# taz.de -- Abgasregeln für Neuwagen: Die Falschfahrerin | |
> Angela Merkel hat eine Verschärfung der Abgasregeln in Europa blockiert. | |
> Gleichzeitig erhielt die CDU eine generöse Spende von BMW-Großaktionären. | |
Bild: Das Geschäft mit Abgasen ist schmutzig. Kein Problem für Frau Merkel | |
BRÜSSEL taz | Es war der politische Skandal der Woche, wurde jedoch zu | |
einem bedauerlichen Zufall heruntergespielt: die Spende der | |
BMW-Großaktionäre aus der Familie Quandt an die CDU. Dabei hat es schon ein | |
Geschmäckle, dass die Quandts die CDU-Kasse just in dem Moment um 690.000 | |
Euro bereichern, da die CDU-Kanzlerin und der CDU-Umweltminister in Brüssel | |
schärfere Abgasregeln für Neuwagen blockieren. | |
Hat da eine Regierung auf Geheiß eines Autoherstellers gehandelt? Oder | |
haben sich die Quandts schlicht für die stets zuvorkommende Politik ihrer | |
Kanzlerin bedankt? Gibt es vielleicht gar keinen Zusammenhang, war wirklich | |
alles nur schierer Zufall, wie CDU-Politiker behaupten? Wir werden es wohl | |
nie erfahren. Denn wie so oft in Berlin wird alles unter den Teppich | |
gekehrt. | |
Dennoch ist dieser Fall ein politisches Lehrstück. Vor allem für die | |
Europapolitik markiert er einen Wendepunkt. Die Rede ist hier nicht von der | |
Verwandlung der „Klimakanzlerin“ in die „Autokanzlerin“ – ein Zaubert… | |
der vor allem auf medialer Selbsttäuschung beruht; eine echte | |
Klimakanzlerin war Merkel nie. Nein, es geht um die Art und Weise, in der | |
die deutsche Thatcher der gesamten EU auf der Nase herumtanzt. Es geht um | |
Protektionismus und Erpressung. | |
Doch der Reihe nach. Zunächst sah alles nach einem ganz normalen | |
EU-Gesetzgebungsverfahren aus. Noch bevor die EU-Kommission einen Vorschlag | |
zu neuen CO2-Grenzwerten gemacht hatte, war die Autolobby bereits aktiv | |
geworden. Sie verhinderte, dass die Vorgaben allzu hart ausfielen. | |
Dann kamen die CDU-Abgeordneten im Europaparlament zum Zuge. Sie sorgten | |
dafür, dass die deutschen Autohersteller einen Airbag bekamen: Über | |
sogenannte Supercredits für umweltfreundliche Wagen sollten auch | |
Premiumhersteller die Vorgaben erfüllen können. | |
## Die Klimaschutzampel sprang von grün auf rot | |
Ein Kompromiss ganz im Sinne der Kanzlerin. Der größte deutsche und | |
europäische Autobauer, Volkswagen, hatte ebenfalls keine Probleme mit den | |
neuen Grenzwerten. Auch die Hersteller in anderen EU-Ländern waren mit dem | |
Vorschlag zufrieden. | |
Dass BMW und Daimler Mühe haben würden, die Vorgaben zu erfüllen, war zwar | |
schnell klar, doch im Grunde spricht dies für den EU-Kompromiss – es geht | |
ja gerade darum, auch Luxusmarkenhersteller zu ehrgeizigeren | |
Klimaschutzzielen und Innovationen anzutreiben. Über die umstrittenen | |
„Supercredits“ war der EU-Gesetzgeber den Extrawünschen der Spritfresser | |
ohnehin weit entgegengekommen. Aus Sicht von Umwelt- und | |
Verbraucherschützern ging dies schon viel zu weit. | |
Doch Kanzlerin Merkel blockierte den Kompromiss. Offenbar auf Druck von | |
Cheflobbyist Matthias Wissmann – einem früheren CDU-Politiker – und | |
CSU-Chef Horst „BMW“ Seehofer machte sie die CO2-Grenzwerte zur Chefsache. | |
