# taz.de -- Entlang der Keystone-XL-Pipeline: Die Öl-Boomtown | |
> Watford City war einmal ein beschauliches Städtchen in der Prärie. Nun | |
> ist es von Wohncontainern umringt, denn hier sprudelt das Öl. | |
Bild: Die vielen Arbeiter schreckt nichts ab. Öl bedeutet für sie das schnell… | |
Aus der Ferne sieht Watford City aus wie ein Geburtstagskuchen, auf dem | |
niemand die Kerzen ausgepustet hat. Rund um den Ort flackern Flammen auf | |
dünnen Schornsteinen, die aus dem leicht gewellten Land ragen. Es ist Gas, | |
das abgefackelt wird, weil der Marktpreis so niedrig ist, dass der Verkauf | |
nicht lohnt. Nur das Öl, das hier gefördert wird, kommt auf den Markt. Der | |
Rohölpreis liegt über 100 Dollar pro Barrel. Das lohnt sich. | |
Watford City beginnt, wo die Wohnwagensiedlungen aus den Äckern sprießen. | |
Die Stellplätze ohne Kanalisation, Strom oder Asphaltstraßen kosten | |
Monatsmieten, für die anderswo im Mittleren Westen ganze Häuser zu haben | |
sind: ab 600 Dollar aufwärts. Die Siedlungen sind auch im Winter bewohnt, | |
wenn die Temperaturen auf bis zu minus 30 Grad sinken. In den Trailerparks | |
leben Tausende von Zuwanderern aus allen Teilen der USA. Fast alle sind | |
Männer. | |
Lkw-Fahrer, Ölarbeiter, Handwerker. Manche haben ihr ganzes Berufsleben „im | |
Öl“ gearbeitet. Andere haben durch die „Umstrukturierungen“ von Unterneh… | |
in den letzten Krisenjahren ihre Arbeit verloren. In Watford City findet | |
jeder einen neuen Job. Und verdient mehr als irgendwo sonst im Land. | |
Was Dodge City zur Zeit der Rinderherden war, Fairbanks während des | |
nordamerikanischen Goldrausches oder Detroit für die Autoindustrie, das | |
könnte Watford City für das Fracking sein: ein Symbol des rasanten, | |
unkontrollierten Aufschwungs. Eine Boomtown. Ein Ort ohne Luxus, wo man | |
gegen harte Arbeit schnelles Geld bekommt. | |
## Der beste Lohn in den USA | |
In den Wohnwagen am Ortsrand finden sich junge Diplomingenieure aus | |
Kalifornien. Entlassene Autoindustriearbeiter aus Michigan. Und langjährige | |
Lkw-Fahrer wie Rex Barker aus Ohio. Er hat seinen Wochenlohn von früher | |
1.200 Dollar jetzt in Watford City auf 2.500 Dollar erhöht. „Der beste Lohn | |
in den USA“, schwärmt der 59-Jährige. Er arbeitet zwei Wochen inklusive | |
Wochenende, sitzt jeden Tag zwölf Stunden am Lenkrad und macht dann zwei | |
Wochen Pause. | |
Auch „Sprayer“ Mike Leonhart, der die Äcker rund um Watford City mit | |
Unkrautvernichtungsmittel besprüht, bekommt mehr als anderswo: „25 Dollar | |
statt 20 Dollar die Stunde.“ | |
Der 44-Jährige hat mitangesehen, wie die Bauern vor zehn Jahren am Highway | |
85 ihr Land zu Spottpreisen von 5.000 bis 20.000 Dollar angeboten haben. Er | |
überlegte eine Weile, sein Erspartes zu investieren. Und tat es am Ende | |
doch nicht. Weil er sich fragte, was er mit einem Acker soll. Heute ist er | |
überzeugt, dass der Acker, den er nicht gekauft hat, „eine halbe Million | |
Dollar“ wert wäre. „Schade, dass man nicht in die Zukunft sehen kann“, s… | |
er. | |
