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# taz.de -- Bundestagswahl und politische Kritik: Defätismus oder Barbarei
> Die große Koalition kommt. Das AfD-Prinzip bleibt. Der Kapitalismus
> dominiert das Netz. Es ist trotzdem an der Zeit, sich vom Scheißefinden
> zu verabschieden.
Bild: Manches kann man drehen und wenden – es bleibt einfach Scheiße
Alles Scheiße. Klar. Gestern, heute, morgen. Wird sich nicht ändern. Lässt
sich nicht ändern. Der Kapitalismus unterwirft sich die Welt – politisch,
ökonomisch, sozial, kulturell – jeden Tag ein Stückchen mehr. Auf 100 Jahre
Helmut Kohl und das knapp zehnjährige Elend von Rot-Grün samt Kriegseinsatz
und Hartz IV folgen nun 100 Jahre Merkel, für die nächsten vier Jahre wohl
in einer großen Koalition.
Wir altlinken Defätisten – vom Herzenssozialdemokraten jenseits der SPD bis
zum Autonomen und von der Anarchistin bis zur Freundin der Kritischen
Theorie – glauben, schon jede politische Zumutung erlebt zu haben, und
bevorzugten deshalb lange die Politik des kleineren Übels.
[1][Große Koalition? Super!] Das bedeutet Stillstand. Niemandem wird
richtig wehgetan, die großen Parteien werden kleiner, die kleinen größer,
sonst tut sich vier Jahre lang nichts. Überall Kompromisse. Stillstand in
Deutschland ist gut. Besser jedenfalls als all die Scheiße, die im
Bundestag und Bundesrat beschlossen wird, wenn keine Große Koalition
regiert.
So sangen wir das Lob des Stillstands, ein schräges Lied, aber voller
hübscher Synkopen und der Nationalhymnenscheiße in jedem Fall vorzuziehen.
Es folgte Schwarz-Gelb. Wir Defätisten und unsere besten Freunde, die
Griechen, merkten den Unterschied gleich. Wo Stillstand war, folgte
Bewegung. Die Griechen traf der Schwung dieser neuen Bewegung mit voller
Härte. Wir Defätisten tauchten, eskapistisch, wie wir sind, erstmal ab.
Auch das war: Scheiße.
## Kommerzscheiße
Auf die neue Große Koalition können wir linken Scheißefinder uns nicht mehr
freuen, denn der Erfolg der AfD hat Folgen. Es geht nicht darum, ob die AfD
in Parlamente einzieht oder nicht. Es geht ums AfD-Prinzip –
Renationalisierung – und um die Versuche von der Union über SPD und FDP bis
hin zur Linken, die AfD zu bremsen, indem man ihr Prinzip übernimmt.
Renationalisierung bedeutet Barbarei. Der Nationalismus, von jeher der
überflüssigste unter den Ismen, trifft in seiner neuesten Inkarnation auf
eine Situation, in der Deutschland ohnehin Europa dominiert. Vielen in
diesem Land reicht das aber immer noch nicht. Ganz große Scheiße.
Auch ein anderes kleineres Übel hat sich für uns kritische Defätisten erst
mal erledigt. Das Internet erschien uns zwar zum größten Teil als hässlich,
nutzlos und voller Irrer, aber eben nicht in Gänze. Es war auch ein Hort
des Abseitigen.
Laut und deutlich waren hier die [2][Stimmen] [3][anderer Scheißefinder]
[4][zu vernehmen], und getrennt wie gemeinsam suhlten wir uns genüsslich
[5][in Blogs], Foren und [6][Netzwerken] in unflätigen Flüchen über das
Immergleiche.
Das Internet von heute ist tatsächlich das geworden, was es von Anfang an
werden sollte. Dank Facebook, Google und Amazon ist es ein digitales Abbild
der kapitalistischen Totalität, eine quietschbunte, grellblinkende
Warenwelt samt der hyperindividualistischen Fixierung Vieler, die sich
freiwillig der Selbstvermarktung unterwerfen.
## Spitzelscheiße
Die allgegenwärtige Datenspitzelei ist entweder nur ein hipper Metaaspekt
von Post-Privacy oder eh nicht zu ändern und deshalb halb so wild. Man
sieht: auch hier nur Scheiße.
Es reicht. So kann es nicht weitergehen. Wir affirmationsfeindlichen
Scheißefinder haben, wenn es so kommt, wie es kommen muss, dank der
nächsten Großen Koalition maximal vier Jahre Zeit zum Üben. Diese
Zeitspanne muss kürzer ausfallen, so lange können unsere griechischen
Freunde, die wir einst im Stich ließen, nicht mehr warten.
Also: Scheißefinden ist fortan Scheiße. Defätisten aller Länder, vereinigt
euch! Außer- und innerhalb von Parlamenten. Bildet Gewerkschaftsbanden!
Unterwandert Grüne und SPD! Tretet in die Linke ein, in Attac auch, gründet
neue marxistische und poststrukturalistische Salons. Lasst keine soziale
Bewegung, keinen kritischen Zwischenruf aus. Alles ist besser, als nur
zuzusehen, um dann bloß wieder vor der alten Scheiße zu stehen.
Wir wollen endlich neue Scheiße.
17 Oct 2013
## LINKS
[1] http://jungle-world.com/artikel/2005/12/14896.html
[2] http://sofa.digitalien.org/sofisten/praschl.html
[3] http://textdump.antville.org/
[4] http://www.goncourt.net/Blog/
[5] http://bov.antville.org/
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Antville
## AUTOREN
Maik Söhler
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Griechenland
Schwarz-rote Koalition
Deutschland
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