Die Ampel für den Klimaschutz wurde von Grün auf Rot gestellt. Merkel | |
persönlich griff zum Telefon, um eine Blockade im EU-Ministerrat zu | |
organisieren, der den Beschluss noch durchwinken muss. | |
Und hier passiert es dann: Der deutsche – im EU-Geschäft nicht | |
ungewöhnliche – Protektionismus schlägt in kaum verhohlene Erpressung um. | |
Merkel und ihre Gehilfen müssen vier EU-Staaten auf ihre Seite ziehen, um | |
die Entscheidung zu vertagen. Zumindest in zwei Ländern – Portugal und den | |
Niederlanden – drohen sie mit dem Abzug deutscher Investitionen, sollten | |
sich die Regierungen nicht „erkenntlich“ zeigen und Merkel folgen. | |
## Merkel pokert mit Hilfskrediten und Sonderrabatten | |
Vor allem gegenüber Portugal sei dies unfair gewesen, empört sich die | |
Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. | |
Schließlich ist das ärmste Land Westeuropas hoch verschuldet – und es hängt | |
von der deutschen Zustimmung zu Hilfskrediten ab. | |
Auch das Vorgehen gegenüber Großbritannien entsprach nicht gerade der | |
feinen englischen Art. Der britische Premier David Cameron weigerte sich | |
zunächst. Erst als Merkel ihm versprach, beim umstrittenen Britenrabatt im | |
EU-Budget zu helfen, willigte er ein. Doch die Vertagung genügte Merkel | |
nicht. Damit wollte sie offenbar nur die Zeit bis zur Bundestagswahl | |
überbrücken. | |
Gleich nach der Wahl ließ sie die Katze aus dem Sack: Die CO2-Grenzwerte | |
sollen aufgeweicht werden – durch eine um vier Jahre längere | |
Übergangsfrist. Doch der Versuch, dies bei einer Sitzung der EU-Botschafter | |
in Brüssel durchzudrücken, scheiterte. Als die Bundesregierung erkannte, | |
dass sie keine Mehrheit finden würde, ließ sie das Thema kurzerhand von der | |
Tagesordnung streichen. | |
Der dritte Streich liegt erst kurz zurück: Beim Treffen der Umweltminister | |
am vergangenen Montag in Luxemburg setzte der deutsche Ressortchef Peter | |
Altmaier durch, dass das Kompromisspaket wieder aufgeschnürt wird. Wann und | |
wie ist unklar. Schließlich müsste ja auch das Europaparlament mitziehen. | |
Doch die Abgeordneten wollen nicht zu Befehlsempfängern von Merkel | |
degradiert werden. | |
Der Chef des Umweltausschusses, Matthias Groote (SPD), kündigte Widerstand | |
an. „Es kann nicht sein, dass Deutschland – als größtes Mitgliedsland und | |
stärkste Wirtschaftskraft der Europäischen Union – ein bereits bestätigtes | |
Abkommen aufs Neue verzögert“, warnte er. Im November werde im Plenum | |
abgestimmt, auch wenn kein neuer Kompromiss zustande komme. | |
Doch die Abgeordneten sitzen am kürzeren Hebel. Wenn Deutschland nicht | |
mitspielt, wird es keine schärferen EU-Grenzwerte geben – und dann haben | |
BMW und Mercedes ihr Ziel erreicht. Mag sein, dass eine Große Koalition in | |
Berlin kompromissbereiter ist. Derzeit spricht jedoch viel dafür, dass | |
Merkel eine klimapolitische Falschfahrerin bleibt. Und dass Europa künftig | |
noch mehr nach der deutschen Pfeife tanzen muss – nicht nur bei der | |
Eurorettung, sondern auch beim Klimaschutz. | |
19 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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