# taz.de -- Kommentar Kanzlerin Merkel: Besser mit als ohne Angela | |
> Locker bei der Bildung, offen gegenüber Migranten: Merkel sollte weiter | |
> Kanzlerin bleiben. Denn nur sie garantiert einen linksliberalen Kurs. | |
Bild: Können diese Augen schlecht regieren? | |
Wenn nicht alles täuscht, wird die nächste Regierungschefin nach dem Willen | |
der Mehrheit wieder Angela Merkel heißen. Und wenn man einer aktuellen | |
Forsa-Umfrage Glauben schenkt, will sogar fast die Hälfte der Grünen-Wähler | |
sie weiter als Kanzlerin behalten. | |
Zu Recht, denn Merkel hat sich bewährt. Oder glaubt irgendwer, ein | |
SPD-Kanzler hätte sich in der Euro-Krise, in der NSA-Affäre oder gegenüber | |
Syrien ernsthaft anders verhalten als Merkel? Ein Steinbrück, der noch als | |
Finanzminister einst scherzhaft die Kavallerie in die Schweiz einreiten | |
lassen wollte oder Italiens Exregierungschef als Clown verspottete, hätte | |
die Nachbarländer mit seinen flapsigen Sprüchen vermutlich weit mehr gegen | |
sich aufgebracht, als Merkel es mit ihrer stoischen und wortkargen Art | |
vermocht hat. | |
Doch es geht um mehr als nur um Unterschiede im Stil. Merkel hat ja im | |
Grunde eine sozialdemokratischere Politik betrieben als ihr Vorgänger | |
Gerhard Schröder, was Stefan Raab mit seinem Wahl-O-Mat-Witz recht gut | |
getroffen hat. Nicht nur, dass sie Schröders Kurs der Agendapolitik und der | |
Abstinenz von Militäreinsätzen („keine Abenteuer“) mit ruhiger Hand | |
weiterführt. Auch sonst hat sie die Unterschiede zur politischen Konkurrenz | |
so weit nivelliert, dass sie kaum noch Angriffsfläche bietet. | |
Im Bildungsbereich hat sich die Union lockergemacht und von der Hauptschule | |
losgesagt, in der Familienpolitik ihre Biegsamkeit bewiesen, indem sie die | |
Frauenquoten diskutiert und den Kitaausbau vorangetrieben hat. Mit der | |
Energiewende hat sie den Grünen den Wind aus den Segeln genommen. | |
## Islam konnte sich etablieren | |
Vor allem aber hat sich die Union unter Merkel von jenem völkischen Denken | |
verabschiedet, das für sie unter Helmut Kohl noch konstitutiv war. Heute | |
zeigt sich die CDU offen für Einwanderer, sogar für Muslime. Und mit der | |
Einführung islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen und der | |
Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie an deutschen | |
Universitäten wurden in Merkels Amtszeit die Weichen dafür gestellt, dass | |
sich der Islam in Deutschland etablieren konnte. Eine rot-grüne Regierung | |
hätte sich das kaum getraut aus Furcht, dafür als naive Gutmenschen | |
denunziert zu werden. | |
Dank Merkel gelten Zuwanderung und Integration des Islams, Atomausstieg und | |
Ganztagsschulen der Union nicht mehr als Teufelszeug, sondern als rationale | |
Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Und auch wenn die Union | |
bei der Homo-Ehe noch nicht ganz über ihren konservativen Schatten zu | |
springen vermochte: Mehrere offen schwule Politiker in ihren Reihen hat sie | |
immerhin schon verkraftet. | |
Horst Seehofers CSU sorgt mit populistischen Sprüchen zwar noch dafür, dass | |
am rechten Rand neben der Union keine Partei wachsen kann. Doch seiner | |
Rhetorik fehlt jede Substanz – man muss sie nicht allzu ernst nehmen. | |
Deshalb sei die Prognose gewagt: Bei Miete, Mindestlohn und Homo-Themen | |
wird Merkel nach der Wahl ihren Kritikern entgegenkommen. Auch doppelte | |
Staatsbürgerschaft, Lockerungen beim Asylrecht und die Frauenquote werden | |
kommen. Es hängt nur davon ab, wer nach der Wahl mit ihr koaliert. | |
## Merkel hält Union in Zaum | |
Die FDP ist gegen Quoten und Mindestlöhne, aber in gesellschaftlichen | |
Fragen offen. Mit der SPD würde die Sozialpolitik einen Schwerpunkt bilden, | |
und mit den Grünen könnte die Energiewende endlich an Fahrt gewinnen. Was | |
auch immer die Wähler entscheiden, eines ist sicher: Merkel wird ihre | |
Partei auf den entsprechenden Kurs bringen. | |
Bei einer rot-grünen Regierung bestünde die Gefahr, dass sie sich von einer | |
konservativen Opposition und den Boulevardmedien vor sich hertreiben lässt. | |
Bei Angela Merkel dagegen weiß man, dass sie ihre Union im Zaum hält. Darum | |
sind die Aussichten auf eine progressive Politik mit ihr als Kanzlerin | |
besser als ohne sie. | |
4 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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