# taz.de -- Flüchtlingsunterkunft in Berlin: „Action in Hellersdorf“ | |
> Nach Protesten gegen das Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf | |
> debattieren Politiker: Sollen Nazi-Demos neben solchen Heimen verboten | |
> werden? | |
Bild: Anwohner bringen – beobachtet von einem Filmteam – Spielzeuge für di… | |
BERLIN taz | Sechs Übertragungswagen sind geparkt, auch Journalisten | |
ausländischer Medien sind da. Nachbarn des ehemaligen Gymnasiums, das jetzt | |
ein Flüchtlingsheim ist, werden von Fernsehteams zu Sachverständigen in | |
Migrationsthemen erkoren. Es gibt kaum genügend Passanten für Interviews. | |
„Action in Hellersdorf“, sagt ein alter Mann und muss lachen. | |
Es ist ein friedlicher Medienrummel am Mittwochvormittag in Hellersdorf am | |
Rande Berlins. Ein Flüchtling kommt aus dem Haus und wird gleich von | |
Journalisten umringt. Ob er Angst habe, wollen die Reporter von dem jungen | |
Mann wissen, und was er in Deutschland machen möchte. Ein paar verlegene | |
Antworten später ist er wieder im Heim verschwunden. | |
Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen vorbei und fragt: „Sind wir jetzt alle | |
Nazis?“ Dann kurzzeitig Aufregung unter den Unterstützern, die neben dem | |
Heim ein Zeltpavillon aufgebaut haben. Steht ein Naziangriff bevor? Das | |
Gerücht zerschlägt sich schnell wieder. | |
Die Journalisten verfolgen das alles aufmerksam, denn Deutschland schaut | |
jetzt auf den Osten Berlins. Hellersdorf ist zu einem Symbol geworden. Zu | |
einem Symbol, wie man Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz suchen, nicht | |
empfangen sollte. Und – das ist zumindest die Hoffnung von Politikern und | |
Aktivisten – wie am Ende die Solidarität mit den Neuankömmlingen dann doch | |
überwiegt. | |
## Keiner wird gezwungen, zurückzugehen | |
In Hellersdorf macht seit Wochen eine „Bürgerinitiative“, die anonym im | |
Internet auftritt und in der auch Neonazis mitmischen, Stimmung gegen das | |
neue Flüchtlingsheim. Und ein Teil der Anwohner stimmte mit ein in die | |
„Nein zum Heim“-Rufe. Die ersten Bewohner mussten Anfang der Woche unter | |
Polizeischutz ins Heim einziehen, sieben Asylbewerber haben die Unterkunft | |
schon wieder fluchtartig verlassen. | |
„Keiner wird gezwungen, zurück nach Hellersdorf zu gehen“, heißt es aus d… | |
für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständigen Landesamt für Gesundheit | |
und Soziales. Gleichzeitig hoffen die Verantwortlichen, dass sich die Lage | |
schnell beruhigt. | |
Denn die Stimmung ist aufgeheizt. Daran hat auch die rechtsextreme NPD | |
ihren Anteil, die eine Kundgebung direkt am Heim angekündigt hatte. Am | |
Mittwoch demonstrierte auch eine Handvoll Rechtspopulisten von „Pro | |
Deutschland“. Jetzt wird diskutiert: Wie soll die Politik mit den | |
Provokationen der Neonazis umgehen? | |
Die Landesintegrationsbeauftragte Monika Lüke fordert, dass um | |
Flüchtlingsheime eine Bannmeile eingerichtet wird, in der nicht gegen | |
Asylbewerber demonstriert werden darf. Ein Verbot von Nazidemos in der Nähe | |
von Heimen hatte zuvor auch der Flüchtlingsrat Berlin gefordert. Die | |
Demonstrationsfreiheit sei zwar ein „hohes Gut“, sagte Lüke, „sie darf a… | |
nicht auf Kosten der Menschen gehen, die erneut um Leib und Leben fürchten | |
müssen, wenn zu Hass gegen sie aufgestachelt wird“. | |
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hält diese Forderung für „nicht zu | |
Ende gedacht“ und falsch. „Es ist nicht die Aufgabe des Staates zu | |
entscheiden, wogegen demonstriert werden darf“, sagte er der taz. Für | |
Henkel ist es eine „gefährliche Debatte“. Ein Verbot von Versammlungen sei | |
an strenge Bedingungen geknüpft. „Ich werde als Verfassungssenator nicht | |
die Verfassung aushöhlen.“ Stattdessen müssten rechtsextremen Kundgebungen, | |
so wie in Hellersdorf, „kluge Zeichen“ entgegengesetzt werden. | |
## Keiner hört zu | |
In Hellersdorf wollte die NPD ursprünglich direkt vor dem Heim | |
demonstrieren. In einem sogenannten Kooperationsgespräch mit der | |
Versammlungsbehörde wurde dann auf den rund einen Kilometer entfernten | |
Alice-Salomon-Platz umgeschwenkt. Dort versammelten sich am Dienstag gegen | |
18 Uhr rund 30 Neonazis, von denen sich nur ein paar in die erste Reihe | |
wagten – mit Regenschirmen in der Hand. Einige Eier, eine Flasche und | |
Holzlatten flogen später auch in Richtung der Nazis. | |
Die NPD-RednerInnen sprachen von „Asylmissbrauch“ und „Überfremdung“. … | |
sie hatten keinen, der ihnen zuhörte. Die Reden gingen in den Rufen der | |
rund 800 Gegendemonstranten unter. Vor allem junge Leute, viele aus den | |
Reihen der Antifa, waren nach Hellersdorf gefahren, um sich den Neonazis | |
