| # taz.de -- ARD-Wahlmann über Umfragen: „Zahlen sind manchmal Datennebel“ | |
| > WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn hält die Sonntagsfrage kurz vor der | |
| > Wahl für ungeeignet. Denn die Ergebnisse seien nicht aussagekräftig. | |
| Bild: Tragen nicht immer zur Erhellung des Publikums bei: Wahlumfragen. | |
| taz: Herr Schönenborn, die ARD wird eine Woche vor der Wahl keine Umfrage | |
| mehr veröffentlichen. Warum? | |
| Jörg Schönenborn: Weil das nicht zur Erhellung des Publikums beiträgt. Es | |
| gibt in der letzten Woche stärkere tägliche Stimmungsschwankungen. Ein | |
| Drittel der Wähler entscheidet sich in den letzten acht Tagen. Die | |
| Sonntagsfrage – also „Wen würden Sie wählen?“ – kann gerade kurz vor … | |
| Wahl sehr zufällige Ergebnisse bringen. Das muss nicht, kann aber so sein. | |
| Das ZDF wird drei Tage vor dem 22. September noch mal Zahlen | |
| veröffentlichen – weil es paternalistisch sei, den Bürgern Informationen | |
| vorzuenthalten. | |
| Wir halten keine Information zurück. Wir machen nur keine Sonntagsfrage | |
| mehr, auch intern für uns nicht. | |
| Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für die aktuellsten Zahlen nicht? | |
| Ich glaube, dass Umfragen sechs Wochen vor der Wahl aussagekräftiger sind | |
| als drei Tage vor der Wahl. Denn da ist das Fehlerrisiko höher. Was man am | |
| Montag misst, kann am Mittwoch und Freitag schon anders sein. Die | |
| Spätentscheider treffen ihre Wahl nämlich nicht linear, sondern oft im | |
| Zickzack. Montags die Partei, Freitag eine andere. Wenn man sich die | |
| Umfragewerte vor den Bundestagswahlen der letzten 12 Jahre anschaut und mit | |
| den realen Wahlergebnissen vergleicht, zeigt sich: Es stimmt nicht, dass | |
| die Umfragen direkt vor der Wahl dem Wahlergebnis am nächsten kamen. | |
| Ein Beispiel? | |
| Das Forsa-Institut führt schon lange Befragungen bis ganz kurz vor der Wahl | |
| durch. 2005 hat Forsa bis zum Freitag vor der Wahl Umfragen gemacht. Das | |
| Ergebnis: 42 Prozent für die Union. Am Sonntag stimmten nur 35 Prozent für | |
| die Union. Gerade die aktuellsten Zahlen sind manchmal Datennebel, der | |
| viele womöglich irritiert. | |
| Es gibt aber das Beispiel Niedersachsenwahl 2013. Da haben viele CDU-Wähler | |
| für die FDP votiert, weil die Liberalen bei den Umfragen unter 5 Prozent | |
| lagen. So kam die FDP auf wundersame 10 Prozent bei der Wahl. In der | |
| letzten Woche zeigten unveröffentlichte Umfragen, dass die FDP schon bei 7 | |
| Prozent lag. Wäre es nicht fair gewesen, diese Zahlen zu publizieren und | |
| taktische Wähler zu informieren? | |
| Niedersachsen war ein besonderer, seltener, zugespitzter Fall. Aber auch da | |
| zweifle ich, ob eine Veröffentlichung sinnvoll gewesen wäre. Wir sehen | |
| doch: Gerade in der volatilen Endphase vor der Wahl kann eine Umfrage die | |
| Wirklichkeit beeinflussen. Vielleicht hätte die FDP dann also nur 6 oder 5 | |
| Prozent bekommen. Und an jedem Tag kann eine neue Umfrage die Stimmung | |
| beeinflussen, wie ein Perpetuum mobile. | |
| Also ist die Gefahr der Beeinflussung der Wähler bei späten Umfragen | |
| größer? | |
| Ja, und ich möchte als Journalist nicht Gefahr laufen, solche Effekte zu | |
| produzieren. Gerade weil die Fehleranfälligkeit der späten Umfragen | |
| besonders hoch ist. | |
| Gibt es konkrete Beispiele, dass spät publizierte Zahlen von Forsa und | |
| Allensbach den Wahlausgang real verändert haben? | |
| Nein, aber das kann man nicht wissenschaftlich solide messen. | |
| In Frankreich und Spanien ist es verboten, eine Woche vor der Wahl Umfragen | |
| zu veröffentlichen. Ist das sinnvoll? | |
| Nein. Denn diese Verbote können via Internet und bei offenen Grenzen ja | |
| leicht umgangen werden. Dann werden die Umfragen eben in Belgien oder der | |
| Schweiz veröffentlicht und gelangen von dort nach Frankreich. Es ist | |
| unnütz, sogar schädlich, da es Gerüchten oder unseriösen Instituten und | |
| Zahlen die Tür öffnet. | |
| Umfragen werden mitunter wie politische Argumente verwendet. Sie | |
| präsentieren heute Abend in der ARD den „Deutschlandtrend“. Müssen Sie die | |
| Ergebnisse nicht stärker in Anführungszeichen setzen, um die | |
| Zahlengläubigkeit zu erschüttern? | |
| Ich versuche das. In der letzten Woche habe ich erwähnt, dass der knappe | |
| Vorsprung von Schwarz-Gelb vor SPD, Grünen und Linkspartei auch an | |
| Messfehlern liegen kann. Bei der letzten Umfrage vor der Wahl versehen wir | |
| die Zahlen der Sonntagsfrage immer mit dem dicken Stempel „Keine Prognose“. | |
| Und das reicht? | |
| Ich hoffe. Es ist mir ein ernsthaftes Anliegen, deutlich zu machen: | |
| Überhöht die Sonntagsfrage nicht! Das ist eine relativ unpräzise Messung, | |
| deren Ergebnisse im Vergleich zu anderen Umfragen politisch eher wenig | |
| aussagekräftig ist. Und: Wir zeigen keine Umfragen in der „Tagesschau“, um | |
| die Zahlen nicht zu Nachrichten zu überhöhen. Die Ergebnisse der | |
| Sonntagsfrage sind keine präzise Nachricht. | |
| Trotzdem werden die Umfragen oft als wissenschaftlich exakte Fakten | |
| missverstanden. | |
| Ich bin da mittlerweile optimistischer. Die Zuschauer nehmen ja wahr, dass | |
| verschiedene Institute manchmal sehr verschiedene Zahlen haben. | |
| 5 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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