| # taz.de -- Leutheusser-Schnarrenberger und FDP: Die Anschlussverwendung | |
| > Die FDP-Minister scheiden schleichend aus dem Amt. Nur für die | |
| > Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bedeutet das Ende einen | |
| > Neuanfang. | |
| Bild: Die FDP braucht sie, um Erfolg zu haben: Sabine Leutheusser-Schnarrenberg… | |
| BERLIN taz | Das Ende dauert nur acht Minuten. Die weiße Holztür im Schloss | |
| Bellevue öffnet sich, und hinter dem Bundespräsidenten schreiten Kanzlerin | |
| und Minister in den hellen Saal, als ginge es zur Kommunion. Dabei sind die | |
| vier Männer und eine Frau von der FDP. Joachim Gauck sagt: „Ich weiß, das | |
| Wahlergebnis ist bitter für Sie und die Freie Demokratische Partei.“ | |
| Guido Westerwelle, Philipp Rösler, Daniel Bahr und Dirk Niebel gucken | |
| betreten ins Nichts. Kameras klicken. „Ich möchte Sie ermutigen, in guter | |
| liberaler Tradition sich weiterhin für die öffentlichen Dinge zu | |
| engagieren.“ Die Einzige, die aussieht, als höre sie Gaucks Worte, ist eine | |
| kleine Frau im schwarzen Hosenanzug. | |
| Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kommt in diesen Wochen eine einzigartige | |
| Rolle zu. Einerseits gehört die Justizministerin zur alten Garde der FDP. | |
| Die Niederlage ihrer Partei bei der Landtagswahl in Bayern hat sie als | |
| Landeschefin mit zu verantworten, sie tritt nicht zur Wiederwahl an. | |
| Andererseits eröffnet die große Krise ihr eine große Chance. Die 62-Jährige | |
| hofft, dass die FDP endlich die Bürgerrechtspartei wird, die diese zu sein | |
| behauptet. Von ihr hängt dabei viel ab. | |
| Doch vor dem neuen Anfang steht ein schleichendes Ende. Die Ära der FDP ist | |
| vorbei – und darf doch nicht enden. Denn ihre Bundesminister bleiben | |
| „geschäftsführend“ im Amt. Offiziell darf das alte schwarz-gelbe Kabinett, | |
| solange kein neues steht, weiter Gesetz- und Haushaltsentwürfe einbringen. | |
| Und vor einer Woche kam das Kabinett zum ersten Mal seit der Bundestagswahl | |
| zusammen. Doch de facto hat Schwarz-Gelb wenig zu bereden und noch weniger | |
| zu entscheiden. Die alte Regierung harrt aus, bis die neue steht. | |
| ## Versteinerte Gesichter | |
| Die Koalitionsverhandlungen und der anschließende SPD-Mitgliederentscheid | |
| könnten dazu führen, dass es erst Mitte Dezember so weit ist. Bis dahin | |
| dürfen allein Regierungsmitglieder verwaiste Ressorts betreuen, weswegen | |
| Leutheusser-Schnarrenberger und die vier FDP-Männer weiterhin amtieren, | |
| obwohl ihre Partei nicht mehr im Bundestag sitzt. Im Verfassungsrecht heißt | |
| diese Regelung „Versteinerungsprinzip“. | |
| Es scheint auch für die Gesichtszüge der FDP-Minister zu gelten, als Gauck | |
| ihnen die Entlassungsurkunden aushändigt und immer das Gleiche sagt: | |
| „Danke.“ | |
| Philipp Rösler, 40 Jahre, kann seinen Plan, mit 45 Jahren die Politik | |
| hinter sich zu lassen, übererfüllen. Im Internet schütten jetzt viele | |
| Nutzer anonym Häme über ihn. Sie haben nicht vergessen, wie der | |
| Wirtschaftsminister den Mitarbeitern des pleitegegangenen Drogeriekonzerns | |
| Schlecker empfahl, sich eine „Anschlussverwendung“ zu suchen. „Danke.“ | |
| Guido Westerwelle wird die Frage beantworten müssen, ob er mit 51 Jahren | |
