| # taz.de -- Atomexperte über Fukushima: „Tepco betreibt Flickschusterei“ | |
| > Mycle Schneider fordert die Bildung einer Gruppe internationaler | |
| > Fachleute, um die japanische AKW-Ruine zu sichern. Die Gesundheitsschäden | |
| > seien nicht absehbar. | |
| Bild: Wie viel verstrahltes Wasser befindet sich in den Tanks? | |
| taz: Herr Schneider, es kommen alarmierende Meldungen aus Fukushima. Wie | |
| ist die Situation in den havarierten Reaktorblöcken? | |
| Mycle Schneider: Genau kann das niemand sagen. Die Radioaktivität in den | |
| Gebäuden ist tödlich und erlaubt keine Inspektion. Roboter bleiben im | |
| Schutt stecken, manche sind nicht wieder herausgekommen. Kameras haben sich | |
| als schwer dirigierbar erwiesen. Ein Problem besteht darin, dass die | |
| Betonwände eine Fernsteuerung fast unmöglich machen. Ziemlich sicher ist: | |
| Der Brennstoff ist durch die Reaktorbehälter geschmolzen und in den Beton | |
| eingedrungen. | |
| Die geschmolzenen Kerne müssen weiter gekühlt werden. Funktioniert das? | |
| Die Betreiberfirma Tepco pumpt jeden Tag etwa 400 Tonnen Wasser in die | |
| Ruinen, aus denen große Mengen Radioaktivität ausgeschwemmt werden und in | |
| die Kellerräume gelangen. Das Wasser vermischt sich dort mit weiterem | |
| belasteten Wasser. Aus diesem Gemisch pumpt Tepco täglich wieder die | |
| notwendige Menge durch eine Dekontaminierungsanlage und in die Reaktoren. | |
| Außerdem lagern etwa 300.000 Tonnen hochradioaktives Wasser in etwa 1.000 | |
| Tanks. Viele dieser Behälter sind zusammengeschraubt und taugen nicht für | |
| die jahrelange Lagerung radioaktiver Flüssigkeit. Leckagen sind die Folge. | |
| Was hat es mit dem Leck auf sich, durch das 300 Tonnen radioaktives Wasser | |
| in den Pazifik geflossen sein sollen? | |
| Die 300 Tonnen sind aus einem 1.000-Tonnen-Tank in den Boden gesickert. Es | |
| ist davon auszugehen, dass ein Teil ins Meer gelangt ist. Doch das ist | |
| zweifellos nur die Spitze des Eisbergs. Es scheint sicher, dass ständig | |
| radioaktives Wasser ins Grund- und Meerwasser gelangt ist. | |
| Japan hat das Tankleck als Störfall der Stufe 3 gemeldet. Was bedeutet das? | |
| Die Internationale Atomenergie-Organisation nutzt eine von Frankreich | |
| entwickelte Ereignisskala Ines, die ausschließlich der Kommunikation dient | |
| und von 0 bis 7 reicht. Stufe 3 ist demnach ein „ernster Zwischenfall“, | |
| Stufe 7 waren Tschernobyl und Fukushima. Doch die Skala sagt nichts über | |
| das Gefahrenpotenzial einer Situation aus. Ines dient der Information und | |
| Desinformation gleichzeitig und ist leicht zu missbrauchen. | |
| Im Boden unter den durchgeschmolzenen Reaktoren sammelt sich Grundwasser, | |
| das sich Richtung Meer bewegt. | |
| Ja. Unter dem Standort Fukushima fließt ein unterirdischer Fluss, der etwa | |
| 1.000 Tonnen Wasser pro Tag Richtung Meer schickt. Davon dringen jeden Tag | |
| geschätzte 400 Tonnen in die Keller unter den Reaktoren ein, werden dort | |
| kontaminiert und verdoppeln damit praktisch die Menge, die aus den | |
| Reaktoren einfließt. Dies ist der Grund, warum sich die Gesamtmenge rasant | |
| weiter erhöht und bis 2015 etwa 600.000 Tonnen umfassen soll. | |
| Um den Fluss zu stoppen, will Tepco die Erde um die Ruine einfrieren. Ist | |
| das sinnvoll? | |
| Die Vereisung des Grundwassers wäre ein weiteres störanfälliges | |
| Provisorium; sie würde erhebliche Mengen Strom verbrauchen und wäre bei | |
| jedem Stromausfall außer Funktion. Um von solcher Flickschusterei zu | |
| solideren Lösungsansätzen zu gelangen, habe ich die Gründung einer | |
| internationalen Task Force Fukushima vorgeschlagen. | |
| Was soll die leisten? | |
| Ich denke an etwa ein Dutzend internationale Experten, die Japan permanent | |
