Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Alternative für Deutschland: Spießig und vorlaut
> Die AfD hat mit Liberalismus nichts zu tun. Ihr Nationalismus und
> Ressentiment gegen Arme sind Freidenkern unwürdig.
Bild: Hat sich die AFD Wahlkampfhilfe bei der Blueman Group geholt?
Gut 400.000 ehemalige FDP-Wähler haben am 22. September für die
„Alternative für Deutschland“ gestimmt. Parteichef Bernd Lucke spekuliert
auf weitere „Überläufer“. Tritt also mit der AfD eine neue liberale Kraft
aufs politische Parkett?
Nein: Die AfD ist höchstens in Wirtschaftsfragen liberal und pflegt
ansonsten ein populistisch-konservatives Weltbild, das vor allem an
Ressentiments andockt. Um das zu belegen, soll nicht in erster Linie das
Parteiprogramm herangezogen werden, sondern auch Äußerungen von
Funktionären und Unterstützern. Denn eine Partei, gerade eine Partei, die
sich noch formiert, ist nur im Zusammenspiel aller ihrer Teile zu
begreifen.
Die Anhänger der AfD haben sich bisher nicht im besten Licht präsentiert.
Pöbeleien gegen Migranten, „Zecken“ und finanziell schwächer Gestellte
begegnen dem interessierten Leser auf Facebook und in den
Online-Leserkommentaren verschiedener Zeitungen häufig. Kritiker der Partei
werden schnell als Teil einer gesteuerten Kampagne denunziert, und
überhaupt herrscht in Debatten mit Andersdenkenden ein aggressiver Ton vor.
Liberal sein heißt idealerweise jedoch, nicht nur andere Meinungen
zuzulassen, sondern auch dafür zu kämpfen, dass der Andersdenkende seine
Ansichten formulieren darf. Liberalismus bedeutet gelebte Toleranz, der
Liberalismus definiert daher auch keine absoluten Wahrheiten. Aggressivität
ist also ein sicheres Zeichen für eine unliberale Gesinnung. Der lautstarke
AfD-Unterstützer ist typischerweise ein besserwisserischer Besserverdiener.
Sein Dogma lautet: „Der Euro muss weg!“
Selbst, wo man sich moderat gibt, spricht die Moderation Bände. So fiel
AfD-Sympathisanten zu den sicherlich kritisierenswerten, da mit
Nazisymbolik operierenden Protesten gegen die deutsche EU-Politik in
Griechenland nichts anderes ein, als einmal mehr den berühmten
„Schlussstrich“ zu fordern. Die Nazivergangenheit, hieß es, müsse man ruh…
lassen. Überdeutlich wurde dies zuletzt wieder, als Lucke im Anschluss an
das Verfehlen der 5-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen von „entarteter
Demokratie“ sprach.
Statt die Entgleisung zu reflektieren, machte sich unter anderem die AfD
Mecklenburg-Vorpommern in einem Banner auf ihrer Facebookseite die Wortwahl
zu eigen. Hieraus spricht ein Wunsch nach Freiheit von historischer
Verantwortung ebenso wie die trotzige Verweigerung von nationaler
Selbstreflexion. Beides ist dem Liberalen unwürdig.
## Falsche Familienwerte
Der liberale Vordenker Voltaire wollte seine körperliche Unversehrtheit
dafür einsetzen, dass der Andersdenkende jederzeit seine Meinung äußern
dürfe. Liberale sollten daher auf die Meinung Andersdenkender mit
Argumenten reagieren, nicht mit Aggression. Und sie sollten zur
Selbstkorrektur fähig sein. Polemik um jeden Preis mit nach rechts offener
Flanke zeugt indessen von Unvernunft. Oskar Wilde schrieb: „Jeder von uns
hat nur eine Aufgabe zu lösen: sich selbst voll zum Ausdruck zu bringen.“
Bleibt zu hoffen, dass die Freunde der AfD davon noch weit entfernt sind.
Neben ehemaligen Sympathisanten der FDP haben nun auch zahlreiche Wähler
der Linkspartei die AfD gewählt. Worin sehen sie sich von der neuen Partei
vertreten? Eine Antwort gibt das konservative bis spießige Wertesystem, das
die Alternative vertritt. D-Mark-Nostalgie und überhaupt die Vorstellung,
dass früher alles besser gewesen sei, sprechen CDU-nahe Ex-FDP-Wähler und
konservative Linke gleichermaßen an.
Doch was ist liberal an der Vorstellung, dass Familie und Eltern in erster
Linie für Bildung und Erziehung der Kinder zuständig sein sollen, während
der Staat nur mehr eine unterstützende Funktion wahrzunehmen habe? Nichts:
Erst die allgemeine Schulpflicht ermöglicht es jedem Einzelnen, sich auch
unabhängig von seiner familiären Herkunft zu entfalten. Die ist damit eine
absolut zentrale Forderung des Liberalismus.
