnen gegründet. Es geht darum, das normale Leben zu | |
| DDR-Zeiten in Friedrichshain darzustellen, nicht die Opfer-Täter-Nummer. | |
| Ich habe auch Respekt vor denen, die in der Partei waren. Ich komme nicht | |
| mit Vorverurteilungen daher. Ich will den Austausch. | |
| Letzte Aussage: Lesbisch zu sein bedeutet für Sie… | |
| … Freiheit. | |
| Glauben Sie, dass Sie Ihre offene, spontane Art als Bürgermeisterin | |
| beibehalten können? | |
| Ich hoffe es. Mein Kapital ist meine Authentizität. Das, was ich sage, das | |
| meine ich so und das mache ich auch so. Wenn ich das kontrollieren müsste, | |
| wüsste ich nicht, ob mir Politik noch Spaß macht. | |
| Wir haben viel geredet über das, was Sie geerbt haben von Ihrem Vorgänger. | |
| Was ist denn Ihr Projekt, Ihre Vision für den Bezirk? | |
| Mein Bezirk ist aufmüpfig, tolerant und heterogen. Ich gestalte die Politik | |
| hier seit Mitte der 90er-Jahre mit. Ich will kein anderes | |
| Friedrichshain-Kreuzberg. Hätte ich eine andere Idee von diesem Bezirk, | |
| wäre ich nicht Bürgermeisterin. | |
| 31 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
| Sebastian Erb | |
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