# taz.de -- Debatte Große Koalition: Good Boy, Bad Girl | |
> Die SPD geht mit einer Rollenverteilung in die Koalitionsverhandlungen, | |
> die zwar nicht originell, aber effektiv ist. Die hat die Partei auch | |
> nötig. | |
Bild: Rote Rosen, aber kein Rosenkrieg: Hannelore Kraft und Sigmar Gabriel. | |
Seit der Wahl am 22. September ist etwas Erstaunliches passiert. Die SPD | |
hat fast alles richtig gemacht. Das ist angesichts der | |
selbstzerstörerischen Neigungen der Partei und der gelegentlichen Egomanie | |
ihres Führungspersonals nicht selbstverständlich. | |
Dieses Mal gab es jedenfalls keinen Wahlverlierer, der sich am Wahlabend | |
handstreichartig zum Fraktionchef ausrief, wie Frank-Walter Steinmeier | |
2009. Es gibt keine Garantie, dass die Sozialdemokraten so rational | |
bleiben. Aber wenn, dann haben sie zumindest die Chance, mit Angela Merkel | |
zu regieren, ohne unterzugehen. | |
Die SPD-Führung hat vor allem zwei Fehler vermieden. Sie hat nicht den | |
Eindruck erweckt, dass sie, wie zu Münteferings Zeiten, Opposition noch | |
immer dogmatisch für Mist hält und unbedingt regieren will. Das wäre ein | |
Signal Richtung Union gewesen, dass sie billig zu haben sei. Zweitens: Die | |
SPD will die zahlreichen Skeptiker in den eigenen Reihen nicht autoritär | |
maßregeln. | |
Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat sich alle Zweifel der | |
GenossInnen zu eigen gemacht, die fürchten, dass die SPD als Juniorpartner | |
der Union wieder Schiffbruch erleiden wird. Parteichef Sigmar Gabriel | |
schlägt indes andere, verbindlichere Töne an. | |
## Good cop, bad cop | |
Einige Medien haben dies als Machtkampf zwischen Sigmar Gabriel, dem | |
Vizekanzler in spe, und HanneloreKraft, der beliebtesten Sozialdemokratin, | |
gedeutet. Das stimmt aber höchstens am Rande. Ob Kraft bis 2017 überhaupt | |
irgendwelche Ambitionen in Bezug auf Berlin entwickelt, ist ungewiss. Im | |
Kern ist „Kraft versus Gabriel“ deshalb eine raffinierte Arbeitsteilung, | |
die auch noch hübsch gegen die Rollen besetzt ist. Normalerweise ist ja der | |
SPD-Chef der Ungestüme, Nervöse, Polarisierende, die Ministerpräsidentin | |
die Ausgleichende, Moderate. Zögernde. | |
Die SPD geht also mit einer Rollenverteilung in den Koalitionsdeal mit der | |
Union, die zwar nicht originell, aber effektiv ist. Sigmar Gabriel spielt | |
den good cop, der offen für eine Regierungsbeteiligung ist. Kraft giftet | |
sich vorsorglich schon mal mit der CSU an und tritt als bad cop auf. | |
Die NRW-Ministerpräsidentin gibt die Skeptikerin, die SPD-Versteherin, die, | |
falls es am Ende zur Großen Koalition kommt, der kritischen Basis eben | |
einigermaßen glaubwürdig klar machen kann, dass es nicht anders ging. | |
Gerade weil sie ja selbst lange dagegen war. Aufschlussreich ist, dass | |
Kraft mit keinem Satz eine realpolitische Alternative zur Großen Koalition | |
skizziert hat. | |
## Bestrafen die Wähler die SPD? | |
Diese Inszenierung funktioniert bislang ausgezeichnet. Und zwar weil sie | |
mehr als eine Inszenierung ist. Dies ist kein Schauspiel, das einem | |
staunenden, aber unwissenden Publikum vorgeführt wird, um es zu verführen. | |
Es ist vielmehr ein Stück mit offenem Ausgang. Anders gesagt: Gabriel und | |
Kraft werden Merkel und Seehofer nur dann einen brauchbaren | |
Koalitionsvertrag im Sinne der SPD abringen, wenn sie riskieren, auf die | |
Macht zu verzichten. Dann nämlich, wenn die Union nicht genug bietet. Die | |
