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# taz.de -- Guido Westerwelle: Der Abgang des Bad Boy
> Bewundert und gehasst: Der FDP-Politiker ist einer, der die Bevölkerung
> spaltete. Jetzt dankt der Außenminister ab – und wirkt in dieser Rolle
> blendend.
Bild: Guido im Kundus: Da fliegt fast die Krawatte weg.
Sieger zeigen gemeinhin Größe, indem sie sich im Triumph bescheiden geben.
Anders Guido Westerwelle. Es war Oktober 2009, die FDP feierte auf ihrem
Parteitag in Berlin den triumphalen Wahlsieg. Westerwelle trat ans Podium,
lobte die Partei und damit sich selbst. Bei den Koalitionsverhandlungen
habe die FDP ihre Forderungen nach Steuersenkungen durchgesetzt. „Und wer
das als kalte Politik bezeichnet“, rief er in den Saal, „dem ist in seiner
Hirnverbranntheit nicht mehr zu helfen.“
Westerwelle, der viel Gescholtene, zeigte sich ausgerechnet seinem größten
Wahlerfolg nicht gewachsen. Verwundert war darüber wohl niemand. Der
FDP-Politiker hat seine Laufbahn auf einem kühlem Kalkül aufgebaut: Er nahm
es hin, wenn 85 oder 90 Prozent der Bürger ihn und seine Partei ablehnten –
solange der Rest sie wählte.
Vor vier Jahren brachte Westerwelles Taktik der FDP 14,6 Prozent der
Zweitstimmen ein – ein Rekord. Es war der Höhe- und Wendepunkt einer
erstaunlichen Karriere. Ihm folgten Wahlniederlagen, verbale Ausfälle,
gebrochene Wahlversprechen, ein zäher Sturz und das späte Einleben ins
Außenamt. Bald werden die FDP-Bundesminister dem schwarz-roten Kabinett
weichen müssen. Dann tritt Westerwelle, der nur noch geschäftsführend im
Amt ist, auch offiziell ab.
Mit dem 51-Jährigen geht der letzte deutsche Spitzenpolitiker, der die
Bevölkerung spaltete. Er wurde gehasst oder bewundert. Dazwischen gab es,
die letzten Jahre als Außenminister ausgenommen, nichts.
## Mut zur Unbeliebtheit
Darin ähnelt Westerwelle Politikern, deren politische Ausrichtungen ihre
charakterlichen Gemeinsamkeiten verdecken: Der wortgewaltige Oskar
Lafontaine wurde abseits seines Wählermilieus als Populist verabscheut.
Joschka Fischer und Jürgen Trittin teilten nicht nur die Grünen in Anhänger
und Gegner.
Das hatte zum Teil mit ihren klassenkämpferischen Attitüden aus
Jugendzeiten zu tun, viel mehr aber mit ihrer Fähigkeit zur schneidenden
Rede, zu Häme und Spott. Lafontaine, Fischer und Trittin haben die Bühne
verlassen. Mit Westerwelle folgt ihnen der Letzte einer Art: der Politiker
mit Mut zur Unbeliebtheit. Bei seinem Abgang zeigt sich, wie sehr die
Politik sie braucht. Sie sind unbeliebt, aber nicht beliebig.
Das Polarisieren ist die Sache kleinerer Parteien, die nicht für sich in
Anspruch nehmen, für jeden wählbar zu sein. Noch einen Monat vor der
Bundestagswahl ergab eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, dass sich 18
Prozent der Wahlberechtigten vorstellen könnten, die FDP zu wählen. Weniger
Wählerpotenzial hatte nur die Linke mit 15 Prozent. Warum also um Bürger
werben, die ohnehin kein Kreuz bei der FDP machen? 2009 ging diese Taktik
voll auf, 2013 führte sie ins Desaster.
## Streben nach der Mitte
##
Heute will niemand mehr der Watschenmann sein. Peer Steinbrück, als
Finanzminister hoch geschätzt, polarisierte als Kanzlerkandidat nicht, weil
er es wollte. Sondern weil er nicht anders konnte. Alle streben dorthin,
was in Anbetracht mangelnder Inhalte plump „Mitte“ genannt wird. Sie ist
nicht beständig, die deutsche Sehnsucht nach ihr hingegen schon. Die
Karriere Merkels ist, so gesehen, kein Ausrutscher der deutschen Politik,
sondern ihr konsequenter Ausdruck.
