Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Volksentscheid Energie in Berlin: Da trifft dich ja der Schlag
> Noch beliefert Vattenfall acht von zehn Berlinern mit Strom. Aber der Ruf
> des Konzerns ist lädiert. Wir präsentieren vier Fehler, die kein
> Unternehmen begehen sollte.
Bild: Werbung in eigener Sache: Überdimensionales Plakat des schwedischen Ener…
Als der schwedische Vattenfall-Konzern ab 2002 Energieunternehmen in
Deutschland kaufte, eröffnete sich ihm eine Chance. Unterstützt von der
herrschenden Politik, gelang dem Unternehmen der Einstieg in die Bundesliga
der deutschen Stromversorger. Es war die Zeit der Liberalisierung: Das
System der jahrzehntealten Oligopole sollte endlich aufgebrochen werden.
Als neuer Konkurrent für die drei west- und süddeutschen Konzerne Eon, RWE
und EnBW wurde Vattenfall in Ost- und Norddeutschland etabliert. Die
Schweden kauften Anteile der Hamburgischen Elektrizitätswerke, der
Vereinigten Energiewerke, der Lausitzer Braunkohle AG und schließlich auch
der Berliner Bewag.
Allein, das Unternehmen vergeigte seine Chance. Jetzt könnte ihm nach dem
Hamburger Stromnetz auch dessen Berliner Pendant abhandenkommen. Die
Fachwelt spekuliert schon länger, wann sich der Konzern aus Deutschland
zurückzieht. Dass Vattenfall auf dem absteigenden Ast ist, liegt nicht nur
an Atomausstieg und Energiewende, sondern vornehmlich an der merkwürdigen
Unternehmenspolitik.
Denn diese vier Fehler sollte man heutzutage als Manager besser nicht
machen:
## 1. Fragwürdige Produkte verkaufen
Als Vattenfall nach Deutschland kam, war der Atomausstieg in seiner
rot-grünen Variante schon beschlossen und im Gange. Schon seit der
Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 forderte die Mehrheit der deutschen
Bevölkerung, die Atomkraftwerke abzuschalten. Trotzdem machte sich
Vattenfall frisch ans Werk.
Zum Portfolio des Energiekonzerns gehörten damals vier deutsche AKWs:
Stade, Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel. Die Schweden dachten, sie könnten
mit dem Verkauf des umstrittenen Atomstroms einfach so weitermachen, obwohl
den in Deutschland nur noch die wenigsten haben wollten. In Stockholm hatte
man offensichtlich wenig Ahnung, was in dem neuen Geschäftsgebiet da unten
im Süden los war. Die Folge: Bald war Vattenfall hierzulande als sturer
Atomkonzern abgestempelt, dem viele Bürger misstrauten. Die gesamte
Geschäftspolitik stand damit unter einem schlechten Stern.
## 2. Den Kunden einen Bären aufbinden
Mitte 2007 bekamen die Berliner Haushalte Post von ihrem Stromanbieter.
Vattenfall teilte darin wieder einmal eine Preiserhöhung mit und bot
gleichzeitig einen „Haushalt-Schutzbrief“ an – eine Versicherung für
bestimmte Schäden in Haus und Wohnung. Weil die Kosten in einer
Tarifvariante ohne Aufpreis enthalten waren, konnte der Eindruck einer
gewissen Entschädigung entstehen, die Vattenfall seinen Kunden zudachte.
Die Verbraucherzentrale schaute sich den Haushalt-Schutzbrief genauer an
und stellte fest: „Die Leistungen sind stark eingeschränkt, überflüssig und
teils finanziell riskant.“ Die Institution könne „nur davon abraten, den
Schutzbrief zu übernehmen“. An die Adresse von Vattenfall ging die folgende
Empfehlung: „Schuster, bleib bei deinen Leisten und biete günstigeren Strom
an.“ Was ein schönes Werbegeschenk mit Image-Vorteil für das Unternehmen
sein sollte, entwickelte sich zur PR-Katastrophe. Wochenlang wurde darüber
debattiert, ob die Energiefirma ihre Kunden für dumm verkaufen wollte.
## 3. Mit Informationen knausern
Im selben Sommer, in dem sich in Berlin die Versicherungsgeschichte zutrug,
fing ein Transformator am Atomkraftwerk Krümmel Feuer. Vattenfall musste
die Anlage abschalten. Die Reparatur dauerte annähernd zwei Jahre. Dann
begann man wieder, Strom zu produzieren – und nach nur zwei Wochen
wiederholte sich der Unfall. Alle Welt fragte sich: Hat Vattenfall keine
Elektriker? Haben die keine Ahnung? Kümmert sich das Management in Schweden
eigentlich um die Probleme in seinen ausländischen Kraftwerken? Solche
Fragen blieben größtenteils unbeantwortet, weil das Unternehmen es nicht
für nötig hielt, Öffentlichkeit und Politik in Deutschland ausreichend mit
Informationen zu versorgen.
