| # taz.de -- Asylsuchende: „Für einiges fehlt mir das Verständnis“ | |
| > Franz Allert ist zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen in | |
| > Berlin. So viel Hass wie jüngst in Hellersdorf hat er noch nicht erlebt. | |
| Bild: Die Mauern des Anstoßes: In dieser ehemaligen Schule soll eine Flüchtli… | |
| taz: Herr Allert, macht Ihnen Ihr Job gerade noch Spaß? | |
| Franz Allert: Ja, insgesamt macht er noch Spaß, weil man für viele Menschen | |
| etwas erreichen kann. Aber es gibt Einzelfälle, wo sich der Spaß sehr in | |
| Grenzen hält, so wie gerade in Hellersdorf. | |
| Sie sind seit zehn Jahren Chef des Landesamtes für Soziales und Gesundheit | |
| und zuständig für die Verteilung von Flüchtlingen in Berlin. Aktuell aber | |
| sperren sich die Bezirke bei dieser Aufgabe, Bürger gehen auf die | |
| Barrikaden. Woher kommt dieser Widerstand? | |
| Ehrlich gesagt, kann ich mir das auch nicht erklären. Wir hatten ja in den | |
| vergangenen Jahrzehnten deutlich mehr Flüchtlinge in Berlin. In den | |
| Achtzigern etwa, mit den Boatpeople aus Vietnam oder den Palästinensern, | |
| die regelmäßig nach Berlin kamen. Damals, ich war noch Sachbearbeiter, gab | |
| es auch Probleme mit Anwohnern und politische Auseinandersetzungen. Aber so | |
| eine Veranstaltung wie in Hellersdorf, bei der einem Hass entgegenschlägt, | |
| das habe ich so vorher nicht erlebt. | |
| Auf der Bürgerversammlung sollte über eine geplante Notunterkunft für | |
| Flüchtlinge informiert werden. Die aber ging in rechter Stimmungsmache | |
| unter. Was glauben Sie, warum passierte das gerade in Hellersdorf? | |
| Es gab ja auch Unmut in Neukölln oder Charlottenburg, aber nicht so | |
| geballt. Es ist wohl eine Mischung aus bürgerlichem Unwohlsein, Unkenntnis | |
| und den Rechtsextremen der NPD, die die Veranstaltung für sich genutzt und | |
| die Sorgen der Anwohner instrumentalisiert haben. | |
| Bürgerliches Unwohlsein? Die Wortmeldungen waren offen rassistisch. | |
| Zu einem Teil, ja. Es gab aber auch Wortmeldungen von Menschen, die einfach | |
| Sorgen hatten, aus Unwissenheit, nicht weil sie rassistisch sind. | |
| Es war im Vorfeld klar, dass die NPD versuchen würde, die Veranstaltung für | |
| sich zu nutzen. Warum waren Sie nicht besser vorbereitet? | |
| Ich würde das heute sicher auch anders machen. Ich kenne die Mitglieder der | |
| NPD nicht und hatte vor Ort auch keine Hinweise erhalten. Eine vollständige | |
| Moderation der Veranstaltung durch mich war auch nicht geplant, denn es war | |
| ja eine Veranstaltung des Bezirks, nicht unsere. | |
| Experten wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus haben reichlich | |
| Infomaterial, das sie jedem zur Verfügung stellen. | |
| Ja, das sollten wir künftig nutzen. Alle Beteiligten haben, so bin ich | |
| sicher, aus der Veranstaltung auch gelernt. | |
| Sie hatten vor Ort versucht zu moderieren. Wie fühlt man sich, wenn sich | |
| dann der Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, SPD-Mann Stefan Komoß, | |
| hinstellt und sagt, der Bezirk sei auch von den Heimplänen überrascht | |
| worden? | |
| Dann bin irritiert. Denn in diesem Fall hat die leere Schule ja der Bezirk | |
| selber angeboten. Und wir haben zwei Tage nach der Einigung das | |
| Bezirksparlament über die Unterkunft informiert, schneller geht’s nicht. Da | |
| erwarte ich, dass der Bezirk das auch so vermittelt und sich nicht | |
| hinstellt und sagt: Das waren nur die anderen. Aber mich hat noch etwas | |
| anderes enttäuscht. | |
| Was denn? | |
| Ich hätte erwartet, dass die vielen anwesenden Politiker aufstehen und dem | |
| Gepöbel der rechten Störer widersprechen. | |
| Sie meinen zum Beispiel Petra Pau von der Linken und den SPD-Abgeordneten | |
| Sven Kohlmeier? | |
| Es waren Abgeordnete der Kommunal-, Landes- und Bundesebene anwesend. Warum | |
| haben sie nicht deutlich gemacht, dass sie als demokratische Kräfte die | |
| rechtliche und menschliche Notwendigkeit sehen, diese Menschen hier | |
| aufzunehmen, und sie auch den Standort in Hellersdorf unterstützen? Das hat | |
| mir gefehlt und das wünsche ich mir zukünftig. | |
| Vielleicht weil im September Wahlen sind? | |
| Das können diese Personen nur selbst beantworten. | |
| Wie lösen Sie das jetzt in Hellersdorf? Können Sie verantworten, die | |
| Flüchtlinge in eine derart feindselige Umgebung zu schicken? | |
| Meine Empfehlung an die Politik ist: nicht zurückstecken. Erstens weil wir | |
| Unterkünfte brauchen. Und zweitens, weil ich es für falsch halte, der | |
| Polemik der NPD nachzugeben. | |
| Sie haben keine Sorgen um die Flüchtlinge? | |
| Nein. Ich glaube nicht, dass die Bewohnerschaft so aggressiv ist. Und wer | |
