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# taz.de -- Pädophilie-Diskussion in der FDP: Liberale Liebesfantasien
> Die Abschaffung des Paragrafen 176 wurde auch von Jungdemokraten
> gefordert. Von den damals Beteiligten ist niemand mehr in der FDP.
Bild: „Wie konntet ihr nur Sex zwischen Erwachsenen und Kindern gutheißen?�…
Nein, ich war nicht dabei. Nein, ich kann mich kaum erinnern. Nein, ich
möchte nicht darüber sprechen. Wer heute danach fragt, wie es in den
Siebzigern und Achtzigern zu pädophilenfreundlichen Einstellungen und
Beschlüssen kommen konnte, bekommt es meist mit einer dieser drei Antworten
zu tun. Die Angst derer, die damals jung waren, vor dem moralischen Furor
der heute Jungen wiegt schwer.
„Wie konntet ihr nur Sex zwischen Erwachsenen und Kindern gutheißen?“ –
diese Frage verlangt, von heute aus gesehen, nach Erklärung. Es waren ja
nicht nur ein paar grüne Landesverbände, die einvernehmlichen Sex“ mit
unter 14-Jährigen zeitweise okay fanden. Sondern große Teile des
Alternativmilieus, darunter auch der linke FDP-Nachwuchs. Personen, die
heute eine wichtige Rolle im Establishment spielen. Warum dachten sie
damals so? Die Erinnerungslücken sind groß und die Bereitschaft zum Reden
gering. Was bleibt, sind konkrete Daten und Fakten, denen man sich
kriminologisch nähern kann.
Zum Beispiel die Konferenz in Grünberg. Im März 1980 trafen sich rund 200
Jungdemokraten in dem hessischen Städtchen zu einer
Bundesdelegiertenkonferenz. Alle elf Landesverbände hatten ihre Delegierten
ordnungsgemäß angemeldet und ihre Anträge dabei. Die Berliner brachten
einen Antrag auf „Gleichberechtigung für sexuelle Minderheiten“ ein. Das
Anliegen: Niemand dürfe mehr seiner sexuellen Orientierung wegen
diskriminiert werden.
Dies sollte für schwule Beamte genauso gelten wie für praktizierende
Sadomasochisten. Oder für sanfte Pädophile. Unter der Überschrift „Keine
Bestrafung der freiwilligen und einvernehmlichen Sexualität“ beschloss man
laut Protokoll: „Die Paragrafen 173 (Inzest), 174 (Sexualität mit
Schutzbefohlenen), 175 (besonderes „Schutzalter“ für männliche
Homosexuelle), 176 (Sexualität mit Kindern) sind zu streichen.“
Der FDP-Nachwuchs wollte also mehrheitlich einen wichtigen Teil des
Sexualstrafrechts abschaffen. Als der Beschluss von Grünberg unlängst
öffentlich wurde, hielt sich die Empörung erstaunlicherweise in Grenzen.
Obwohl vergleichbare Beschlüsse der Grünen auf Kommunalebene zu
Rücktrittsforderungen an das aktuelle Personal führten. Die Jungdemokraten
von damals haben Glück: Keiner von ihnen ist mehr FDP-Mitglied, kaum einer
noch in der Politik aktiv.
## Radikale Positionen
Die Jungdemokraten, die sich 1982 von der FDP abspalteten und seitdem ein
parteiunabhängiger Jugendverband sind, sind nicht vergleichbar mit den
neoliberalen JuLis. Wer damals in Grünberg dabei war, vertrat
bürgerrechtliche bis radikal linke Positionen: gegen den
Nato-Doppelbeschluss, für die Straffreiheit von Abtreibung und
Homosexualität. Die Delegierten von damals sind heute Mitglieder der SPD
oder der Linkspartei. Sie haben es weit gebracht, sind Staatssekretär,
Polizeipräsident einer Großstadt, Vorstand einer Immobilienbank,
Vorsitzender einer Politikstiftung geworden.
Öffentlich will keiner von ihnen über Grünberg reden. Anfragen werden nicht
beantwortet oder von Sekretärinnen abgewimmelt – zu groß ist die Sorge, mit
dem Schmuddelthema Pädophilie in Verbindung gebracht zu werden. Es äußerst
sich nur, wer auch heute noch etwas zu verlieren hat im politischen
Geschäft.
Christoph Strässer, damals Vorsitzender der Jungdemokraten, sitzt heute für
die SPD im Bundestag. Im Wahlkampf-Endspurt erklärte er den Beschluss von
1980 zum „groben Unfug“, den er notgedrungen mitgetragen habe. Andrea
Arcais, SPD-Europakandidat aus Münster, sagt am Telefon, er könne sich noch
gut an einzelne Diskussionen in Grünberg erinnern.