Schließlich stand die fachliche Eignung des Konzerns als Betreiber von
Atomkraftwerken insgesamt zur Diskussion. Der Vertrauens- und
Reputationsverlust ging sogar so weit, dass die schleswig-holsteinische
Atomaufsicht eine von Vattenfall nominierte Managerin als AKW-Leiterin
ablehnte – wegen Zweifeln an ihrer Qualifikation.
## 4. Verantwortung für die Umwelt ignorieren
In den Jahren 2008 und 2009 entstand folgender Eindruck: Alle Welt redet
vom Klimawandel, Vattenfall nicht. Denn das Unternehmen wollte sein
Berliner Braunkohlekraftwerk Klingenberg an der Rummelsburger Bucht durch
ein Steinkohle-Kraftwerk ersetzen. Das Hauptargument: weniger
Kohlendioxidausstoß. Viele Bürger und schließlich auch manche Angehörige
des Senats fragten sich: Warum überhaupt noch Kohle?
Wieder einmal entwickelte sich eine große, gegen Vattenfall gerichtete
Debatte. Schließlich lenkte das Unternehmen ein. „Wir haben tief in diese
Stadt hineingehört“, so ein Vattenfall-Manager. Statt mit Steinkohle will
die Firma Wärme und Strom künftig mittels Erdgas und Biomasse erzeugen. Wer
weiß, ob sie dazu in Berlin noch kommt.
30 Oct 2013
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Ökostrom
Senat
Schwerpunkt Atomkraft
Volksentscheid
Volksentscheid
Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Energieriesen-Krise: Dinosaurier immer trauriger
Die vier großen Stromkonzerne in Deutschland haben die Energiewende
verschlafen. Jetzt jammern sie und entlassen massenweise Mitarbeiter.
Energie-Volksentscheid: Berlinern geht kein Licht auf
Der Volksentscheid scheitert, obwohl knapp 600.000 Berliner für das
Öko-Stadtwerk und den Rückkauf des Stromnetzes stimmen.
Energie-Volksentscheid in Berlin: Worum gehts eigentlich?
Am Sonntag stimmen die BerlinerInnen darüber ab, wie die Energieversorgung
der Stadt künftig gestaltet wird. Die wichtigsten Fragen & Antworten.
Umfrage zur Atomkraft: Mehrheit fordert schnelleren Ausstieg
Eine Mehrheit der Deutschen möchte, dass die letzten AKW noch vor 2022
abgeschaltet werden. Selbst Unionswähler sperren sich nicht mehr.
Kurz vor Volksentscheid: Bärige Erinnerungshilfe
Im Endspurt vor dem Volksentscheid machen die Unterstützer der Ja-Kampagne
in den Straßen mobil - und räumen manches Missverständnis aus dem Weg.
Vor dem Volksentscheid: Selbstbestimmte Energie
Ein kommunales Stadtwerk zur Stromerzeugung will der Berliner Energietisch
ebenso wie der Senat. Wo liegen die Unterschiede?
Energie: „Sympathische Forderungen“
Ein kommunales Stadtwerk kann einen Beitrag zum sozialen und ökologischen
Wandel Berlins leisten, sagt der Energieforscher Matthias Naumann.
Power I: Die unter Strom stehen
Mit Plakaten, Infoständen und Flyern werben die Unterstützer des
Volksentscheids für „Ja“ – nicht nur mit lauteren Argumenten.
Power II: Energie ohne Strom
Der Senat darf kein Geld für eine Nein-Kampagne ausgeben. CDU und SPD wenig
aktiv.
Energie-Volksentscheid in Berlin: Billig kann man abhaken
Wird der Strom billiger, wenn der Volksentscheid Erfolg hat? Die
Initiatoren versprechen „bezahlbare Energie“. Konkrete Preise kann niemand
nennen.
Berlin Energie-Chef prescht vor: Das Stromnetz soll es bringen
Um die Energiewende voranzubringen, sollte das Land Berlin sein Stromnetz
selbst übernehmen, sagt der Chef der landeseigenen Berlin Energie, Wolfgang
Neldner.
Start des Volksentscheids: Panne beim Datenziehen
Benachtigungen zum Energie-Volksentscheid gehen verspätet raus an
Wahlberechtigte. Landeswahlleiterin sieht Abstimmung nicht in Gefahr.
Volksentscheid: „Hier werden Ängste gestreut“
Streitgespräch mit Stefan Taschner vom Energietisch und Christian Amsinck
von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg.
Volksentscheid: Energietisch wirbt für Briefwahl
Mit 10.000 Plakaten sollen die Wähler mobilisiert werden, um das Quorum zu
knacken. Das Bündnis setzt auf Rückenwind aus Hamburg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.