# taz.de -- Debatte ums Nichtwählen: Geht’s euch zu gut? Ja, klar! | |
> Zahlreiche Kampagnen mahnen zur Stimmabgabe. Dabei ist Nichtwählen kein | |
> Beitrag zum Untergang der Demokratie, sondern ihr Luxus. | |
Bild: Warum? Weil es geht. | |
Wahlwerbung, überall Wahlwerbung. Mal für diese Partei, mal für jene. Immer | |
wieder aber auch: für die Wahl selbst. Kein Wunder. Der Urnengang an sich | |
scheint ein Akzeptanzproblem zu haben. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht | |
gar schon die Demokratie gefährdet, weil große Teile der Bevölkerung mit | |
der Wahl nichts zu tun haben wollen. So ein Drama. | |
Entsprechend setzen die Wahlwerber auf den erhobenen Zeigefinger. Gerade | |
lag zum Beispiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Heftchen mit dem | |
Titel „Denk ich an Deutschland 2013“ bei. Auf dem Titel: Demonstranten, die | |
am 17. Juni 1953 in Ostberlin freie Wahlen forderten. Innen fünf Seiten | |
über Länder, in denen „der Urnengang zu einem mutigen und stolzen Akt | |
politischer Willensbekundung werden“ kann. Ein Foto zeigt eine lange Reihe | |
von Kenianern durch die Steppe zum Wahllokal wandernd. | |
Schön. | |
Oder anders gesagt: Geht’s nicht noch platter? | |
Diese Demokratieromantik erinnert fatal an Eltern, die ihren das Esssen | |
verweigernden Kids mit dem Argument „Denk doch an die hungernden Kinder in | |
Afrika!“ ein schlechtes Gewissen machen wollen. Dabei erkennt schon ein | |
Achtjähriger, dass niemand am Äquator davon satt wird, wenn er selbst den | |
letzten Krümel vom Teller verzehrt. In einer gut versorgten Gesellschaft | |
wie Deutschland ist man eben nicht gezwungen, alles zu essen, was auf den | |
Tisch kommt. Zum Glück. | |
Denn Freiheit ist immer nur die Freiheit, auch mal „Nein“ zu sagen. Besser | |
noch: Mal nichts zu sagen. Keine Position haben zu müssen. Zumal die großen | |
Schlachten geschlagen sind. | |
Es geht schon lange nicht mehr um Kapitalismus versus Kommunismus, sondern | |
nur noch um die Frage, ob die soziale Marktwirtschaft etwas sozialer oder | |
etwas marktwirtschaftlicher sein soll. Es geht nicht mehr um pro und contra | |
Atomkraft, sondern nur noch um die Frage, wie viel Cent pro Kilowattstunde | |
die Energiewende wen kosten soll. Es wird nicht einmal mehr diskutiert, ob | |
Frauen, Homosexuelle, Migranten und so weiter grundsätzlich gleichgestellt | |
werden sollen, sondern nur noch, wie das in der Praxis auch gewährleistet | |
werden soll und muss. | |
Nur noch? | |
Aber das sind doch genau die entscheidenden Punkte, werden nun viele | |
aufstöhnen. | |
Stimmt! | |
Und wer das so sieht, sollte auch zur Wahl gehen. Unbedingt. Aber eben | |
nicht, weil man sich den heroischen Vorkämpfern für ein Wahlrecht | |
verpflichtet fühlt. Oder den armen, nach Beteiligung hungernden Menschen in | |
Afrika, Vorder-, Hinter- und Mittelasien. Sondern weil man das Bedürfnis | |
hat, sein Kreuz zu machen. | |
Wer als Anhänger der demokratischen Republik seinen urnenignorierenden | |
Mitmenschen nur ein empörtes „Euch geht’s wohl zu gut!“ entgegenschleude… | |
muss sich nicht wundern, wenn die kurzerhand antworten: „Ja, stimmt! So | |
what?“ | |
Ist das dann Dekadenz? Ach Quatsch. Was soll schlimm daran sein, sich mal | |
ganz entspannt auf dem Status quo auszuruhen? Solche Wahlverweigerer sind | |
keinesfalls unzufriedene, enttäuschte und parteiverdrossene | |
Politikverächter. Im Gegenteil: Sie sind ein Zeichen satter Zufriedenheit | |
mit dem Gesamtzustand. Umgekehrt formuliert: In dem Staat, dessen Bürger so | |
sehr nach Veränderung gieren, dass bis zum Letzten jeder abstimmen will, | |
will man nicht leben. Dort wären Wahlen aller Wahrscheinlichkeit nach sogar | |
verboten. | |
Für alle, die immer noch partout mit diesen entspannten Nichtwählern nichts | |
anfangen können, noch ein kleiner Trost: Je weniger von allen anderen ihre | |
Stimme abgeben, desto stärker zählt das eigene Votum. Und das ist doch eh | |
das Wichtigste, oder? | |
8 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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