SPD kann nur in die Große Koalition gehen, wenn sie unabhängig bleibt. Das | |
ist die Dialektik der Lage. | |
Aber was ist mit 2009? Bestrafen die WählerInnnen die SPD nicht | |
automatisch, wenn sie wieder Merkels loyalen Juniorpartner gibt? Nein. Der | |
Absturz der SPD muss sich nicht zwangsläufig wiederholen. Merkels Fähigkeit | |
ihre Koalitionspartner zu ruinieren, ist zwar legendär. Das aber im | |
Wortsinn: nämlich mit recht viel Legendenbildung. Die SPD selbst brach 2005 | |
dreist ihr Wahlversprechen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Dann | |
erfand sie die Rente mit 67, verkrachte sich nochmal mit den | |
Gewerkschaften, verbrauchte zwei Vorsitzende, versank in grässlichen | |
Intrigen und scheiterte in Hessen mit Rot-Rot-Grün an sich selbst. | |
Kurzum: Die SPD befand sich in jener Agenda-2010-Verwirrung, die seit drei, | |
vier Jahren ganz, ganz langsam abklingt. In der letzten Großen Koalition | |
jedenfalls brauchte es nicht Merkels vielgerühmtes taktisches Geschick, um | |
die SPD zu ruinieren. Das machte die schon ganz alleine. | |
## Gute Chancen für die Zukunft | |
2013 tritt die SPD weniger verwirrt auf – und hat viel größere Chancen, in | |
der komplizierten Rolle des Merkelschen Koalitionspartners sichtbar zu | |
bleiben. Die Kernforderungen sind dabei allesamt Korrekturzeichen zur | |
Agenda 2010: höhere Steuern für Reiche, Mindestlohn von 8,50 Euro, | |
Mindestrente, weniger Zeit- und Leiharbeit. Davon muss sie Wesentliches | |
durchsetzen. | |
Recht geschickt ist daher die Idee des Mitgliederentscheids. Es ist zwar | |
keineswegs zu erwarten, dass die GenossInnen einen ausgehandelten | |
Koalitionsvertrag ablehnen und damit die gesamte Parteielite, von Gabriel | |
bis Kraft, in die Wüste schicken. Dies ist in 150 Jahren SPD-Geschichte | |
noch nie vorgekommen. Aber: Die Rückbindung an das Basisvotum zwingt die | |
Führung ein einigermaßen brauchbares Ergebnis vorzulegen. Der Mindestlohn | |
allein wird kaum reichen. | |
Für eine Merkel-Gabriel-Koalition spricht auch das fatale | |
Kooperationsverbot, das Bildung zur reinen Ländersache macht und eine | |
finanzielle Unterstützung des Bundes verunmöglicht. Diese Regel ist falsch. | |
Durchgewunken wurde sie 2006 von, genau, der Großen Koaltion, die sie in | |
die Verfassung schrieb. | |
Das Kooperationsverbot ist 2013 noch weniger zeitgemäß, weil die | |
Schuldenbremse, die, genau, auch die Große Koalition beschloss, die Länder | |
besonders hart trifft. Um gute Bildung zu finanzieren, muss das | |
Kooperationsverbot wieder raus aus der Verfassung. Das geht nur mit | |
Zweidrittel-Mehrheit im Bundesrat. Will sagen: Um die Schäden zu | |
reparieren, die eine Große Koalition anrichtete, ist jetzt eine Große | |
Koalition nötig. | |
Die Lage der SPD ist also besser als sie aussieht. Vorausgesetzt, die | |
Partei verkauft sich nicht unter Wert. Sie kann, nein, muss hoch pokern, | |
selbst wenn die Union mit Neuwahlen droht. Die wären auch für Merkel ein | |
Risiko. Die Idee indes, dass die Große Koalition ein Selbstläufer für die | |
SPD sei, weil sich Merkel nach ihrem Wahlsieg nun auf dem absteigenden Ast | |
befinde, ist ein törichte Illusion. Die Sozialdemokraten sollten mal | |
nachgucken, wie oft sie das früher Helmut Kohl bescheinigt haben. | |
17 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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