| will, könnte auch woanders Unfug stiften. Alle Unterkünfte sind deshalb | |
| sensibilisiert und werden häufiger bestreift. Auch unsere | |
| Sicherheitsdienste werden verstärkt. Man muss das jetzt möglichst geschickt | |
| machen. Ich werde nicht öffentlich bekannt geben, wann wir die ersten | |
| Flüchtlinge dort unterbringen. Und das wird auch nur schrittweise | |
| passieren, nicht gleich 100 Leute am ersten Tag. Meist tritt dann der | |
| Effekt ein: Ach, die sind schon da? | |
| Das klingt nicht nach der Transparenz, die die Anwohner einfordern. | |
| Doch, wir werden weiterhin den Dialog mit den AnwohnerInnen suchen. Sie | |
| werden in kleineren Treffen und auch über die Wohnungsbaugesellschaften | |
| informiert. Dazu erfolgt derzeit die Abstimmung mit dem Bezirk. | |
| Werden Sie die Flüchtlinge über die Debatte aufklären? | |
| Ich glaube schon, dass das notwendig ist. Schon weil wir erklären müssen, | |
| warum wir mehr Wachschutz haben. Aber wir werden das sehr sensibel tun. | |
| Es sind nicht nur Anwohner. In Reinickendorf schickte der CDU-Stadtrat | |
| Briefe an Anwohner mit Ihrer Telefonnummer und der Handynummer des | |
| Betreibers, um gegen eine Unterkunft mobil zu machen. Später sperrte der | |
| Bezirk ein Heim wegen Brandschutzmängeln, setzte ein anderes wegen Masern | |
| unter Quarantäne. Was geht da in Ihnen vor? | |
| Manch eine Entscheidung überrascht mich immer wieder. Und für einige | |
| Entscheidungen fehlt mir auch das Verständnis. Aber ich denke da | |
| lösungsorientiert: Brandschutz hat natürlich eine hohe Priorität, dann | |
| setzen wir da eben Brandwachen hin, auf jeden Flur, 24 Stunden. Ob das | |
| wirklich notwendig ist, bleibt dahingestellt. Bei Problemen versuchen wir | |
| Brücken zu bauen. Was in Reinickendorf ja auch gelungen ist. Wir haben uns | |
| auf 700 Flüchtlinge geeinigt, was im Vergleich zu den anderen Bezirken | |
| überdurchschnittlich ist. | |
| Haben Sie nach der Aktion denn Wutanrufe bekommen? | |
| Nein. Aber es gab natürlich mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich an uns | |
| gewandt haben. | |
| Ärgert es Sie, wie kreativ die Bezirke sein können, Unterkünfte zu | |
| verhindern, und wie wenig Plätze sie schaffen? | |
| Natürlich ärgert mich das, aber ich setze einfach auf Solidarität. Ich muss | |
| mich tagtäglich rechtfertigen, dass ich eine gesetzliche Aufgabe wahrnehme. | |
| Dabei ist die Unterbringung eine gemeinsame Aufgabe Berlins. Und wir geben | |
| uns wirklich Mühe, die Flüchtlinge gleichmäßig zu verteilen und soziale | |
| Brennpunkte nicht zusätzlich zu belasten. Im Rat der Bürgermeister haben | |
| sich ja auch alle Bezirke auf eine gleichmäßige Verteilung über das | |
| Stadtgebiet geeinigt. | |
| Steht Ihnen bei all den Querelen nicht inzwischen der Flüchtlingsrat näher | |
| als mancher Bezirkspolitiker? | |
| Wir haben weiter manchmal andere Auffassungen, aber die Art der | |
| Auseinandersetzung ist sehr konstruktiv und gut. Aber auch die Bezirke sind | |
| in letzter Zeit mehr und mehr kooperativ. Das möchte ich ausdrücklich | |
| positiv anmerken. | |
| CDU-Sozialsenator Mario Czaja hatte jüngst auch Gebäude in Bezirken | |
| beschlagnahmt. Muss das Land in der Unterkunftsfrage härter auftreten? | |
| Nein, Beschlagnahmungen sind immer nur kurzfristige Möglichkeiten, wenn | |
| kein anderer Weg mehr gegeben ist. Dauerhaft ist das keine Lösung. | |
| Der Senat hatte mal beschlossen, möglichst viele Flüchtlinge in Wohnungen | |
| statt in Heimen unterzubringen. Dieses Jahr rechnet Berlin mit 7.300 | |
| Flüchtlingen, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Ist die Wohnungs-Idee | |
| nur noch Utopie? | |
| Nein, unser Konzept sieht auch weiterhin vor, Flüchtlinge in Wohnungen | |
| unterzubringen. Utopie wäre, alle Flüchtlinge, die in Berlin nicht mehr | |
| verpflichtet sind, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu leben, in Wohnungen | |
| unterzubringen. Dann müsste ich jetzt für 5.000 Menschen Wohnungen haben. | |
| Die habe ich aber nicht, und die sind auch nicht da. Aber wir haben in | |
| diesem Jahr 290 Personen untergebracht, im letzten 574. | |
| Der Senat will weit mehr: 275 Wohnungen allein über den Vertrag mit | |
| städtischen Wohnungsbaugesellschaften im Jahr. | |
| Wir steigern uns ja. Aber die Suche ist schwer. Denn das preisgünstige | |
| Marktsegment teilt sich der Flüchtling mit Hartz-IV-Empfängern, Studenten | |
| und anderen Menschen mit geringem Einkommen. | |
| 16 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| A. Wierth | |
| K. Litschko | |
| ## TAGS | |
| Flüchtlinge | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
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