Gleiches gilt für die von einer Arbeitsgruppe der Bundes-AfD angestrebte
Direktwahl bedeutender Staatsämter. Was für manchen Libertären und Linken
verlockend klingt, führt letztendlich dazu, dass „Checks and Balances“ des
Rechtsstaates unterhöhlt werden. Ob so der „Schutz des Einzelnen vor der
Tyrannei der Mehrheit“, wie es der Philosoph und Urvater des Liberalismus
John Stuart Mill formulierte, noch sichergestellt wäre, darf bezweifelt
werden.
## Wahlrecht für die Betuchten
Liberal ist die Alternative, das zeigt das Mantra von der Partei der
VWL-Professoren ebenso wie ein Blick ins Wahlprogramm bestenfalls im
wirtschaftlichen Sinne. Doch ökonomischer Erfolg ist nichts, wenn die
Freiheit des Einzelnen nicht gewährleistet ist. Der Liberalismus ist die
politische Bewegung, die mit dem Gedankengut der Aufklärung aufs Engste
verschwistert ist. Liberalismus in diesem Sinne bedeutet Humanismus.
Wirtschaftliche Freiheit ist daher eine notwendige, aber keine hinreichende
Bedingung liberalen Denkens.
Der Philosoph Immanuel Kant, vielleicht der bedeutendste Aufklärer, war
überzeugt: Der Mensch dürfe niemals nur Mittel zum Zweck, sondern müsse
stets Zweck an sich sein. Wenn Bernd Lucke von finanziell schwachen
Migranten als sozialem „Bodensatz“ spricht, ist ihm diese Maxime kaum noch
geläufig. Ebenso, wenn ein Bundesvorstand der AfD, Konrad Adam, sich in
einem Artikel der Welt von 2006 fragt, ob es ein Fortschritt war, dass „die
Fähigkeit, aus eigenem Vermögen für sich und die Seinen zu sorgen, als
Voraussetzung für das Wahlrecht entfallen“ ist. Ob Adam heute noch so
denkt?
Trotzdem: Die Alternative für Deutschland ist keine Nazipartei. Wer das
behauptet, torpediert vernünftige Kritik. Sie ist eine wirtschaftsliberale
Partei, die von ihrem Anti-Euro-Programm lebt und Ressentiments schürt,
auch wenn sie nachvollziehbare Zukunftsängste bestimmter Bevölkerungsteile
kanalisiert. Sie hat beste Chancen, den Weg der FPÖ in Österreich zu
beschreiten.
Als überzeugter Liberaler hält man also den größtmöglichen Abstand.
15 Oct 2013
## AUTOREN
Hasso Mansfeld
## TAGS
Schwerpunkt AfD
FDP
Bernd Lucke
Liberalismus
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Europawahl
EU-Kommission
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Parteitag der AfD in Hessen: Der pietistische Herr Lucke
Auf dem Treffen der Alternative für Deutschland palavert der Parteichef.
Dabei geht es um Homos, Familien und „Wirtschaftsflüchtlinge“.
Alternative für Deutschand in Sachsen: Geld ist immerhin nicht das Problem
Die AfD treibt ihren Regionalaufbau voran, nächstes Jahr will sie in den
sächsischen Landtag. Mit welchen Themen, ist der Partei selbst noch unklar.
Bundestagswahl und politische Kritik: Defätismus oder Barbarei
Die große Koalition kommt. Das AfD-Prinzip bleibt. Der Kapitalismus
dominiert das Netz. Es ist trotzdem an der Zeit, sich vom Scheißefinden zu
verabschieden.
was fehlt ...: ...28 AfD-Stimmen
Fünf-Prozent-Klausel bei Wahlen: Stolperfallen für Kleinparteien
Seit FDP und AfD an der Fünfprozenthürde gescheitert sind, wird debattiert:
Ist eine Sperrklausel in dieser Höhe noch demokratisch?
Neuorientierung der EU-Kommission: Brüssel übt sich in Zurückhaltung
Die EU will weniger regulieren und bestehende Vorschriften zurückziehen.
Damit reagiert die Kommission wohl auch auf den Erfolg eurokritischer
Parteien wie der AfD.
Unterwanderung der AfD: Rechten zieht's zur Anti-Euro-Partei
CDU-Renegat Stadtkewitz gibt seine Rechtsaußen-Partei „Die Freiheit“ auf �…
und ruft zur Unterstützung der AfD auf. Dort reagierte man mit einem
Aufnahmestopp.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.