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# taz.de -- Protest gegen Berliner Flüchtingsheim: Nichts ist normal in Heller…
> Anwohner pöbeln, Flüchtlinge flüchten, Linke errichten eine
> Dauermahnwache. Ein Besuch vor der neuen Asyl-Notunterkunft in
> Hellersdorf.
Bild: Polizei vor dem umstrittenen Flüchtlingswohnheim in Berlin-Hellersdorf.
BERLIN taz | Die sechs Männer halten es keine Viertelstunde in der Schule
aus. Gerade erst wurden sie in Bussen zu ihrer neuen Unterkunft gefahren.
Nun verlassen sie diese bereits wieder mit gepackten Reisetaschen und
Plastiksäcken voller Kleidung. Man sei informiert worden, dass es hier
Leute gebe, die sie nicht haben wollten, sagt einer der Flüchtlinge. Aus
Palästina komme er. „Da hatten wir die Mauer, hier stehen wir wieder vor
einer Mauer“, sagt er. „Findet ihr das okay?“
Der Mann läuft auf die rund 200 Protestierer an der Straßenecke zu. „Wollt
ihr uns töten?“, schreit er. Doch die Demonstranten sind für die
Flüchtlinge gekommen, es sind Antifa-Anhänger. „We’re are your friends!�…
ruft einer zurück. Der Palästinenser hört es nicht mehr, er dreht sich um,
läuft weg. Und weint. Sie wollten zurück in ihre vorherige Unterkunft,
sagen seine Begleiter. Kurz darauf fahren die sechs mit dem Bus davon.
Es sollte ein normaler Vorgang werden. Hunderte neu eintreffende
Flüchtlinge muss Berlin derzeit unterbringen. Mit 5.000 Neuankömmlingen
rechnet die Stadt in diesem Jahr, so viele wie lange nicht. Weil alle
Asylheime belegt sind, eröffneten zuletzt mehrere Notunterkünfte. Am Montag
auch in Hellersdorf, weit im Osten der Stadt, in einem Plattenbaugebiet.
Weil der Bezirk bisher wenige Flüchtlinge aufnahm und weil er leerstehende
Gebäude hat. So wie das frühere Max-Reinhardt-Gymnasium, auch ein grauer
Plattenbau. Nun soll er zur Schutzstätte für Geflohene werden. Doch in
Hellersdorf ist nichts normal an diesem Tag.
## „Wir müssen sehen, wie wir klarkommen“
Seit Wochen macht eine Bürgerinitiative Stimmung gegen die Unterkunft,
klagt mit einem Anwalt gegen die Unterbringung. Die Gruppe tritt anonym
auf, der Verfassungsschutz sieht sie aber von Rechtsextremisten
beeinflusst. Auf einer Demo marschierten auch NPD-Leute mit. Die hängten
vor das neue Heim auch ihre Plakate: „Guten Heimflug“. Und die Hetze
verfängt.
In einer Kolonne aus Transportern des Roten Kreuz werden die meisten
Flüchtlinge am Abend zu der Hellersdorfer Schule gefahren, mit Blaulicht.
Die Wagen halten nicht vor der Schule, sondern auf dem Hinterhof. 42 Männer
und Frauen, die aus Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt kommen. In den
kommenden Tagen sollen weitere Flüchtlinge folgen, vorerst 200 sollen in
die Schule.
Aus den Bussen steigen vor allem Serben, Syrer und Afghanen. Einige tragen
kleine Kinder auf dem Arm, alle Reisetaschen. Ein Junge schiebt ein
Bobbycar ins Haus. „Sogar ein Bobbycar!“, raunt eine Frau, die mit anderen
Anwohnern den Einzug hinterm Schulzaun beobachtet. „Und wir müssen sehen,
wie wir klarkommen.“
## 8,2 Prozent für die NPD
Es ist der Begleitsound für die Ankunft der Flüchtlinge. „Die werden auch
noch herchauffiert“, meckert eine andere Frau mit rotgefärbten Locken. Man
wolle das Heim nicht, heißt es auf den Bürgersteigen. Nicht hier. Ein
dicklicher Glatzkopf wird festgenommen, nachdem er den Hitlergruß zeigt.