## Schwulen- und Frauenpolik musste irgendwie sein
„Beherrschende Themen waren der bevorstehende Bruch der sozialliberalen
Koalition. Und die massenhafte Abwanderung unserer Mitglieder zu den
Grünen. Darüber redeten wir uns die Köpfe heiß.“ Sexualthemen hätten dam…
nur einen kleinen Kreis der Delegierten interessiert, ihn als
friedensbewegten 19-Jährigen nicht. „Ich kann mich beim besten Willen nicht
daran erinnern, darüber mit abgestimmt zu haben“, sagt Arcais heute.
„Könnte aber gut sein – ich will mich nicht rausreden“.
Aus heutiger Sicht fände er die Abschaffung der Paragrafen 173–176 auch
problematisch. Die Jungdemokraten hätten einen Widerwillen gegen staatliche
Reglementierung gehabt, auch für die Gleichberechtigung von Schwulen und
Frauen sei man selbstverständlich eingetreten. Der Beschluss sei trotzdem
kein Freifahrtsschein für Pädophile: Schließlich sprachen sich die
Delegierten auch dafür aus, die Bestrafung für Vergewaltigung, sexuelle
Nötigung und den sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger zu verschärfen,
wenn das Opfer ein Kind ist.
Dass Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen, war den Jungdemokraten also
klar. Auch dass es dafür gesetzliche Schranken braucht. Sie saßen aber dem
– im linksalternativen Milieu der damaligen Zeit verbreiteten – Irrtum auf,
dass es „einvernehmliche“ Sexualbeziehungen zwischen Kindern und
Erwachsenen gibt.
Der Schauspieler Gerd-Manfred Arndt, der Ende der 70er in Dortmund die
SchwuDos aufbaute, einen Arbeitskreis Schwuler Jungdemokraten, erinnert
sich: Schwulen- und Frauenpolitik sei nur ein Randthema bei den
Jungdemokraten gewesen: „Das lief unter Minderheitenschutz – wir mussten
dem Selbstverständnis der Partei nach dazugehören. Wirklich interessiert
haben sich die meisten für unsere Themen aber nicht.“
## Ein harter Kern gegen viele Gleichgültige?
Auch bei der Diskussion über das Schutzalter sei das so gewesen. Die
Diskussion hätten nur wenige geführt – die Befürworter einer
„einvernehmlichen“ Sexualität hätten recht hartnäckig ihre eigenen
Interessen vertreten. Arndt erinnert sich an Auftritte des verurteilten
Päderasten Peter Schult und an Abgeordnete von Pädophilengruppen. „Ich
stand damals im Kontakt mit Frauengruppen, die mit Missbrauchsopfern
arbeiteten. Mir war klar, dass kein Kind von sich aus die Sexualität mit
Erwachsenen sucht. Für diese Haltung, die auch offizielle Position der
SchwuDos war, wurde ich als kleinbürgerlicher schwuler Faschist
beschimpft.“
Das Zeitfenster für die Toleranz von Pädophilie schloss sich auch bei den
Jungdemokraten bald wieder: Bei der Bundesdelegiertenkonferenz 1982 gab es
einen Antrag mit „Thesen zum Sexualstrafrecht“. Über die These 3, wonach
„sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen, sofern sie von den
Kindern freiwillig eingegangen bzw. angestrebt werden“, straffrei bleiben
sollten, wurde heftig diskutiert und mit großer Mehrheit abgelehnt.
## Lust nicht unterdrücken
Die Mär vom „guten“ Pädophilensex geisterte noch ein paar Jahre lang heru…
In einer Sonderausgabe der Zeitung tendenz aus dem Jahr 1985 zum Thema
Sexualität heißt es noch: „Wegen des Fehlens einer nachweisbaren Schädigung
der betroffenen Kinder glauben Jungdemokraten, die Straffreiheit solcher
Kontakte fordern und verantworten zu können. Jungdemokraten sehen durchaus
die Probleme, die sich aus solchen Kontakten für die kindliche
Sozialentwicklung ergeben können, halten aber die völlige Unterdrückung der
kindlichen Sexualität, wie es heute geschieht, für bedeutend schädlicher
für die kindliche Selbstentfaltung.“
Die Jungdemokratin, die damals das Vorwort schrieb, sitzt heute im
nordrheinwestfälischen Wirtschaftsministerium. Zu ihren damaligen
Positionen möchte sie sich nicht äußern – sie sei „persönlich sehr im
Stress“.
2 Oct 2013
## AUTOREN
Nina Apin
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