# taz.de -- Kommentar Asylbewerberheime: Die Abschiebeheime | |
> Die Flüchtlingszahlen steigen, und die bestehenden Einrichtungen sind | |
> voll. Der ausgerufene Notstand jedoch ist politisch gewollt. | |
Bild: Die ehemalige Max-Reinhardt-Oberschule in Berlin-Hellersdorf wurde in ein… | |
BERLIN taz | Nicht überall in Deutschland werden die Menschen ihre Nachbarn | |
so empfangen wie die Anwohner des neuen Asylbewerberheims in | |
Berlin-Hellersdorf – mit dem Hitlergruß. Aber in der gesamten | |
Bundesrepublik kann man sich darauf einstellen, dass auf absehbare Zeit | |
mehr Flüchtlinge hierher kommen werden. Und die bestehenden Unterkünfte | |
sind fast alle voll. | |
Es mag unterschiedliche Vorstellungen darüber geben, wie es vor einem Haus | |
und in einer Straße zuzugehen hat. Und man muss seine Nachbarn nicht mögen. | |
Doch seit Rostock-Lichtenhagen gibt es keine Unschuld mehr in dieser Frage. | |
Die Pogrome der frühen neunziger Jahre bestimmen das Terrain für jede | |
Verhandlung über eine Flüchtlingsunterkunft. Und nirgendwo sonst ist der | |
Grat von Antipathie zu offenem Hass derart schmal. Wer bestaunen will, was | |
der Deutsche von nebenan sich so ausdenkt, wenn er um die Rassenhygiene vor | |
der Haustür fürchtet, kann sich in diesen Tagen durch Gruselkabinette von | |
Vernichtungsfantasien auf den Facebookseiten diverser Anwohnerinitiativen | |
klicken. | |
Ob Berlin, Duisburg, Wolgast oder Bremen: Aufrufe zu Brandstiftung und Mord | |
werden in Rekordzeit salonfähig, wenn kosovarische Roma, syrische oder | |
afghanische Flüchtlinge angesiedelt werden. | |
In Hellersdorf schieben heute Antifas Nachtschichten, weil sie der Polizei | |
nicht zutrauen, die Flüchtlinge vor einem Naziangriff zu schützen. Der DGB | |
verlegt seine Kundgebung vor das Heim, um den Bewohner Beistand zu | |
signalisieren. Und der Innenminister sorgt sich öffentlich um das von den | |
braunen Aktivbürgern beschmutzte „Ansehen eines der beliebtesten Länder der | |
Welt“. | |
Dabei ist das, was in diesen Tagen an Orten wie Hellersdorf geschieht, | |
Folge staatlichen Wollens. Per Gesetz ist festgelegt, dass Asylsuchende | |
nicht in Wohnungen leben sollen, sondern in Heimen. Die werden meist privat | |
betrieben. Auch wenn sich viele Kommunen mit Händen und Füßen dagewehrt | |
haben, die entsprechenden Verträge offenzulegen, sind doch immer wieder | |
Details bekannt geworden. Und die zeigen: Billiger als der normale | |
Mietzuschuss sind diese Heime meist nicht. | |
## Das Asylbewerberheim: ein Ghetto | |
Doch der Staat profitiert von den Sammelunterkünften auf andere Weise. Denn | |
sie sind immer auch ein Ghetto. Sie isolieren und stigmatisieren die | |
Bewohner. Das – Innenpolitiker haben es oft genug deutlich gesagt – ist ein | |
Programm der bewussten Antiintegration. Die Heimunterbringung soll künftige | |
Abschiebungen erleichtern: keine protestierenden Mitschüler oder gar | |
befreundete Nachbarn, keine Unterstützer, die Anwälte besorgen oder | |
Arztgutachten. | |
Dass das Leben in den überfüllten Lagern die Flüchtlinge zermürbt, nimmt | |
der Staat dafür ebenso hin, wie dass die Heime eine bevorzugte Zielscheibe | |
von Rechtsextremen sind. | |
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich nun ausgerechnet in Berlin, | |
das schon vor einigen Jahren die Regel der zentralen Unterbringung | |
abschaffen wollte, Szenen wie in Hellersdorf abspielen. Eigentlich können | |
Flüchtlinge hier durchaus in Wohnungen ziehen. Doch der Rückzug des Staats | |
aus dem sozialen Wohnungsbau hat das Niedrigpreissegment immer weiter | |
ausgedünnt. | |
Dort, wo Asylsuchende sich eine Wohnung zur Miete auf Hartz-IV-Niveau | |
suchen dürfen, konkurrieren sie mit den deutschen Bewerbern um den viel zu | |
knappen Wohnraum. Wie das ausgeht, ist klar. | |
Jetzt ruft der Unionsfraktionschef Wolfgang Bosbach zum „Krisengipfel“ in | |
Sachen Flüchtlingsunterbringung, und Innenminister Friedrich findet die | |
Asylzahlen „alarmierend“. Der Verlockung, das noch stets für ein paar | |
Wählerstimmen am rechten Rand wie in der bürgerlichen Mitte verfangende | |
Thema im Wahlkampf zu nutzen, widerstehen sie nicht. Man darf getrost davon | |
ausgehen, dass sie ganz genau wissen, wen sie mit solchen Worten ermutigen: | |
Denen, die die Sache mit Gewalt lösen wollen. Das nennt man dann wohl: | |
Mittäterschaft. | |
23 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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