## Getreide und Rinder haben die Stadt 94 Jahre geprägt | |
Wegen der zahlreichen schweren Unfälle trägt der Highway einen neuen Namen: | |
„Todesfalle 85“. Er führt an dem neuen 24-Stunden-Supermarkt vorbei zur | |
Ortsmitte. Rund um die Uhr rollen Öltanker, Wassertanker und Abwassertanker | |
Stoßstange an Stoßstange durch die 90-Grad-Kurve, die der Highway im Ort | |
macht. Hier hängt jetzt die erste Ampel der Stadtgeschichte. Auf der einen | |
Seite befinden sich, was bis vor fünf Jahren das wirtschaftliche Leben von | |
Watford City bestimmt hat: die beiden Getreidesilos, die alle anderen | |
Gebäude im Ort überragen, und der Rinderauktionsplatz. Auf der anderen | |
Seite der Kurve ist das Heimatmuseum. | |
„Bin ich wirklich in Watford City?“, fragt Museumsdirektorin Jan Dodge sich | |
immer noch manchmal. Wenn sie durch die Stadt geht und kein einziges | |
bekanntes Gesicht sieht. Oder wenn sie im neuen Supermarkt in der Schlange | |
steht und niemand fragt, wie es ihr geht. Die 57-Jährige stammt aus einer | |
Pionierfamilie, dritte Generation. | |
Ihre Großeltern sind nach Nord-Dakota gekommen, als die Regierung 1914 | |
„freies Land“ für Siedler anbot. Jan Dodge hat ihr ganzes Leben in dem Ort | |
in der Prärie verbracht, wo alle 1.200 Bewohner voneinander wissen, wer | |
ihre Eltern waren und was ihre Kinder tun. Wo alle am Sonntag nach dem | |
lutherischen Ritual beten wie ihre norwegischen Vorfahren. Und wo die Leute | |
an jedem Wahltag so konservativ wählen, wie es der Stimmzettel hergibt. | |
„Wir sind eine fest verbundene Gemeinschaft“, sagt die Museumsdirektorin, | |
„wir sind Farmer und Rancher.“ Getreide und Rinder beschreiben die ersten | |
94 Jahre der Stadtgeschichte exakt. Aber seit fünf Jahren bestimmt das Öl | |
den Rhythmus in Watford City. Es hat alles auf den Kopf gestellt. | |
## Über Nacht zum Ölstaat | |
Drei Kilometer unter der Stadt liegt im Bakken, einer Steinformation, die | |
von Montana über Nord-Dakota bis nach Kanada reicht, einer der größeren | |
Ölvorräte Nordamerikas. Seit der hohe Rohölpreis und eine modernisierte | |
Frackingtechnik es rentabel machen, bohren Ölkonzerne aus aller Welt in den | |
Äckern. | |
Während der Rest der USA 2008 in der Rezession versank, sprudelte in | |
Nord-Dakota das erste Öl an die Oberfläche. Fünf Jahre später sind es in | |
diesem Sommer bereits 9.000 Bohrstellen. Sie pumpen jeden Tag 800.000 | |
Barrel Öl nach oben. Zum Vergleich: In ganz Norwegen wird nur doppelt so | |
viel gefördert. Und in den kommenden vier Jahren wird im Bakken erneut eine | |
Verdoppelung der Fördermenge erwartet. | |
Das verschlafene Nord-Dakota ist über Nacht der zweitproduktivste Ölstaat | |
der USA geworden – nach Texas und noch vor Alaska. Mit dem höchsten | |
Wirtschaftswachstum, der niedrigsten Arbeitslosigkeit und den größten | |
Zuwanderungsraten der USA. | |
Der Boom kommt so schnell, dass niemand in den kleinen Städten auf dem | |
Bakken, die zu Ölzentren geworden sind, es schafft, Schritt zu halten. | |
Stadtdirektor Gene Veeder, für die wirtschaftliche Entwicklung zuständig, | |