entgegenzustellen. Ein Teil der NPD-Anhänger wurde dann zur Straßenbahn | |
geleitet. Gegendemonstranten blockierten die Gleise, die Polizei räumte. | |
Flaschen und Steine flogen, nach Polizeiangaben wurden fünf | |
Straßenbahnscheiben beschädigt. Ein Polizist wurde von einer Flasche im | |
Gesicht getroffen. Insgesamt nahm die Polizei 25 Personen vorläufig fest. | |
Die Diskussion darüber, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird, ist | |
spätestens jetzt kein Berliner Thema mehr. Bundespolitiker aller Parteien | |
meldeten sich zu Wort. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der sich | |
regelmäßig selbst alarmistisch zu Asylbewerberzahlen äußert, warnte vor | |
einer rechtsradikalen Instrumentalisierung der Flüchtlingsdebatte, der | |
SPD-Vorsitzende beschreibt die Bilder aus Hellersdorf als „beschämend“. | |
## Kein Krisengipfel | |
Den Vorschlag des CDU-Innenpolitikers Wolfgang Bosbach für ein | |
Krisentreffen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zu | |
Flüchtlingsheimen kritisierten nicht nur Grüne, Linke und SPD. „Wir | |
brauchen keinen Krisengipfel, sondern erstens eine entschiedene Absage an | |
Rassismus und Neofaschismus und zweitens Solidarität mit Flüchtlingen“, | |
sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Ulla | |
Jelpke. | |
Auch im Innenministerium sieht man dafür keine Notwendigkeit. | |
Oppositionspolitiker erneuerten die Forderung nach Abschaffung der | |
Residenzpflicht für Asylbewerber. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland | |
ist jüngst gestiegen, sie liegt aber immer noch weit unter der der 1990er | |
Jahre. | |
Die Aktivisten in Hellersdorf betonen inzwischen, dass nicht alles schlecht | |
sei. Sie bekämen nun auch viel Hilfe. Anwohner bringen Decken und Kaffee am | |
Pavillon vorbei, an dem UnterstützerInnen ihre Mahnwache abhalten. Und | |
trotzdem: Zehn Aktivisten wollen wieder neben dem Heim übernachten. Sie | |
wollen die Flüchtlinge vor Übergriffen schützen. Auch wenn sie nicht genau | |
wissen, was sie machen, wenn Nazis kommen. | |
21 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
Cem Güler | |
## TAGS | |
Hellersdorf | |
Berlin-Hellersdorf | |
Flüchtlinge | |
Notunterkunft | |
Anwohner | |
Berlin | |
Berlin-Hellersdorf | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Berlin | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Berlin | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Protest gegen Flüchtlinge: Neonazis werden überstimmt | |
Erneut marschiert die NPD in Hellersdorf auf und hetzt gegen Flüchtlinge. | |
Der Wunsch von Senat und Bezirk bleibt unerfüllt: endlich Ruhe für die | |
Geflohenen. | |
Kommentar Proteste gegen Flüchtlinge: Die Sorgen der dumpfen Anwohner | |
Viel ist wieder die Rede von den "berechtigten Sorgen" der Anwohner, die | |
derzeit in Hellersdorf gegen Flüchtlinge protestieren. Was ist hier | |
eigentlich berechtigt? | |
Flüchtlingsunterkünfte in Berlin: Zwangsumzug nach Hellersdorf | |
Aus der Motardstraße in Spandau sollen Asylbewerber in das umkämpfte neue | |
Heim ziehen. Sie haben Angst, aber die Behörden setzen sie unter Druck. | |
Kommentar Asylbewerberheime: Die Abschiebeheime | |
Die Flüchtlingszahlen steigen, und die bestehenden Einrichtungen sind voll. | |
Der ausgerufene Notstand jedoch ist politisch gewollt. | |
Stimmungsmache gegen Flüchtlinge: Grüne kritisieren Innenminister | |
Hans-Peter Friedrich befördere mit seinen Äußerungen die | |
ausländerfeindliche Stimmung, so der Vorwurf. Derweil fordert die | |
Polizeigewerkschaft einen Krisengipfel. | |
Flüchtling über Asylheim in Hellersdorf: „Ein verstörender Ort“ | |
Der Palästinenser Karim H. war unter den ersten, die die von Rechten | |
bekämpfte Notunterkunft in Hellersdorf bezogen – und sofort wieder | |
verließen. | |
Kommentar Flüchtlinge in Deutschland: Aktion Sorgenbürger | |
Die Konservativen haben begriffen: Offener Rassismus wird auch von ihren | |
Wählern weniger goutiert. Also rüsten sie ab. Aber nur verbal. | |
Diskussion um Asylbewerberunterkünfte: Sehr lax in Hellersdorf | |
Die Proteste für und gegen ein Asylbewerberheim in Berlin halten an. | |
Innenpolitiker Bosbach will einen Krisengipfel. Das Innenministerium hält | |
dies nicht für nötig. | |
Nazis nahe Berliner Flüchtlingsheim: Hellersdorfer Zustände | |
30 Nazis demonstrierten in Hellersdorf gegen das Asylbewerberheim – 800 | |
Linke hielten dagegen. Die Politik fordert zur Solidarität auf. | |
Protest gegen Berliner Flüchtingsheim: Nichts ist normal in Hellersdorf | |
Anwohner pöbeln, Flüchtlinge flüchten, Linke errichten eine Dauermahnwache. | |
Ein Besuch vor der neuen Asyl-Notunterkunft in Hellersdorf. |