| bei der Stabilisierung der Anlage, beim Strahlenschutz und der | |
| Lebensmittelsicherheit beraten. Die Gruppe könnte bei bestimmten Fragen | |
| Experten hinzuziehen, die kurz-, mittel- und langfristige Empfehlungen | |
| geben. | |
| Gibt es seriöse Schätzungen über die langfristigen gesundheitlichen Folgen | |
| des Unfalls? | |
| Meiner Kenntnis nach nicht. Solche Schätzungen werden auf Grund von | |
| Berechnungen des Quellterms, also der Menge freigesetzter Radioaktivität, | |
| und der Dosis für bestimmte Bevölkerungsgruppen vorgenommen. Aber | |
| mindestens in den ersten zwei Monaten wurden keine individuellen Dosimeter | |
| an die Arbeiter vor Ort ausgegeben. Ein Verhalten, das man nur als | |
| kriminell bezeichnen kann. Da die Dosisleistung an einem havarierten AKW in | |
| wenigen Metern Abstand um mehrere Größenordnungen schwanken kann, weiß | |
| niemand, welche individuelle Dosis jeder Arbeiter erhalten hat. Damit | |
| stehen alle Aussagen zu möglichen Gesundheitsfolgen für Arbeiter auf | |
| wackeligen Füßen. | |
| 1 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Reimar Paul | |
| ## TAGS | |
| Fukushima | |
| Tepco | |
| Radioaktivität | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| Fukushima | |
| Fukushima | |
| Fukushima | |
| Fukushima | |
| Fukushima | |
| Fukushima | |
| Atomaufsicht | |
| AKW | |
| Schwerpunkt Atomkraft | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Atomkraftwerke in Japan: Mit voller Kraft zurück | |
| Der weltweit größte Atommeiler soll wieder hochgefahren werden. Der | |
| Betreiber des japanischen Unglücksreaktors Fukushima hat einen Antrag | |
| eingereicht. | |
| Japan wieder frei von Atomstrom: Steigende Strompreise | |
| In Japan stehen zum zweiten Mal seit dem Gau in Fukushima sämtliche | |
| Atomreaktoren still. Die Lichter gehen in dem Industrieland deshalb aber | |
| nicht aus. | |
| Kommentar Fukushima: Kultur des Wegsehens | |
| Zu lange ließ Japans Regierung Tepco sein eigenes Atomdesaster aufräumen. | |
| Das Versagen zeigt, wie eine Vertuschungspolitik in die Katastrophe führt. | |
| Aktionsplan der japanischen Regierung: Fukushima wird auf Eis gelegt | |
| Aus der Ruine des Atomkraftwerks tritt weiterhin radioaktiv verseuchtes | |
| Wasser aus. Japans Premierminister kündigt einen 360-Millionen-Aktionsplan | |
| an. | |
| Japanische Regierung schaltet sich ein: Millionen für Fukushima-Sicherung | |
| Mit einer Investition von umgerechnet 360 Millionen Euro will Japans | |
| Regierung das Unglücks-AKW in Fukushima sichern. Das verseuchte Wasser soll | |
| eingefroren werden. | |
| Neues Leck am AKW Fukushima: Japan will Reaktor schnell sichern | |
| Vor Kurzem wurde ein neues Leck am AKW Fukushima entdeckt. Japans | |
| Regierungschef Shinzo Abe sichert nun ein schnelles Handeln zu. | |
| Furcht vor noch mehr Lecks in Fukushima: „Knochenkiller“ an vier Stellen | |
| Das hochgradig verstrahlte Kühlwasser in der japanischen Atomruine stellt | |
| eine immer größere Gefahr dar. Es wurden weitere Spuren mit einer tödlichen | |
| Strahlendosis gefunden. | |
| Leck am AKW Fukushima: Japan hebt Gefahrenstufe deutlich an | |
| Die japanische Atomaufsichtsbehörde hat den Schweregrad des radioaktiven | |
| Lecks am Unglücksreaktor Fukushima hochgestuft. Das Leck sei ein „ernster | |
| Zwischenfall“. | |
| Geld für Fukushima-Betreiber: Steuergelder für Tepco | |
| Die japanische Regierung greift dem Betreiber vom AKW Fukushima unter die | |
| Arme. Mit Steuergeld sollen der Kampf gegen radioaktiv verseuchtes Wasser | |
| geführt werden. | |
| Radioaktivität in Fukushima: Weitere Krebsfälle unter Kindern | |
| Zweieinhalb Jahre nach dem Atomunfall im japanischen Fukushima ist dort die | |
| Zahl von Kindern mit Krebs gestiegen. 360.000 Kinder sollen nun untersucht | |
| werden. |