kennt nicht einmal die aktuelle Einwohnerzahl von Watford City. Er schätzt, | |
dass es heute sechs- oder siebenmal mehr sind als vor fünf Jahren. „Wir | |
haben keine Kapazitäten, das genau zu erfassen“, sagt der 59-Jährige | |
entschuldigend. Im Hauptberuf züchtet er Vieh. In seinem Nebenjob im | |
Rathaus ist es seine Aufgabe, „vorwegzunehmen, was in den nächsten fünf | |
Jahren passiert“. | |
## Die Investoren rennen die Türen ein | |
In den ersten 13 Jahren seiner Karriere als Stadtdirektor hat Veeder sich | |
gegen den Niedergang von Watford City gestemmt. Viele kleine und mittlere | |
Landwirte gaben damals auf. Sie konnten nicht mehr von ihren Rindern und | |
nicht vom Weizen, Raps oder den Erbsen leben. Und schon gar nicht ihre | |
Schulden bezahlen. Da es so gut wie keine Alternative zur Landwirtschaft | |
gab, leerte sich der Präriestaat allmählich. Gene Veeder hat damals | |
versucht, Geld für den Ausbau des Highways zu organisieren. Geschäftsleute | |
davon abzuhalten, aufzugeben. Und Touristen in die Stadt zu holen. „Wer | |
weiß, was ohne das Öl passiert wäre“, sagt er. | |
Heute rennen ihm die Investoren die Tür seines kleinen Büros im Zentrum | |
ein. Sie bringen Projekte in zweistelliger Millionenhöhe mit. Darunter neue | |
Wohnkomplexe und eine neue Wasserversorgungsanlage. Ein Wellnesscenter und | |
vier neue Hotels haben bereits eröffnet. Die Hotels, mit | |
Übernachtungspreisen wie im Zentrum von Manhattan, sind auf Wochen | |
ausgebucht. Weitere sind im Bau. Mit dem Ölboom hat Watford City auch die | |
Schule und die Krankenstation ausgebaut sowie die Polizei verstärkt. Nur | |
ein eigenes Gefängnis gibt es noch nicht. Gefangene werden in die | |
Nachbarstadt Williston geschickt. | |
An Veeders Bürowand hängen Karten mit Punkten und Pfeilen in allen Farben, | |
die die neuesten Ölfördertrends auf dem Bakken anzeigen. Noch vor drei | |
Jahren hatte die Industrie einen Ölvorrat von 577 Milliarden Barrel im | |
Bakken ausgemacht. Inzwischen hat man die Prognosen fast verdoppelt und | |
spricht jetzt von 903 Milliarden Barrel. Schon in den 50ern und 80ern ist | |
rund um Watford City nach Öl gebohrt worden. Doch damals waren die Vorräte | |
schnell erschöpft und die Unternehmen zogen wieder ab. Dieses Mal, so ist | |
Veeder überzeugt, sieht es anders aus: „Die Unternehmen werden bleiben.“ | |
Er freut sich über das neue Leben in seiner kleinen Stadt. Außerdem hat der | |
Ölboom ihm den privaten Vorteil gebracht, dass seine drei Töchter nach der | |
Ausbildung zum Arbeiten zurückgekommen sind. Davon hätte ein Vater in | |
Watford City vor wenigen Jahren nur träumen können. Gene Veeder nennt es | |
„einen Segen“. | |
## Frauen bekommen Pfefferspray zur Begrüßung | |
Auf der Schattenseite des Öl-booms in Watford City steht die neue | |
Unsicherheit. Schlägereien, Drogengeschäfte und Überfälle haben in den | |
Ölförderstädten von Nord-Dakota zugenommen. Am schwierigsten ist es für | |
Frauen. Fast alle können Geschichten von hässlichen Blicken, Worten und | |
Grabschereien erzählen. Das Verbrechen an einer Lehrerin im benachbarten | |