| alt genug ist für den politischen Ruhestand. Er kann nach der Europawahl im | |
| nächsten Jahr ins EU-Parlament wechseln. Vielleicht wird auch noch ein | |
| schöner Sonderbotschafter-Posten frei. Aber eine Rückkehr in die engere | |
| Parteispitze gilt als ausgeschlossen. „Danke.“ | |
| Daniel Bahr hält eine Hand in der Hosentasche. Der smarte | |
| Gesundheitsminister muss darauf vertrauen, dass große Lobbygruppen | |
| Interesse an ihm zeigen. „Danke.“ | |
| Dirk Niebel steht fern von den anderen FDP-Ministern am Rand. Zu | |
| Jahresbeginn sprach er öffentlich aus, was viele dachten, und forderte den | |
| Rücktritt von Parteichef Rösler. Der blieb aus. Seither bestätigt sich | |
| Julius Cäsars Ausspruch: „Ich liebe den Verrat, aber die Verräter lobe ich | |
| nicht.“ Mit ihm will niemand reden, erst recht kein Parteifreund. „Danke.“ | |
| Auch Leutheusser-Schnarrenberger forderte zu Jahresbeginn kaum verhohlen | |
| Röslers Rücktritt, aber ihre Sonderrolle schützte sie vor innerparteilicher | |
| Isolation. „Danke.“ | |
| Nach acht Minuten schließt sich die weiße Holztür wieder. Für die vier | |
| FDP-Männer ist es womöglich das Ende. Für Leutheusser-Schnarrenberger ist | |
| es die Chance zum Neuanfang. | |
| ## Unter Juristen | |
| Sichtbar wird das fünf Tage vor dem Besuch beim Bundespräsidenten im | |
| Schloss Bellevue, nur wenige Kilometer entfernt. | |
| Im Plenarsaal des Berliner Kammergerichts, Freitagmorgen. Hallende Schritte | |
| auf altem Parkett, rund 50 Herren in schwarzen Anzügen, wenige Damen in | |
| schwarzen Hosenanzügen. Um Punkt 9 Uhr betritt eine kleine Frau mit | |
| strahlend blauem Blazer und dazu passendem Lidschatten den Saal. | |
| Leutheusser-Schnarrenberger sagt jedem, der ihre Hand schütteln will, | |
| freudig: „Ich grüße Sie!“ Sie hat allen Grund, guter Laune zu sein. | |
| Die Noch-Ministerin erhält an diesem Morgen den Max-Alsberg-Preis, eine | |
| Auszeichnung des Vereins Deutscher Strafverteidiger. Wer Preise verleiht, | |
| würdigt auch immer sich selbst. Und hier, unter engagierten Juristen, gilt | |
| die 62-Jährige etwas. Am Vortag hat sie ihr Bundestagsbüro geräumt. Nach 24 | |
| Jahren. Doch das alles ist an diesem Morgen weit weg. | |
| In einer Pause hat Leutheusser-Schnarrenberger die Wahl, einen Keks zu | |
| kauen oder über Politik zu reden. Sie entscheidet sich für beides: „Wenn | |
| ich als Noch-Justizministerin komme“, sagt sie kauend, „dann eher zu | |
| Terminen, die mit meinem Amt als Ministerin zu tun haben, nicht mit | |
| Parteipolitik.“ Sie hat sich den ganzen Tag freigeräumt, um | |
| rechtsgeschichtliche Vorträge zu hören. Sie liebt das, sie lebt dafür. | |
| Schnell noch ein Keks. Sollte der Niedergang der Rösler-Westerwelle-FDP sie | |
| schmerzen, dann überspielt sie ihren Kummer blendend. | |
| Ein Jurist drängelt sich dazwischen, schüttelt ihr die Hand. „Ich wollte | |
| nur sagen: Weiter so!“ Dann schwärmt der Mann von den | |
| Verfassungsrechtsklagen, die der einstige FDP-Politiker Gerhart Baum bis | |
| heute bestreitet. Der 80-Jährige ist neben Leutheusser-Schnarrenberger das | |
| letzte Überbleibsel des Bürgerrechtsflügels der FDP. Jener Parteiströmung, | |
| die nach dem Koalitionswechsel zur Union 1982 versickerte. Die Ministerin | |
| lacht aus dem Bauch heraus: „Danke!“ | |
