# taz.de -- Entlang der Keystone-XL-Pipeline: Ein Ölstaat mitten in Kanada | |
> Im Bundesstaat Alberta boomt die Förderung von Erdöl aus Teersanden. Das | |
> vergiftet Menschen und Umwelt. Aber die Behörden schauen lieber weg. | |
Bild: Toxisch: Teersandabbau in Alberta. | |
EDMONTON taz | Das zähflüssige Bitumen sickert mindestens seit Mai auf das | |
Moos und in den feuchten Boden am Cold Lake im Norden von Alberta im Westen | |
Kanadas. Rund eine Million Liter sind bereits an die Erdoberfläche gelangt. | |
Täglich kommen weitere rund 2.400 Liter hinzu. Mehrere Dutzend Vögel, | |
Säugetiere und Amphibien sind tot. Andere, darunter Biber und Blässhühner, | |
werden gegenwärtig in einer Tierklinik im 400 Kilometer weiter südlich | |
gelegenen Edmonton behandelt. | |
Warum der klebrige schwarze Stoff, aus dem in den Teersandregionen im | |
Norden von Alberta Rohöl hergestellt wird, nach oben dringt, ist unklar. | |
Aber zehneinhalb Wochen nach Bekanntwerden des Lecks hat Steve Laut, der | |
Chef des kanadischen Ölkonzerns, CNRL versichert, der Schaden sei jetzt | |
eingedämmt. 120 Arbeiter seien auf dem Gelände mit Reinigungsarbeiten | |
beschäftigt. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass bei CNRL Bitumen an die Erdoberfläche | |
sickert. Auf demselben Gelände war schon 2009 dasselbe Problem aufgetreten. | |
Auch damals konnte die Ursache nicht geklärt werden. Dennoch erteilte die | |
Aufsichtsbehörde der Provinz Alberta dem kanadischen Konzern CNRL die | |
Genehmigung, die Bitumen-Förderung fortzusetzen. | |
Weil das Bitumen von Cold Lake mehrere hundert Meter tief liegt, kann es | |
nicht im Tagebau gefördert werden. Stattdessen wird die In-situ-Methode | |
angewandt. Dabei wird heißer Dampf unter großem Druck in die Tiefe gejagt, | |
um das Bitumen im Felsen zu verflüssigen. Bei der Schockbehandlung fällt | |
das Bitumen in tiefer in der Erde installierte Auffangbecken und wird | |
anschließend an die Erdoberfläche gepumpt. | |
In Alberta, wo die Außentemperaturen im Winter auf unter minus 40 Grad | |
sinken, prallen zwischen dem Druckdampf und den gefrorenem Felsen extreme | |
Temperaturen aufeinander. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dabei Felsen in | |
der Tiefe rissig werden und das Hochsickern von Bitumen an die | |
Erdoberfläche befördern. | |
## Weder Kontrollen noch Sanktionen | |
Bislang herrscht in der Provinz Alberta der Tagebau vor – dafür sind schon | |
jetzt Wälder und obere Erdschichten auf 720 Quadratkilometern zerstört und | |
kommen täglich größere Gebiete dazu. Doch die Zukunft der Ölgewinnung aus | |
den Teersanden ist die „In-situ-Methode“. Denn die größten Bitumenvorräte | |
liegen zwischen 350 und 600 Meter tief im Boden. | |
Kontrollen oder Sanktionen durch Aufsichtsbehörden müssen Ölkonzerne in | |
Alberta nicht fürchten. Der Ökologe Kevin Timoney hat Ende Juli eine Studie | |
vorgelegt, die mehr als 4.060 Regelverstöße bei der Ölförderung in einer | |
Teilregion in Alberta zwischen 1996 und 2012 auflistet. In nur 0,9 Prozent | |
aller Zwischenfälle ist die Provinzregierung von Alberta aktiv geworden. | |
Meist „mit kleinen Geldstrafen“, sagt Timoney in seinem Haus am Rand von | |
Edmonton, und meist erst nachdem sich Medien eingeschaltet hatten. | |
In der mehr als 600 Seiten langen Studie listet Timoney unter anderem | |
unerlaubte Schadstoffabgaben in die Luft und verbotene Abwässereinleitungen | |
in Flüsse und Seen auf. Seine Quellen sind Unterlagen der Umweltbehörden | |
von Alberta, die für die Öffentlichkeit gesperrt waren. | |
Manche Informationen gehen auf Mitteilungen der Ölkonzerne selbst zurück, | |
andere auf – nicht selten anonym eingereichte – Beschwerden von | |
Beschäftigten und Anwohnern. Nachdem er sich den Zugang zu dem geheim | |
gehaltenen Material auf dem Behördenwege erstritten hatte, musste Timoney | |
feststellen, dass zahlreiche Zwischenfälle aus den Dokumenten gelöscht | |
waren. | |
## Kranke Menschen, missgebildete Fische | |
Ähnlich frustrierende Erfahrungen mit Behörden, die der Ölindustrie nicht | |
ins Geschäft hineinwirken wollen, machen auch andere Fachleute. Der Arzt | |
John O’Connor hat vor Jahren Alarm geschlagen, als er bei Patienten aus der | |
Chipewyan First Nation seltene Krebsarten unter anderem an Blase und | |
Schilddrüse sowie Autoimmunkrankheiten an Haut und Darm beobachtet hat. Die | |
Chipewyan leben im Norden von Alberta – flussabwärts von Ölanlagen. In | |
ihrer relativ isolierten Gemeinschaft, deren Siedlung nur im Winter – wenn | |
die Flüsse gefroren sind – auf dem Landweg zu erreichen ist, spielen Jagd | |
und das Sammeln von Beeren und traditionelle Medizin eine große Rolle. | |
Auch der international renommierte Wissenschaftler David Schindler von der | |
Universität Alberta ist mit seinem Wunsch nach unabhängiger Kontrolle der | |
Ölindustrie bislang gescheitert. Schindler ist Limnologe – spezialisiert | |
auf die Wissenschaft von Binnengewässern. In einer Studie hat er 2009 und | |
2010 die Häufung aromatischer Kohlenwasserstoffen und toxischer Metalle in | |
den Feuchtgebieten, Flüssen und Seen von Alberta nachgewiesen. Bei einer | |
Pressekonferenz führte er damals die Körper von missgebildeten Fischen vor. | |
„Dies ist ein Ölstaat“, sagt Andrew Nikiforuk, der zahlreiche Bücher zu | |
Energiefragen veröffentlicht hat: „Mit allem, was dazugehört – Mangel an | |
Transparenz, Vetternwirtschaft und Mangel an Repräsentanz.“ Alberta ist die | |
reichste Provinz Kanadas, eine der reichsten Regionen Nordamerikas. Doch | |
trotz Ölboom ist sie weiterhin hoch verschuldet. | |
Nikiforuk lebt in Calgary. Die Stadt am Fuße der kanadischen Rocky | |
Mountains ist im Rhythmus der Ölförderung gewachsen. Am Flughafen schießen | |
neue Stadtteile aus dem Boden. In der Innenstadt ragen die Firmensitze der | |
Ölkonzerne in den Himmel. | |
Einer aus der Innenstadt von Calgary hat gerade die Seite gewechselt. | |
Nachdem er jahrelang als Spitzenmanager in Ölkonzernen und Lobbyist für die | |
Canadian Association of Petroleum Producers dafür gesorgt hat, dass die | |
Provinz sich nicht in seine Geschäfte einmischt, leitet Gerry Protti seit | |
Juni dieses Jahres die Aufsichtsbehörde Alberta Energy Regulator. | |
6 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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