Sidney bedrückt alle noch. Sie ist im Januar 2012 beim Joggen entführt, | |
vergewaltigt und ermordet worden. Die beiden mutmaßlichen Täter waren zur | |
Arbeit „im Öl“ in die Region gekommen. | |
Im Rathaus von Watford City liegen fünf Seiten mit Fotos und den vollen | |
Adressen von sogenannten Sex-Offenders aus. Die meisten dieser | |
Sexualstraftäter leben in den Trailerparks am Ortsrand. Manche auch in den | |
Man-Camps, den Wohncontainern für die Arbeiter, die direkt neben den | |
Bohrtürmen stehen. Die Liste wird ständig im Internet aktualisiert. Sie | |
müssen sich, auch wenn sie ihre Strafen längst verbüßt haben, bei der | |
Ankunft in Watford City bei der Polizei melden. Dann kommen sie auf die | |
Liste. Mehr kann die Polizei nicht tun. | |
Eine Rathaussekretärin in Watford City hat solche Angst, dass sie nicht | |
einmal mehr ihren Hund allein Gassi führt. Eine Verkäuferin hat von ihrem | |
Boss das strikte Verbot erhalten, in irgendeine Bar zu gehen. Manche Eltern | |
lassen ihre Töchter selbst tagsüber nicht allein auf die Straße. Und von | |
einigen Farmer- und Rancherfrauen, die mit dem Öl zu Geld gekommen sind, | |
heißt es, dass sie mehrere Stunden weit nach Montana oder runter nach | |
Süd-Dakota fahren, um dort einzukaufen, weil sie in Watford City Angst | |
haben. Frauen, die neu in die Stadt kommen, erhalten den fürsorglich | |
gemeinten Ratschlag, Pfefferspray in der Handtasche mit sich zu führen. | |
## Klimaveränderung? Politisches Gerede | |
Die Risiken der Frackingtechnologie dagegen interessieren kaum. Fracking | |
verbraucht enorm viel Wasser und produziert zugleich große Mengen | |
hochgiftigen Abwassers. Was die Chemikalien, mit denen das Schiefergestein | |
in der Tiefe beschossen wird, im Grundwasser anrichten, weiß niemand. Bei | |
der Ölförderung strömen unkontrolliert und massenhaft die Treibhausgase CO2 | |
und Methan aus. | |
Doch wer in Watford City nach den Folgen des Frackings fragt, hört weder | |
von Wasser noch von Treibhausgas. Die einzigen anerkannten Umweltprobleme | |
sind „Lärm, Verkehr und Staub. Klimaveränderung? Das ist politischer | |
Quatsch, damit verliere ich meine Zeit nicht“, sagt der Ölarbeiter Scott | |
VanSlambrouck. „Das ist bloß Neid von denen, die kein eigenes Öl haben“, | |
befindet Lkw-Fahrer Rex Barker. Stadtdirektor Gene Veeder meint: „Wir | |
machen uns keine besonderen Sorgen wegen des Hydrofrackings.“ | |
Die Bohrungen sind „doppelt verschalt“, sagt er, um zu erklären, dass es | |
beim Fracking keine Sicherheitsrisiken gebe. Und fügt hinzu, dass die | |
Behörden die Einhaltung der Regeln überwachen. „Feste Helme, | |
Drogenkontrollen, feuerfeste Schutzkleidung“, zählt er auf. Aber als ihn | |
der Konzern Statoil, der auch im Bakken bohrt, zu einer Reise nach Norwegen | |
einlud, staunte der Stadtdirektor darüber, wie „riesig“ das Thema | |
Umweltfolgen dort ist. „Wir sind ein dünn besiedelter Bundesstaat“, ist | |
seine Erklärung. Nord-Dakota, das zweimal so groß ist wie Portugal, hat | |
700.000 Einwohner. | |
Jan Dodge ist eine der wenigen, die sich mehr mit Klima und Umwelt | |