Die Angela Merkel der Grünen heißt Katrin Göring-Eckardt, die der
Linkspartei Katja Kipping. Und Christian Lindner, der Nach-Nachfolger
Westerwelles, wirbt um bisherige Grünen- und SPD-Wähler, gibt sich
verbindlich, selbstkritisch und empathisch.
Je voller die Mitte, desto leerer wird es ringsum. Was übrig bleibt, füllen
Neulinge wie die AfD. Ihr Anliegen befeuert Emotionen. Aber sollte sich die
Euro-Krise entschärfen, wird auch das Interesse an der AfD abflauen.
## Hass gegen Westerwelle
Westerwelles FDP aber erfüllte über Jahre eine wichtige Stelle im deutschen
Parteiensystem: die Rolle des Bad Boy, den man gerne hasst. Denn Menschen
definieren sich auch darüber, was sie ablehnen. Ähnlich bei Parteien:
Grüne, Linke, SPD, ja selbst die Union gewinnen an Kontur, wenn sie sich
mit der „Privat vor Staat“-FDP vergleichen. Der Kontrast wird fehlen. Man
muss die Freidemokraten nicht mögen, um ihren Abgang und den Westerwelles
zu bedauern.
Wichtiger als seine Forderungen war ihm stets der Lärm, den sie
produzierten. Als Oppositionspolitiker verlangte er von seinen Mitarbeitern
an jedem Morgen Vorschläge, wie er es in die Schlagzeilen schaffen könnte:
Forderungen, Vorwürfe, irgendwas Knackiges. So ist er aufgestiegen. Und so
entstanden auch seine Krisen.
Westerwelles demonstrative Selbstgewissheit kaschiert eine große
Unsicherheit. Als Sohn zweier Anwälte wird er 1961 in Bad Honnef bei Bonn
geboren. Die Eltern lassen sich scheiden, da ist er noch nicht zehn Jahre
alt. Nach Ansicht seines ersten Biografen, des FAZ-Journalisten Majid
Sattar, traumatisiert die Trennung den Jungen. Vom Gymnasium muss er auf
eine Realschule wechseln, erst zur Oberstufe kehrt er dorthin zurück.
Westerwelle fühlt sich ungeliebt. Er kämpft dagegen an – auf eine Art, die
auch seine Politikführung prägen wird.
## Aufgesetzte Selbstsicherheit
In der Oberstufe muss Guido einmal eine Deutschklausur über Goethe
schreiben. Sein Lehrer urteilt später, der Schüler Guido habe den Text
vermutlich gar nicht verstanden, sich stattdessen „schnell eine Meinung
gebildet und diese dann mit seinem ausgeprägten Mundwerk sehr selbstsicher
vertreten“.
Doch diese Selbstgewissheit ist aufgesetzt. Alles Schmeichelnde, Joviale
und Selbstironische bleibt ihm fremd. Die einzige Rolle, die dem Gehemmten
Sicherheit gewährt, ist die des schneidigen Anklägers.
Als er 2009 Außenminister wird, fremdelt er daher mit der Rolle, die das
Gegenteil all dessen fordert, was zu seinem Aufstieg beigetragen hat:
Zurückhaltung, Maß und Abwägen. Er palavert von „spätrömischer Dekadenz�…
wohl ohne selbst zu wissen, was genau er damit meint. Nur mit Glück behält
er, als er 2011 den Parteivorsitz abgeben muss, seinen Ministerposten.
## Späte Authentizität
Erst, als ihm alle anderen Wege versperrt sind, nimmt er die Rolle des
Außenministers an. Er krempelt die Führung des Auswärtigen Amtes um, vom
Staatssekretär bis zum Büroleiter. Seither wirkt Westerwelle, als sei er
bei sich angekommen. Es muss eine bittersüße Erkenntnis für ihn sein: Von
dem Moment an, in dem er nicht mehr mit aller Kraft um Anerkennung ringt,
wirkt er einigermaßen authentisch und erntet auch deshalb Zustimmung.
Westerwelle wird fehlen. Nicht als Chef eines Ministeriums, das unter ihm
weiter an Einfluss gegenüber dem Kanzleramt eingebüßt hat. Sondern als
Politiker mit dem Mut, sich gegen fünf Sechstel der Bevölkerung zu stellen.
Denn auch das sechste Sechstel hat ein Anrecht auf Repräsentation, ob man
dessen Ansichten teilt oder nicht.
Der Mann, der sich seinem größten Wahlerfolg nicht gewachsen zeigte, dankt
ab. Es sieht aus, als spiele er ausgerechnet seine letzte Rolle blendend:
die des guten Verlierers.
6 Dec 2013
## AUTOREN
Matthias Lohre
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