| ## Eine Überzeugungstäterin | |
| Leutheusser-Schnarrenberger weiß um ihre Sonderrolle. Als die | |
| FDP-Mitglieder 1995 in einem Entscheid für den sogenannten Großen | |
| Lauschangriff stimmten, trat sie von ihrem Justizminister-Posten zurück. | |
| Sie machte sich abseits der Partei einen Namen, führte Klagen vorm | |
| Bundesverfassungsgericht an. Seither gilt sie als Überzeugungstäterin. | |
| Vierzehn Jahre nach ihrem Rücktritt, 2009, war sie zurück im | |
| Justizministerium. Die FDP-Führung konnte sich nicht durchsetzen mit ihren | |
| Steuersenkungsplänen. Die Partei war geschwächt, und damit auch | |
| Leutheusser-Schnarrenberger. Ihre Kraft im Kabinett reichte nur, | |
| Unions-Vorhaben zu verhindern: Die Ministerin hat das Gesetz zur Sperrung | |
| von Kinderpornoseiten im Internet ausgesetzt und die Unterzeichnung des | |
| Acta-Abkommens gegen Produktpiraterie zu Fall gebracht. Vor allem aber hat | |
| sie sich gegen die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten bei Telefon | |
| und Internet gestemmt, die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Der Spiegel | |
| titelte „Die Blockade-Ministerin“. Das stört sie nicht. Sie ist mit sich im | |
| Reinen. | |
| „Zur Vorratsdatenspeicherung und anderen Themen haben wir immer klare | |
| Dreiviertelmehrheiten auf Parteitagen“, sagt sie. „Aber nach außen werden | |
| diese Themen vorwiegend mit mir verbunden und nicht mit der Partei.“ Und | |
| nun? „Da müssen jetzt auch andere FDPler lautstark an der Spitze sagen: | |
| ’Jawoll, dafür setzen wir uns ein.‘ Mit einem Lippenbekenntnis zu | |
| Bürgerrechten ist es in Zukunft nicht getan.“ Sie lächelt. | |
| Sie lächelt, weil das Desaster der FDP für sie eine Chance birgt. Der alte | |
| Strippenzieher Hans-Dietrich Genscher nannte die 62-Jährige in einem | |
| Interview nach der Wahl eine „Rechtsstaatsgarantin“. Genscher, sollte das | |
| heißen, setzt auch in Zukunft auf sie. Andere, wie Dirk Niebel, brauchen | |
| die FDP, um Erfolg zu haben. Aber die FDP braucht | |
| Leutheusser-Schnarrenberger, um Erfolg zu haben. | |
| ## „Ich bin bereit“ | |
| Welche Rolle wird sie spielen in der neuen FDP? Wie wird sie ihre Ideen von | |
| „Bürgerrechtspolitik auf der Grundlage von politischem Liberalismus“ | |
| vertreten? Leutheusser-Schnarrenberger lächelt kurz in sich hinein. Dann | |
| sagt sie: „Es ist jetzt zuallererst die Sache von Christian Lindner, wie er | |
| sich das Führungsgremium vorstellt. Ich will nicht zu denen gehören, die | |
| sagen: ’Ich muss unbedingt dabei sein.‘“ Das hat einen einfachen Grund: S… | |
| muss sich nicht vordrängeln. Die Partei braucht sie. Öffentliche | |
| Aufmerksamkeit ist rar für eine außerparlamentarische Oppositionspartei. | |
| Die Marke „Schnarri“ wird da umso wichtiger. | |
| Der letzte Keks ist gegessen, sie muss zurück in den Saal, in dem sie | |
| vorhin den Preis für ihre Arbeit erhalten hat. Nur ein Satz noch: „Wenn | |
| Christian Lindner meint, er kann meine Hilfe gebrauchen, dann bin ich auch | |
| bereit, ihn zu unterstützen.“ | |
| Dann geht sie zurück in den Saal, wo die Juristen auf sie warten. Zurück in | |
| ihre Welt, aus der sie keine Wahl vertreiben kann. | |
| 24 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Lohre | |
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