Sie habe Angst, sagt eine junge Mutter. Wovor denn? „Na vor denen!“
Es sind die Parolen der Bürgerinitiative, die in den letzten Wochen „Nein
zum Heim“ forderte. Offen zu erkennen gibt sich die Gruppe an diesem Abend
nicht. Sie braucht es nicht.
Die Gegend um die Reinhardt-Schule ist sozial angespannt, die
Arbeitslosigkeit liegt bei 11 Prozent. „Wir haben genug Probleme“, ist das
Kernargument der Flüchtlingsgegner. Die NPD erhielt im Stimmbezirk um die
Schule bei der letzten Wahl 8,2 Prozent der Stimmen.
Noch am Abend hatte der Bezirk die direkten Anwohner eingeladen. Im Juli
endete eine Infoveranstaltung im Tumult, weil Anwohner und Neonazis offen
gegen die Flüchtlinge hetzten. Diesmal gab es Zugang nur mit
Einladungskarten, wurde hinter verschlossenen Türen informiert. Doch nur 22
der rund 80 Eingeladenen seien gekommen, sagt ein Bezirkspolitiker der
Linkspartei. Die Stimmung sei diesmal „vernünftig“ gewesen. „Vielen woll…
jetzt einfach nur noch ihre Ruhe haben.“
## 150 Polizisten stehen um die Schule
Man müsse die Sorgen der Anwohner ernst nehmen, hatte Bezirksbürgermeister
Stefan Komoß, ein SPD-Mann, stets betont. Das Problem seien
Rechtsextremisten, die das Thema missbrauchten. Vor der Schule sind Komoß
und seine Stadtratkollegen am Montag nicht. Vereinzelte Abgeordnete der
Linken und Piraten sind stattdessen gekommen und Jürgen Trittin, der
Grünen-Fraktionschef.
Vor allem aber sind es Antifa-Aktivisten, die mit einem Banner, „Refugees
welcome“, neben der Schule Stellung beziehen. Rund 400 werden es bis zum
späten Abend, am nahen U-Bahnhof verteilen sie Flugblätter. Wenn es dunkel
wird, mutmaßen sie, werde es gefährlich.
150 Polizisten stehen um die Schule. Auf dem Gelände patrouillieren
Wachmänner, lassen niemanden ins Haus. Aus einigen Fenstern blicken
Flüchtlinge. Für sie ist es schwer auszumachen, wer sie hier unterstützt
und wer sie weghaben will. Ein linker Demonstrant ruft einem Mann zu, sie
müssten keine Angst haben. „Wir passen auf.“ Der Flüchtling schließt das
Fenster.
Es wird dunkel. In einem Biergarten am Bahnhof schimpft eine Gruppe
Neonazis auf die „Zecken“, ein Tätowierter wirft eine Glasflasche nach
ihnen. Er wird sofort festgenommen. Auch gegenüber der Schule beschimpfen
Anwohner die Linken, Beamte halten sie fern. Mit Bierflaschen stehen sie
vor den Hauseingängen, schauen mal auf die Schule, mal auf die Polizei. Der
Kundgebung der Linken schließt sich keiner an.
## Andere Unterkünfte gesucht
Die Antifa-Leute entscheiden sich zu einer Dauermahnwache, zu unsicher sei
die Lage. An ihrer Straßenecke stellen sie einen Pavillon auf. Wenn es sein
muss, sagt einer von ihnen, bleibe man eine Woche, Tag und Nacht.
Sie hoffe, wird später eine Sprecherin der Berliner Sozialverwaltung sagen,
dass sich „die Lage in Hellersdorf mit der Zeit beruhigt“. Dass sechs
Flüchtlinge die Unterkunft bereits verlassen hätten, sei „natürlich nicht
toll“. Seien diese durch die Situation aber dort ernsthaft belastet, werde
man versuchen, andere Unterkünfte für sie zu finden.
Zwischen den Hellerdorfer Hochhäusern wird es erst um 22 Uhr stiller. In
der Schule sind die Vorhänge zugezogen, Licht scheint noch hindurch im
ersten Stock. Es kehrt Ruhe ein, endlich.
Nur lange wehren wird sie nicht. Für den Dienstagabend hatte sich die NPD
angekündigt. Am Mittwochmorgen wollen die Rechtspopulisten von „Pro
Deutschland“ gegen die „Asylanten“ demonstrieren. Nichts ist gerade normal
in Hellersdorf.
20 Aug 2013
## AUTOREN
Konrad Litschko
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