auseinandergesetzt haben. „Ich habe eine Tochter an der Ostküste, die in | |
der Umweltbewegung aktiv ist.“ Doch auch die Museumsdirektorin hat keinen | |
einzigen Moment erwogen, das Öl unter ihrer Ranch im Boden zu lassen. „Der | |
Hunger nach Energie ist einfach zu groß“, beendet sie das Thema. | |
## Nicht alle verdienen an dem Öl | |
Seit das Öl fließt, verdienen manche Landwirte mehr Geld mit | |
Lizenzgebühren, die sie von der Ölindustrie bekommen, als mit Getreide oder | |
Rindern. Andere Farmer hingegen gehen beim Öl völlig leer aus. Selbst wenn | |
es aus dem Boden unter ihrem Land gepumpt wird. | |
Verantwortlich ist eine Besonderheit im Landrecht von Nord-Dakota. Es | |
unterscheidet zwischen Oberfläche und Untergrund. Zwar hatte, wer Land | |
besaß, lange das Eigentum und auch die Schürfrechte, doch oft verkauften | |
die ersten Eigentümer nur den Boden. Oder sie traten die Schürfrechte an | |
den sogenannten Oil-Man ab, der immer dann anklopfte, wenn Nord-Dakota in | |
der Krise steckte. Landwirten bot der Oil-Man oft die einzige Chance, | |
Schulden abzuzahlen. | |
Wer die Schürfrechte noch besitzt, dem zahlen die Ölfirmen Lizenzgebühren, | |
sogenannte Royalities. In Watford City liegen sie zwischen 50- und 60.000 | |
Dollar im Monat pro Bohrung, je nach Ertrag. Manchmal gehen sie über | |
100.000 Dollar hinaus. Das Öl macht manche Landwirte reich. Nach einer | |
Schätzung der Universität von Nord-Dakota schafft es jedes Jahr 2.000 neue | |
Millionäre im Bundesstaat. | |
Seinen neuen Wohlstand zeigt in Watford City niemand offen. Die Landwirte | |
sagen nicht einmal, wie viel Vieh sie auf ihrer Ranch haben. „Einige | |
Hundert Rinder“ gibt man an. Den eigenen Erfolg zur Schau zu tragen, das | |
stört den lutherischen Frieden. Und es erzeugt Neid. | |
## Zuwanderer kommen nur wegen des Geldes | |
Anfangs haben die Landwirte die Lizenzgebühren bloß auf das Sparkonto | |
gelegt. Der eine oder andere leistete sich Reisen in exotische Länder. Die | |
Kirchen bekamen mehr anonyme Spenden. Allmählich kommen jetzt Anlageberater | |
in den Ort. Aber über all diese Dinge möchte niemand sprechen, schon gar | |
nicht namentlich zitiert werden. | |
Die Familie Dodge hat mit den Royalities Schulden zurückbezahlt. Ansonsten | |
hat sich nichts an ihrem Leben geändert. Der Mann kümmert sich weiter um | |
die Rinder und die Ranch. Die Frau arbeitet weiter in der Stadt, im Museum. | |
Bei den Landwirten von Watford City ist das eine traditionelle | |
Arbeitsteilung. | |
Während die Alteingesessenen sich mit dem Reden über das Geld schwertun, | |
ist das für die Zuwanderer kein Problem. Geld ist der einzige Grund, | |
weshalb sie gekommen sind. Und sie messen die Zeit in Dollar, die sie noch | |
in der Prärie verbringen müssen. „Fünf Jahre noch“, hofft Laura Treibitz, | |
„dann haben wir genug, um zurückzugehen.“ Die ehemalige Besitzerin einer | |
Boutique in New York arbeitet jetzt als Rezeptionistin. Ihr Mann war einmal | |
in der Finanzindustrie, in Watford City macht er in Abwassertransport. | |
Beide verdienen mehr als vorher. Und legen jedes Jahr 70.000 Dollar zur | |
Seite. | |
Für die Zuwanderer gibt es in Watford City nichts anderes zu tun, als zu | |
arbeiten. Und Geld zu verdienen. Viele, die nicht direkt „im Öl“ sind, | |
machen zwei Jobs. Das gilt besonders häufig für Frauen, die als | |
Kellnerinnen und Putzfrauen arbeiten. Die Roughnecks hingegen, wie die | |
Männer an den Bohrlöchern genannt werden, die Trucker und alle anderen | |
Ölarbeiter sind fest in einen Rhythmus eingebunden, den die | |
Ölgesellschaften vorgeben, mit Siebentagewochen und Zwölf- bis 14- | |
Stunden-Tagen. Gefolgt von mehreren Wochen Freizeit. | |
## 400 Dollar Lohn am Tag | |
„Dies ist der hässlichste Ort Amerikas“, sagt Scott VanSlambrouck. Der | |
30-Jährige ist einer der selbstbewussten und lauten jungen Männer, die dem | |
Öl quer durch die USA folgen. Und die kein Problem damit haben, über | |
Privatleben, Arbeit und Geld zu sprechen. Er nennt sich selbst Roughneck, | |
ein Raubein. | |
Sein rechter Ringfinger steckt in einem dicken Verband. Bei einem | |
Arbeitsunfall hat er vor wenigen Tagen den oberen Teil des Fingers | |
verloren. „Ach, das ist nicht schlimm“, tut er die Verletzung ab, „sie | |
mussten bloß ein paar Millimeter vom Knochen abfeilen.“ Er hat eigenwillige | |
Vorstellungen von Recht und Ordnung. Wenn es nach ihm ginge, sollten die | |
Sex-Offenders aus den Trailern auf offener Straße erschossen werden. | |
Wenn VanSlambrouck im Akkord arbeitet, verdient er in Watford City 400 | |
Dollar am Tag. Aufs Jahr umgerechnet, ist das dreimal so viel wie ein | |
Lehrer. 28 Tage am Bohrloch, gefolgt von zwei Wochen ohne Arbeit und Lohn, | |
in denen er nach Hause fährt, das ist sein Rhythmus. Seine Frau und die | |
beiden Söhne leben in Michigan. Er hat seinen Unterhalt immer mit extremen | |
Jobs verdient, früher beim Rodeo. | |
Die Idee, seine Familie nach Watford City zu holen, hält er für abwegig. | |
„Hier kann man keine Kinder großziehen“, sagt er, „zu gefährlich, zu vi… | |
Drogen, Gewalt und Prostitution.“ In „fünf bis zehn Jahren“ will er wied… | |
weg sein: „Dann ist mein Haus abbezahlt.“ | |
## Zuhause am hässlichsten Ort Amerikas | |
Die Alteingesessenen sehen das anders. Fünf Jahre nach dem Beginn des | |
Ölbooms liegen rund um den Ort zwar mehr Felder brach als zuvor. Aber | |
niemand hat den Geldsegen genutzt, um zu packen und dem harschen Klima im | |
Norden den Rücken zu kehren. Für sie ist Watford City das Zuhause. | |
Nächstes Jahr feiert die Stadt ihr 100-jähriges Bestehen. Museumsdirektorin | |
Dodge weiß, es wird nie wieder das beschauliche Städtchen in der Prärie | |
werden. Wo die Norweger in einem Ort lebten, die Ukrainer und die Deutschen | |
in anderen und die indianischen Ureinwohner 100 Kilometer weiter östlich im | |
Reservat. Das neue Watford City wird gemischt sein. Und größer als je | |
zuvor. „Aber wir kriegen das schon hin“, sagt sie. „Wir kommen schon wied… | |
zur Ruhe.“ | |
5 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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